Angst den Faden zu verlieren
Es fällt schwer Milo De Angelis Lyrik wirklich zu fassen zu bekommen, sie auf einen Punkt zu bringen. Dieser Poesie haftet einerseits etwas Flüchtiges, Flügeliges, Momentanes an, andererseits ist sie melancholisch und bleischwer.
Der 1951 in Mailand geborene und vielfach ausgezeichnete Lyriker Milo De Angelis, der sich auch durch Übersetzungen von Vergil, Racine und Baudelaire hervorgetan hat, zählt zu einer der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen italienischen Literatur.
Die Reihe Lyrik Kabinett bei Hanser hat nun eine zweisprachige Auswahl aus den sieben Gedichtbänden, die De Angelis von 1975-2010 veröffentlichte, herausgebracht und zeigt somit die gesamte schöpferische Bandbreite und den Entwicklungsweg eines nun seit vierzig Jahren Dichtenden.
Angesiedelt sind die Gedichte in der Geburtsstadt des Dichters (Draußen ist Mailand. November.) und ihrer Peripherie. Vor urbanem Hintergrund ereignen sich flüchtige, meist scheiternde zwischenmenschliche Begegnungen. Zum einzig geheiligten Ort wird der Fußballplatz. Im Spannungsfeld zwischen der rückwärtsgewandten Sehnsucht nach der Kindheit und der nach dem Tod, stehen der Schmerz über die Wirklichkeit und die Angst vor dem Wahnsinn.
So beginnt der Band auch mit einem gescheiterten Suizidversuch, betitelt S.V.: während tausend Tiere/ die Trage umringen, bannen Sanitäter/ das Unglück des schwindenden Atems/ im Milchglasfenster/ des Krankenwagens. Und vor den Augen des soeben zu den Lebenden zurückgekehrten spult sich der Film seines Lebens rückwärts ab, bis das Kind zur Befruchtung zurückkehrt/ und davor noch in den Kuß und die Helle/ eines Zimmers, der große Spiegel,/ das keimende Begehren, die Geste.
Der Anfang des Lebens liegt also in einer Geste begründet. Einer kleinen Zärtlichkeits- und Liebesbekundung. Aber über diese Gesten geht es nicht hinaus. Zwar durchzieht das Ringen um Liebe zwischen Mann und Frau das dichterische Werk, es endet aber immer im Scheitern. Es gibt die kurzanhaltenden Berührungspunkte, Andeutungen und Schemen der Liebe, aber dann wird hoffnungslos aneinander vorbeigesprochen:
„Wieso machst du das?“
„Weil ich eben so bin“, antwortet ein harter Zug in ihrer Stimme,
ein Schmerz, der nur sich
selbst gleicht. „Weil ich…
…nicht nehmen und nicht lassen kann.“ Worte ergeben sich
im Blut, Augen, hart im Neonlicht,
eisig, wissend und untröstlich
Da vermag auch die Poesie keinen Trost mehr zu spenden. Das Schreiben dient hauptsächlich gegen die Angst, den Faden zu verlieren. Ist das Einzige, was noch zusammenhält. Im Sprechakt vor dem Wahnsinn feit und den Schmerz des Alleinseins lindert. Zugleich ist es auch eine Möglichkeit, wenigstens in der Fiktion kurz mit der Welt in Berührung zu kommen. Vielleicht ist Poesie/ nur dies: das All erschaffen mit nichts.
Die metaphysischen, bzw. tröstlichen Erlebnisse finden erstaunlicherweise ganz woanders statt: auf dem Fußballplatz. Hier wird der Mannschaftssport in dem Gedicht Die Mannschaften zur Eucharistiefeier: Und ihr werdet/ diese Musik aus der Tiefe sein,/ die anrollt, die Mahlzeit zu weißen und/ sie still den Mannschaften zu reichen und mündet am Ende in eine Anrufung, ein Gebet an den Gott Fußball: führe du, Pfeil, unsere Füße/ zum Sieg und laß auf diesem Feld, einziger Gott, einzige Nachmittagsfreude/ laß alles unermeßlich werden, laß es nicht/ regnen.
Auch in dem Gedicht Die Ähnlichkeit weckt ein sportlicher Akt, der Speerwurf eine alte Sehnsucht: auf der Kampfbahn, einen Speer zu werfen,/ der die Kindheit zurückholt. Als äußerst klar ausgesprochenes Motiv steht das Wort aus dem Matthäus-Evangelium Wie ihr alle Kinder werden müßt/ damit euer sei/ das Himmelreich Pate für diesen Wunsch, von dem der Autor aber weiß Das konnte man nicht,/ doch die Ähnlichkeit war dieses. Im Versuch der Simulation kann Annäherung geschehen, das aber war es auch schon. So bleibt auch dieser Weg zur Erlösung verwehrt.
Vielleicht ist aber aus dieser Sehnsucht heraus der Band Einen Vater entfernt (1989) der zärtlichste und poetischste unter den sieben Bänden geworden.
Wie eine ursprüngliche Armutsformel/ löst sich die ganze Nahrung/ in den Herztropfen/ der ganze Schlaf/ verkrustet sich in der Materie.
Die Haltung, für die sich das lyrische Ich entscheidet, um dem Schmerz und den Unbilden des Lebens entgegenzutreten ist Demut. Und eine fatalistische Zähigkeit bis zu Letzt durchzuhalten. Das Wort zu halten steht, in jedem Sinne seiner Bedeutung, über allem.
Eines der eindrücklichsten Gedichte ist daher auch die Beschreibung des Endspurts einer Läuferin, betitelt 31. August 1941, die, schon tot, noch durch das Ziel läuft und auch das Zielband zerreißt.
Ich hab’s gehört. Die Beine bewegten sich; aber/ sie lebte schon nicht mehr.“/ „Und hat sie trotzdem das Zielband zerrissen?“/ „Ja, zerrissen“/ „Hatte sie geschworen, daß sie es zerreißen würde?“/ „Ja, sie hatte es geschworen.“
Ebenso halten sich auch die Gedichte mit erstaunlicher Zähigkeit im Schwebezustand zwischen Leben und Tod, Klarheit und Wahn. Es überrascht dann auch wenig, dass im letzten und wohl düstersten GedichtbandDieses Entschwinden der Dunkelheit in die Höfe von 2010 das Gespräch mit der Anderswelt, mit den Toten aufgenommen wird. Denn Leben ist nichts als die Unterbrechungen eines einzigen und großen/ Todes. Und was diesen Autor, was diese Gedichte einzig noch in der Welt hält, ist der Akt des Schreibens, ein Talisman des Nichts.
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