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Kritik

Verwirrspiel um Phantasie und Wirklichkeit

Hamburg

In ihrem neuen Roman „Die Amerikanische Nacht“ lockt  Marisha Pressl den Leser bei der Suche nach einem exzentrischen Regisseur auf zahlreiche Fährten.

Hätte ich gleich den Originaltitel des Romans „Night Film“ gelesen, wären meine Assoziationen andere gewesen. Aber bei „Die Amerikanische Nacht“ kommt ein deutscher Leser wahrscheinlich nicht umhin, an den gleichnamigen Film von François Truffaut aus dem Jahr 1973 zu denken. Denn spätestens seit dessen Liebeserklärung an das Kino wissen wir, dass es sich bei der Amerikanischen Nacht um eine bestimmte Methode des Filmens mit Blaufilter handelt, die dem Zuschauer Nacht vortäuschen soll, obwohl die Szene am Tag gedreht wird. Aber mit dieser kleinen Täuschung sind die Gemeinsamkeiten zwischen Buch und Film auch schon zu Ende, denn der Roman ähnelt eher dem Film Noir oder, um in den USA zu bleiben, der Schwarzen Serie eines „Malteser Falken“. Und so erinnert die Hauptperson, der investigative Journalist  Scott  McGrath auch in Ansätzen an Sam Spade und Philip Marlow. In seinem Büro (das natürlich klein und vernachlässigt ist und in dem  ausreichend Whiskey zu finden ist) hängt   „ein Filmplakat eines lässig, aber erschöpft aussehenden Alain Delons in „Le Samouraë“, das Poster hatte mir mein alter Redakteur  bei Insider geschenkt. Er hatte gesagt, ich erinnere ihn an die Hauptfigur – ein einsamer, französischer, existentialistischer Auftragskiller -, was kein Kompliment war.“ 

 „Jeder hat eine Cordova-Geschichte, ob er will oder nicht.“ Dieser erste Satz im Prolog leitet die folgende Handlung ein und für Scott McGrath bedeuteten seine letzten Nachforschungen,  dass er – von Stanislas Cordova manipuliert und mit einer Verleumdungsklage überzogen - seinen Ruf als seriöser Journalist verspielte und als Folge Job und Ehefrau samt kleiner Tochter Samantha verlor. Also schwor er sich,  die Finger von Cordova zu lassen, dem Regisseur schrecklicher Horrorfilme. Der Mythos dieser Filme rührt letztlich daher, dass der Zuschauer nicht weiß, ob die gezeigten Schrecken wahr oder gespielt sind. Und tatsächlich verschwinden fast alle Schauspieler, die einmal mit Cordova in Berührung gekommen waren, von der Bildfläche und es gibt jede Menge mysteriöser Merkwürdigkeiten, die weder McGrath noch der Leser durchblicken.

Doch als Cordovas vierundzwanzigjährige Tochter Ashley in einem leerstehenden Lagerhaus tot aufgefunden wurde, ist McGrath  sofort elektrisiert. Er nimmt seine Recherchen wieder auf. Bald stoßen die junge Nora dazu, die in New York gestrandet ist und Schauspielerin werden möchte, sowie  der ständig betrunkene  Hopper, ein Junge, mit dem Ashley vor  Jahren eine Liebesbeziehung hatte. Nun beginnt die Suche des Trios nach Cordova, um die Wahrheit über seine Filme und Ashleys Tod herauszufinden. „Cordova ist ein Raubtier, in einer Liga mit Manson, Jim Jones, Colonel Kurtz. Ich habe einen Insider-Informanten, der jahreslang für die Familie gearbeitet hat. Jemand muss diesen Kerl auslöschen.“    Dieser Satz hatte McGrath einst die Karriere gekostet, aber er glaubt immer noch daran: In der Geschichte dieser Familie sind grauenhafte Dinge passiert. Da bin ich mir sicher.“  Und so begeben sich die drei auf die Suche, spüren verschwundene Zeugen auf, die kommen und ebenso schnell wieder verschwinden. Nie weiß man, ob die Zeugen zuverlässig sind oder ob sie bewusst eine falsche Fährte legen. MacGrath und seinen Assistenten wird  suggeriert, Cordova und seine Jünger hätten schwarze Magie praktiziert. Bald wird die Handlung nicht nur für die Ermittler undurchschaubar, auch der Leser verirrt sich in diesem Labyrinth von sich widersprechenden Informationen. „Der Raum um Cordova krümmt sich. Das Licht wird langsamer, Informationen geraten durcheinander, rationale Köpfe werden unlogisch, hysterisch.“  

Ein Zeuge,  der eine Zeit lang, bei den Cordovas gelebt hatte, berichtet Scott McGrath von Ritualen mit Schwarzer Magie, an der Cordova teilgenommen habe und auch Ashley sei davon erfasst gewesen. Seitenweise lesen wir nun über „Die Heilige Magie des Abremalin“, über den „Bösen Blick“ und das „Land der Hexen“. Einen Höhepunkt bildet der Einbruch der drei Ermittler in „The Peak“, das skandalumwitterte Familien- und Filmgelände von Cordova. Hier wird es nun ganz verrückt, denn McGrath,  inzwischen in die Theorie der Zauberei verliebt,  gerät in die Bühnenbilder von Cordovas Filmen und in ein Gewächshaus, wo er (vielleicht, so genau weiß man das nicht) mit halluzinogenen Pflanzen in Berührung gekommen ist. Jedenfalls vermischen sich Realität und Einbildung und der Leser weiß nicht, was Wirklichkeit ist oder was sich in McGraths  Kopf abspielt.

Fast ist man für die Auflösung der ganzen Geschichte dankbar. Ashley war von klein auf an Leukämie erkrankt. Cordova tat alles, um seine Tochter zu heilen, zog sich zurück und drehte auch keine Filme mehr. Niemand sollte von Ashleys Krankheit erfahren, deshalb zog er sich zurück und unterband alle Nachforschungen. Inzwischen sei er ein alter dementer Mann, berichtet seine langjährige Assistentin.  „Ich fühlte Enttäuschung“, sagte McGrath. „Ein bisschen ging mir das jedes Mal so, wenn ich am Ende einer Recherche angelangt war, mich umsah und feststellte, dass es keine dunklen Ecken mehr auszuloten gab.“ Dies sagt er auf S. 733 und auch als Leser fragt man sich, ob das ganze Verwirrspiel in dieser Länge nötig war.   Doch zum Glück ist die Peripetie nur eine scheinbare und die Wahrheit nur eine halbe. MacGrath findet den echten keineswegs dementen  Cordova auf einer einsamen Insel in Südamerika letztlich doch noch. Er will  herausfinden, ob er böse, verroht oder ein liebender Vater ist. Immer noch vertraut McGrath der Wirklichkeit nicht, er fürchtet: „Ich  würde irgendwo weit weg von hier aufwachen und mich fragen, ob ich alles geträumt hatte, ob er überhaupt hier gewesen war, in diesem stillen Haus am Rande der Welt. Doch eines wusste ich genau, als ich auf ihn zutrat: Er würde sich neben mich setzten und mir die Wahrheit erzählen. Und ich würde ihm zuhören.“

Auffallend ist die äußere Gestaltung des Romans. Um der Geschichte den Anschein von Realität zu geben, werden viele Informationen als scheinbar authentische Artikel mit Fotos vermittelt und der Leser ist angehalten, die einzelnen Fäden des Rätsels selbst zu verknüpfen. Doch letztlich bleibt ihm nur McGraths Erkenntnis. „Ich machte mir Sorgen, weil sich für mich, bei allem, was wir über Ashley und ihren Vater aufgedeckt hatten, noch immer kein Gesamtbild ergab. …. Die Wahrheit über das, was in dieser Welt passiert, ändert sich. Das hört nie auf.“

Marisha Pessl
Die amerikanische Nacht
Übersetzung:
Tobias Schnettler
S. Fischer
2013 · 22,99 Euro
ISBN:
978-3-10-060804-8

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