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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Tagträume vom aufrechten Gang

Lyrik - jede Woche eine Kritik

Mit den Lyrikbänden der beiden Debütanten Anne Dorn und Michael Fiedler offeriert die neue Lyrikreihe des Poetenladen-Verlages direkt zum Auftakt die ganze Bandbreite der deutschen Gegenwartslyrik. Während es sich bei Anne Dorn um eine vertraute, wenn auch vergleichsweise wenig publizierte Stimme herkömmlicher, besser: geläufiger Dichtung handelt, hat man es bei Michael Fiedler mit einem experimentellen Dichter der jüngeren Generation zu tun, wiewohl die Methoden, derer sich Fiedler bedient, wie den „Cut“, nun auch bereits auf eine über fünfzigjährige Tradition zurückgehen, als die Beat-Generation - und namentlich ihr Vertreter William S. Burroughs -  mit Hilfe verschiedener „Schnitttechniken“ (neu zusammenzusetzenden Versatzstücken aus Zeitungen, Plakaten, Büchern etc.) ihre Vorstellungswelten auszutricksen suchten, um den a priori durch Vorurteile begrenzten Bahnen des eigenen Bewußtseins zu entkommen; - eine Methode, den Zufall und die moderne Montage in die Literatur einzubeziehen, um dann eine Interaktion mit eben diesen gesichteten „Fertigteilen“ hervorzubringen. Solche Autoren haben es traditionell schwer. Ihre Werke unterliegen oft dem Verdacht der Unverbindlichkeit oder Beliebigkeit, der Leser fühlt sich nicht abgeholt; einen Identifikationswillen aufzubringen erscheint immer dann fragwürdig, wenn zwischen zwei Buchdeckeln nicht entweder ein semantisch nachvollziehbares geschlossenes System von Weltbetrachtung vorgefunden oder wenigstens eines erfunden wird. Dem Leser solcherart „schwieriger Gedichte“ kommt nicht selten der Verdacht, er könne sich in der Krawehl- oder Hurzzone befinden oder gerade in die Falle einer zufallsgenerierten Lyrikmaschine getappt sein. Und wenn Michael Fiedler den Eingangstext seines Buches „Geometrie und Fertigteile“ Wörtern wird entgegengetreten (Seite 6) auch noch damit kommentiert, er hätte - vielleicht aus Langeweile - alle „Sätze und Verbindungen mit dem Wort Wort oder Wörter“ aus Sartres Autobiographie „Die Wörter“ angestrichen und dann die Beobachtung gemacht, schnell über gutes Material zu verfügen, fördert dies das Zutrauen ins Geschaffene auch nicht unbedingt . Aber Entwarnung. Fiedlers Texte sind alles andere als ein willkürliches Spiel, sie sind es vielleicht für eine gewisse Zeit während des Vorarbeitens, ehe sich dann aus der Montagetechnik etwas eröffnet und zu neuen Sichtweisen führt. Man muß sich schon ein wenig hineinarbeiten in die 31 Gedichte, die in die drei Kapitel „von vielerlei Keimen geschwollen, besingt jeder, was er liebt“, „niemand weiß, warum wir uns zuhören“ und „während die Ziegen noch klettern auf buschwerkbestandenen Felsen“ unterteilt sind. Und die Gedichte sind überdies so wenig voneinander abgegrenzt, daß man die drei Kapitel auch als drei Langgedichte verstehen könnte. Überhaupt liebt Fiedler das Vexierspiel. Es entstehen nicht so sehr Strophen als vielmehr Gebilde, deren Verse durch Leerzeichen manchmal so weit auseinandergezogen sind, daß vertikale oder horizontale Lesarten der Texte möglich scheinen, wie im Gedicht „es heißt also mezze“ auf Seite 28:

Anis, Muskat               und Cardamom
zeugen von                 Lust an Rundung
                                             und Mund
dort ist die                   Wüste zur Erinnerung
Fessel, Trotz                und Folterbank zur Erinnerung
man sagt
Hals, Hand                   und Horn

Fiedler ist ein Spracharbeiter, ohne daß dies bedeutet, ihn zum Textfabrikanten oder gar zum Wortakrobaten zu degradieren. Er fokussiert sich auf vorgefundenes, sedimentäres  Textmaterial, aus dem sich Inhalt und Form in der Folge ergeben, „und seine Kunst hat auch nichts mit dem blassen Schein des Art déco gemein. Sie ist voll und ganz diesseitig und aktuell, auch wenn sie historische Bezüge nicht gänzlich verweigert“, so Jan Kuhlbrodt in seinem bündigen (und äußerst hilfreichen) Nachwort. Nicht Art déco also, aber vielleicht doch so etwas wie eine Objet-trouvé-Kunst, beziehungsweise Ready-made-Technik ist den Texten eigen, wenn Fiedler beispielsweise im Gedicht „Tourbillon“ (Seite 35) an Jean-Krier-Texten keinerlei oder kaum Bearbeitungen vornimmt und die zitierten Verse dann zu einem neuen Gedicht zusammenfügt:

„Kaum zu ertragen zwischen / Vögeln u Flut die Spannung dieser Musik.
Diese gottverdammte Geige. / Un talent absolument fou im Sitzen, Warten,
Furzen. Bist du aber bereit / zu dieser Opposition?
„Ganz langsam wachsen nun Wunde / u Welt mir wieder zu.
'„Es wird Zeit, / den Fisch in die Sonne zu werfen.

Einer der Hauptreize, die von Michael Fiedlers Texten ausgehen, ist die Ausgestaltung einer beinahe vorzivilisatorischen Stimmung innerhalb des an sich überzivilisierten lyrischen Ichs. Anachronistische Collagen, denen das Geschick zugrunde liegt, die heterogenen Elemente in einem schlüssigen ästhetischen Konzept zu vereinen, in dem historisches Vorbild, verfremdete Kopie und Fiktion eine enge Verbindung eingehen: „Cairo ist die erste Station / Cigaretten werden / geschmuggelt / Versuche die Grenze     zu tunneln // und manchmal das Gas / in den Röhren // statt Tomaten / Camele, Zement und Autoreifen / an Kränen über die Zäune // Verschalungen / und Gummischläuche / für die Atemluft“ (Seite 27).

Der ästhetische Flair besteht im Spiel des Wiedererkennens und Überrascht-Werdens, wenn Vertrautes in verfremdeter, Fiktionales in vertrauter Form präsentiert wird, was besonders in dem längeren Gedicht  Ankunft, nachts  (Seite 20), aber auch in dem ironisch-wortverspielten Text am ende (Seite 36) zum Ausdruck kommt.  Spätestens im dritten Kapitel von „Geometrie und Fertigteile“ schleicht sich dann auch noch eine houellebecq‘sche Endzeitschwermut in die Gedichte, wenn etwa in der Texttrilogie „Ausschnitt aus dem europäisch-asiatischen Waldgebiet“ durativ wiederholt, in lexikalisch-biologischer Fachsprache die Naturentfremdung so illustriert wird, daß sie gleichsam wie eine Parodie auf Osterspaziergänge hilflos technophiler, heillos postmoderner Individuen daherkommt, in einem ruinösen Versuch, sich einen Reim auf ein Szenario wie „Wald“ zu machen. Vor diesem Hintergrund scheint die lyrismenlose Lyrik Fiedlers auch in seiner Arbeitsweise und Formwahl konsequent.

Fiedler präsentiert uns eine kulturpessimistische, gegoogelte Resterampe, eine globale Vermessung der Gegebenheiten mit historischen Bruchstücken, „neue, erweiterte / Messungen, Pestzeit, Vormärz / Zwischenwelten / neue, erweiterte / Kategorien // Abschied des Vor-Scheins / durch die Wüsten fabeln wir / haben das Denken vor uns / bearbeitet von / Spuren der Katastrophen / Tagträume vom aufrechten Gang“ (Seite 26).

Michael Fiedler
Geometrie und Fertigteile
Nachwort: Jan Kuhlbrodt
poetenladen
2012 · 64 Seiten · 16,80 Euro
ISBN:
978-3-940691316

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