Akzente 1 / 2013
Für die Akzente habe ich eine eigene zerschlissene rotsamtene Betbank, auf der ich bei jedem Heft die Sünde der Hochmut büße, denn verlässlich enthält jedes Heft Texte, die mich entzücken und beschämen. Diesmal versperrt ein dürres Knochengerüst den Eingang ins Fegefeuer, denn in schulaufsätzlicher Art hat sich eingangs Durs Grünbein seiner Kindheitserinnerungen entledigt. Schon nach zwei Absätzen erhob sich eine warnende Stimme: Das kann doch nicht so weitergehen? Der Rezensentenfleiß stellt fest, doch es kann, zur Strafe verrate ich den Höhepunkt: er musste gestrickte Pullover tragen und verlor früh einen Schulkameraden und das ist Grünbeins kühles Resümee: „U. war mein erster Toter, und ich begann ihn sofort zu vermissen, wie alle anderen nach ihm.“ Bildnis des Autors als alter Mann. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass er auch beim Verfassen dieses rätselhaften Werks einen gestrickten Pullover trug.
Lidija Dimkovska, eine aus der von Michael Krüger beharrlich gepflegten ost- und südosteuropäischen Dichterlinie setzt aber sofort den passenden Kontrapunkt. „Mein Grab / Jeden Tag betrachte ich mein Grab im Hof, / inbegriffen im Kaufpreis des Hauses,“, ein Gedicht zum Aufatmen, das an der Betbank kokelnde Feuerzeug wegpacken, niederknien, auch wenn in der Folge die weiteren Texte der eigentlich schon erfahrenen Autorin aus ihrer melancholischen Romantik näher und näher der Grenze zur Manieriertheit rücken und nicht einlösen, was der erste Text verspricht. Sätze wie „Andere waren ein Leben lang auf der Flucht vor sich selbst.“ sind schaurig schlecht und manch hübsche Idee wird ins Platte gewalzt, wie das ‚Wieder andere haben auch das Unglück verspielt, nicht nur das Glück‘, ebenfalls im letzten Text ‚Asylanten‘.
Michael Chabons ‚Was soll man mit Finnegans Wake anfangen‘ ist ein unterhaltsamer Text des amerikanischen Pulitzer-Preisträgers (2001), übersetzt von Wiebke Meier, das Original ist im Netz (New York Book Reviews 2012) leicht zugänglich, für jedes Schulenglisch zwar eine umspannende Ergänzung, dennoch bleibt die Wahl mir ein Rätsel, was wohl aus der Vielzahl exzellent geschriebener amerikanischer Texte genau diesen hervorhebt?
Auch ‚Das Schild aus Macondo‘ des polnischen Professors Stanislaw Baranczak (geb. 46) ist eine dieser Abhandlungen, wie sie gerne im ‚New Yorker‘ zu finden sind, eine gelungene poetologische Betrachtung, die sich an den sechs Buchstaben der Nummernschilder von Massachusetts entzündet, ins Polnische übergreift und vierzehn vergnügliche, geistreiche Seiten lang vor sich hin flackert.
Manfred Peter Heins Gedichte sind zerbrochene Texte, Ausgriffe in weite Gefilde und der Arm schon zurückgezogen, eh er sein Ziel erreicht, Texte wie sie außerhalb der Akzente selten zu finden sind ‚Der Blick gerichtet / auf abgeschiedne Sein der / Wochenbettkammer.‘
Den Abschluss bildet eine Studie von Dietmar Voss über ‚Das Licht und die Worte‘, eine germanistisch gelehrte Kompilation einschlägiger Stellen zum Umgang mit der Licht-Metapher mit langen Reihen von name-droppings, für die ich trotz vieler eleganter Formulierungen eine Art ein öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag anführen müsste, wenn ich die Frage beantworten sollte, was wohl zum Abdruck an dieser Stelle motiviert haben könnte, aber mich fragt keiner und die hochmütige Anmaßung werde ich spätestens beim nächsten Heft abbüßen können.
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