Sehnsucht nach vorindustrieller Gefahr
Dieser Text war, so kurz er auch ist, eine schwere Geburt. Gut zwei Monate schlich ich um dieses Buch herum, es gelang mir nicht, ihm aus dem Weg zu gehen. Denn es gefiel mir, anfangs zumindest, nicht. Zu pathetisch, sagte mein Über-Ich. Schreib einen Verriss. Nun wissen wir ja: man soll mit seinem Über-Ich nicht streiten. Es würde den Sieg davontragen, denn man kann sich einen Text nicht zu Recht denken und auch mit dem Einbruch der Nacht, wenn die Gedanken im schwindenden Licht milder werden, wird er nicht erstrahlen. Aber ich bin trotzig und lasse mich auch von herbeizitierten Grundkenntnissen in Psychoanalyse nicht in die Ecke treiben. Zumal mir auch nicht recht einfiel, wo ich die Brechstange der Kritik einsetzen sollte.
Das Pathos, das durch die Texte weht, ist nämlich ein Grundiertes, es ist nicht hohl und nicht leer, und das wir, die wir im deutschen Sprachraum leben, damit nur selten etwas anzufangen wissen, ist ja nicht Jeschkes Schuld. Oder vielleicht doch? Zumindest übertreibt es der Autor ein wenig. Z.B. im Text Watt, der so anhebt: „Eine Hand schon im Maul des Kalbs/ saugt es dich täglich tiefer hinein/...“
Vielleicht ist es ja eine Sehnsucht, die Jeschkes Texte antreibt. Eine Sehnsucht nach einer vorindustriellen Gefahr, die von den Dingen ausgeht, die nicht Handhabbar, nicht nutzbar erscheinen oder eben nicht nutzbar sind. Dinge, die noch vorhanden sind und nicht im industriellen Kontext „zuhanden“ wie Heidegger sich ausdrückt. Vielleicht deshalb auch der Titel: „Das Gebet der Ziege“. Wer begegnet im urbanen Raum schon einer Ziege, wenn nicht als putziges Bild auf Kinderbüchern oder auf der Verpackung von Importkäse. Wahrscheinlich ist diese Beschwörung des Vorindustriellen und mithin Unmittelbaren auch der Grund für meine Befremdung.
Aber Jeschkes Texte beinhalten auch Wendungen, die zeigen, dass es keinen Weg zurückgibt. Keine heideggersche Lichtung, kein Offenes. Nur „knorriges Holz, das aussah wie etwas anderes.“ Das ist der letzte Vers aus dem ersten Gedicht des Zyklus „Der Graureiher“. Und dieser Zyklus war es letztlich, der mich mit dem Band versöhnte.
Ich fürchte, mein Dialog mit Jeschkes Gedichten ist noch lange nicht abgeschlossen, wie auch die Suche, nach dem Eigentlichen der Dinge jenseits ihrer instrumentellen Zurichtung.
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