Nietzsche in Portofino
In ihrem Debütroman Die Ordnung der Sterne über Como schreibt Monika Zeiner über Gott, als würde sie gerne noch an ihn glauben, sich aber nicht recht getrauen. Ebenso verhält es sich mit der Liebe und der Schönheit des Lebens: man findet sie vor, als unumstößliche körperliche und verkörperte Tatsachen, aber das intellektuelle Erbe von Aufklärung und Moderne und ein ebenfalls im Roman herum spukender Friedrich Nietzsche als Fels des Atheismus scheinen den Glauben daran zu verbieten.
Der raunt sein altes Lied von der Sinndestruktion durch die Zeilen: die Welt, in der wir leben, ist nichts als ein Reigen sinnlicher Erscheinungen, von denen eine stets die andere ablöst, ohne dass es zwischen ihnen einen wirklichen Zusammenhang oder eine Bedeutung gäbe. Die schreibt ihr erst der Beobachter zu. Der Mensch, weil er das Chaos und den Zufall nicht ertragen kann und diese Interpretationsleistung notwendig ist, für seinen Versuch der Weltbewältigung. In Monika Zeiners Roman liest sich das dann wie folgt:
Sie wusste, dass der Schumann nichts mit Tom zu tun hatte. Sie war es, die ihn in eine direkte Verbindung zu ihm fädelte, weil sie den Zufall nicht ertragen konnte, weil der Mensch bestrebt war Zeichen und Symbole und Ordnung in alles hineinzulesen, in die Sterne, ins Meer, in schwarze Katzen von links oder grüne Autos von rechts und auch in Erinnerungsglasperlen.
Während sich Musil, Kafka, Rilke, Mann und Hoffmannsthal bemüht haben dieses Nietzschesche Sinn-Kritik zu unterlaufen, indem sie sinnhafte Erfahrungen beschrieben haben, die ohne eine sie konstruierendes Subjekt auskommen, reiht sich Monika Zeiner in die Reihe der Autoren, die versuchen das Erbe der Sinnlosigkeit zu tragen und ertragen. Nicht indem sie die Romanwelt wie etwa der Pole Witold Gombrowicz in ein von willkürlichen Zeichen überbordendes orgiastisches Chaos ausarten lässt, sondern ziemlich lässig und stilbewusst. Mit überbordender Lust am sinnlichen Beobachten und Beschreiben, in einer poetischen und ausschweifend Sprache. Und das ist auch schon der erste performative Widerspruch dieses Romans: die in theoretischen Diskursen behaupteten Sinn- und Ordnungslosigkeit, will auf der Inhaltsebene, in der bunt schillernde Blumentapeten einer wohlgeordneter Romanwelt nicht so recht ihre Entsprechung finden. Durch Monika Zeiners unbestreitbares Talent für Situationskomik, ist es eine Freude in diesem Buch über die Trostlosigkeit des Lebens zu lesen. Zudem ist diese Komödie über die Tristesse der menschlichen Existenz leichtfüßig und wohltemperiert eingebettet in die ätherisch-ästhetische Welt der klassischen Musik und der sinnenfrohen italienischen Schlager. (Ja hier kann sogar eine Aufführung moderner experimenteller Musik mit dem Schlager I found my love in Portofino enden.)
Der melancholisch-depressive Protagonist Tom Holler ist Pianist in einem erfolgreichen Jazzquartett, mit dem er gerade durch Italien tourt. Frisch getrennt von seiner Frau Hedda, die seine Passivität und seinen beständigen Zynismus nicht mehr ertragen konnte, lässt er sich mit einer Haltung relativer Wurstigkeit und kettenrauchend durch das Leben treiben. In Neapel wird er seine große Liebe Betty Morgenthal wiedersehen, die er nach dem tragischen Unfalltod seines besten Freundes Marc zehn Jahre zuvor nicht mehr gesehen hatte.
Soweit die Rahmenhandlung des Romans. In Rückblenden erzählt Monika Zeiner nun eine klassische Dreiecksgeschichte: zwei Freunde, eine Frau; eine WG im Berlin der Neunziger Jahre. Marc, der hochbegabte Komponist liebt Betty die rothaarige Gesangsstudentin, die wider den Willen ihrer Eltern ihr Medizinstudium abgebrochen hat. Betty liebt eigentlich Tom, dessen Passivität und schweigsames Wesen von Frauen gerne mit Tiefgründigkeit verwechselt wird. Und der wiederum hat nur Augen und Gedanken für seine wesentlich ältere und abweisende Klavierschülerin. Als der der Groschen bei ihm endlich fällt, bleiben Betty und ihm nur eine gemeinsame Nacht beim Zelten am Comer See und wieder die Frage, wer hat die Ordnung in die Sterne gebracht, wenn nicht der Mensch und mit den Sternen ist natürlich auch das Schicksal mit gemeint. Wer ist verantwortlich für Marcs Unfalltod unmittelbar nach dieser Liebesnacht, kann man sie in direktem Zusammenhang mit seinem tragischen Schicksal sehen, oder nicht?
Neben diesen Reflexionen über Schicksal, Schuld und Sinn, hat sich der Roman ebenfalls die nicht ganz bescheidene Aufgabe gestellt, die Frage nach der Liebe zu erörtern. Monika Zeiner, die über Liebesmelancholie im Mittelalter promoviert hat, flicht über die Figur des schrulligen Professor Breitenbach, der den beiden Freunden gelehrte Vorträge über die Geschichte der Liebe hält, weitere theoretische Diskurse in den Text hinein:
„Die Liebe.“Tom und Marc bedienten sich. Wieder sagte Breitenbach: „Nun, die Liebe“, nahm einen Schluck Tee und schwieg. Gedanken scharten sich hinter seiner Stirn. „Die Liebe“, sagte er dann zum dritten Mal, indem er sich zurücklehnte und die Hände in den Hosenbund steckte, „sie ist ja nicht mehr und nicht weniger als ein Mythos, eine Leerstelle“, sagte er. Die Liebe sei ja gar nicht existent, aber deshalb so interessant. „Wir interessieren uns ja immer, gewohnheitsmäßig“, so der beigebraune Professor, „am meisten für das, was abwesend ist, und daher kommt“, sagte er, „auch unser großes, unser besonderes Interesse für die Liebe. Die Liebe nämlich ist, “ sagte er, „Einbildung.“ (…)
„EIN-BILDUNG. Achten Sie auf das Wort!“ sagte er. „Denn wir bilden die Liebe in uns hinein, prägen das Bild dieser Liebe in unser Inneres ein“, sagte er, und dieses Wissen, fuhr er fort, dieses grandiose Wissen, hätten die Menschen der Antike und des Mittelalters den Heutigen, uns Heutigen, vorausgehabt, weil jene nämlich im Gegensatz zu uns gewusst hätten, dass diese ein-gebildete Liebe nur und immerzu absolut selbstbezüglich sein könne, aus uns selbst herauskomme und in uns selbst wieder hineingehe, ganz wie übrigens die Melancholie, „das in sich selbst eingeschlossene, sich selbst einschließende Denken“, sagte er und nahm einen Schluck Tee, der in seinem Hals hinabrumpelte.
Diese Diskurse über Liebeskonzeptionen vergangener Zeiten sind schön und erheiternd, vor allem wenn Tom z.B. darüber sinniert, dass Liebe etwas ist, das wie eine Krankheit vergeht und demzufolge irgendwas zwischen Schnupfen und Krebs sein muss. Oder Marc und Betty dabei beobachtet, wie sie diese Regionen anstrahlten mit einem inwendigen Scheinwerferlicht, das durch die Augen nach draußen strömt auf denjenigen, den man liebt und der durch eben dieses Glanzlicht der Verliebtheit erst schön wird.
Aber wiederum klafft zwischen den theoretischen Diskursen und der Romanwelt eine Lücke zwischen Behauptung und Einlösung. Monika Zeiner erzählt eine Liebesgeschichte, die zugleich eine behauptete Dekonstruktion der Liebe sein soll. Aber alles was die Protagnisten tun, tun sie getrieben aus diesem Gefühl heraus, oder aus Sehnsucht nach diesem Gefühl. Die Liebe ist die tragende Handlungsdeterminante im Roman, ohne die der Plot der verunglückten Marcs gar nicht funktionieren würde. Wenn es sie aber nicht gibt ist der ganze Roman so obsolet wie das menschliche Leben. Das ist der performative Widerspruch, dieses vor allem sprachlich und gedanklich, und in seinen Beschreibungen und Beobachtungen sehr schönen und gelungenen Romans, und auch wesentlich gravierender, als die Längen zum leicht schnulzig geratenen Ende hin.
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