Scheitern an der Realität
Finnland, Tapiola – eine Betonsiedlung nahe Helsinki soll eine Modellstadt werden, mitten in die Natur gebaut und von ihr umgeben, in der Vorstellung ihrer Planer eine Struktur von gesellschaftlichen Aufbruch, die Grenzen überwinden soll. Wie kläglich die Theorie an der Praxis scheitern sollte, schildert Markku Kivinen in seinem in Finnland erstmals 2009 erschienenen Debütroman „Betongötter“, der nun in deutscher Übertragung von Rosalinde Sartori und Kristiina Hämäläinen vorliegt.
Tapiola ist vor allem geprägt von Trostlosigkeit, wie so viele Trabantenstädte der Sechziger und Siebziger, doch darum geht es kaum. Das städtebauliche Experiment dient Kivinen, der eigentlich Soziologe ist, bloß als Arena für seine Figuren, die ein Panorama der finnischen Gesellschaft jener Zeit abbilden. Er begleitet sie von ihrer Jugend bis ins frühe Erwachsenenleben, manche versinken in Arbeitslosigkeit und Kriminalität, andere studieren und finden sich trotzdem im Leben nicht zurecht.
Sie arbeiten sich ab und scheitern nicht nur an den wirtschaftlichen Verhältnissen, sondern auch an den widersprüchlichen Wertvorstellungen. Da ist die Lehrerin Marja-Liisa, die aus einem streng christlichen Elternhaus stammt, sich von einem Schüler schwängern lässt und ihn heiratet und immerzu aufbegehrt gegen die Sinnen- und Lustfeindlichkeit, gegen die Enge des Dogmatismus, gegen den sie aber doch nie wirklich ankommt, weil er Teil ihrer Selbst ist. Pena hingegen ist schon als Teenie an Politik interessiert und schließt sich in jungen Jahren der Kommunistischen Partei an, erlebt die Hochgefühle der Aufbruchstimmung und den Traum einer besseren Gesellschaft, nur um am Ende resigniert in Ortsversammlungen zu sitzen, in denen die Konservativen, die Gemäßigten, die Radikalen und die Mitläufer sich gegenseitig zerfleischen und dabei gar nicht merken, dass die aufkommende soziale Marktwirtschaft ihre Ideen längst überholt hat. Einer wird zum Vergewaltiger und Mörder und landet im Gefängnis, ein anderer schlägt sich irgendwie durch, indem er die Bank bescheißt, und noch ein anderer vertieft sich in Vergangenes, weil er die Realität, an der sie alle scheitern, nicht erträgt.
Kivinen tritt dabei nicht als Erzähler auf, sondern überlässt die Geschichte ganz seinen Figuren, die aus der Ich-Perspektive ihre Malaisen durchleben und den Leser teilhaben lassen, der Ereignisse aus unterschiedlichen Winkeln betrachten und miterleben kann, während er in diesen sozialen Schmelztiegel eindringt. Dabei hat gerade diese experimentelle Form ihren Reiz, gerade weil sie so vieles offen lässt, Leerstellen im Leben der Erzähler dem Leser zu füllen überlässt. Für das Verständnis zahlreicher Finnland-spezifischer Details liefert die deutsche Ausgabe ein Glossar und ein erhellendes Nachwort und rückt zusammen mit dem Roman die jüngere Geschichte eines Landes in den Fokus, das auch medial sonst nur selten im Scheinwerferlicht steht.
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