Die Monster sind real
Nachdem Dewey Decimal seinen Arbeitgeber, den District Attorney Rosenblatt, am Ende von „2/14“ eigenhändig um die Ecke gebracht hat, ist der Detektiv und Auftragsmörder in Band zwei der Dewey-Decimal-Trilogie völlig auf sich selbst gestellt.
Zunächst einmal macht der Killer mit dem Putzfimmel reinen Tisch, wozu auch gehört, sich selbst aus Rosenblatts Akten zu tilgen. Dabei stößt er auf diverse Einträge, die belegen, dass fast alle hohen Tiere des verwüsteten Post-Valentins-New York mehr als nur ein bisschen Dreck am Stecken haben. So auch Senator Howard. Auf verworrene Weise ist dieser in den Mord an einer koreanischen Prostituierten und deren Kind involviert. Das Verbrechen liegt allerdings bereits achtzehn Jahre zurück und wurde damals als Kollateralschaden undurchschaubarer Territorialkämpfe in Koreatown abgetan. Doch so ganz verjährt scheint das Verbrechen noch nicht zu sein. Sobald sich die fragliche Akte in Deweys Besitz befindet, gerät er ins Kreuzfeuer einer koreanischen Motorradgang, der obskuren Cyna-corp-Organisation und natürlich des Senators höchstpersönlich.
An der Figur des Senators hat Larson sich so richtig ausgetobt: Howard ist eine abscheulich perfekte Verkörperung der Doppelmoral konservativer Politiker, ein korruptes Ekelpaket, das gerne aus der Bibel zitiert und „lautstark gegen Schwule, Abtreibung, Muslime, Gewerkschaften und für Waffen trötete, die ganze Arie eben“. Herrlich überzeichnet ist auch Howards Gemahlin, Kathleen Koch, eine ehemalige Präsidentschaftskandidatin mit Betonfrisur und ebenso verhärteten Ansichten. Als Kathleen „im patriotischen blauen Chanel-Hosenanzug und hohen Absätzen“ ihrem Privathubschrauber entsteigt, fühlt man sich an die großartige Performance von Tilda Swinton als skrupellos-charismatische Ministerin Mason im Sci-Fi-Streifen „Snowpiercer“ erinnert.
Gejagt wird Dewey außerdem von der so unwiderstehlichen wie undurchsichtigen Rose Hee, die sich bald als Fadenzieherin von Koreatown herausstellt. Und als sei das nicht genug, tauchen in der zerrissenen Erinnerung des Hauptprotagonisten immer wieder Geister der Vergangenheit auf, insbesondere ein Name, der ihn nicht mehr loslässt: Polizeichef Nic Deluccia. Einer dieser vielen Jäger muss der titelgebende „Boogie Man“ sein, der Dewey in seinen schlimmsten Alp- und Wachträumen verfolgt. „Die Monster sind real und niemand, niemand kann einen vor ihnen retten“, heißt es bereits im ersten Flashback.
Die Tücken des unzuverlässigen Erzählers setzen sich in Band zwei fort, ebenso wie Dewey sporadische Aussetzer. Da kann es schon mal vorkommen, dass Dewey am Steuer eines ihm unbekannten Fahrzeugs aufwacht, mit einer gefesselten Senatorin auf dem Rücksitz, und sich fragt: „Um was geht’s noch mal?“ Ein Glück, dass der Detektiv in seiner maximalen Hardboiled-Coolness nie die Ruhe verliert.
Der zerrüttete Anti-Held ist einem sympathisch geworden, inklusive all seiner Macken, die Larson auch im zweiten Band voll entfaltet: Seine Vorliebe für (geklaute) Paul-Smith-Anzüge und Gummihandschuhe, die Unabdingbarkeit der drei essentiellen Ps: Pillen, Pistazien und Purell®. Nicht zu vergessen „das System“, das auch in „Boogie Man“ massive zum Tragen kommt: vor elf Uhr morgens nur links abbiegen, Straßen in alphabetischer Reihenfolge bzw. in aufsteigender Bezifferung befahren. Wird Dewey durch höhere Gewalt davon abgehalten, diese Regeln zu befolgen, bekommt er Schwindelanfälle und Herzrasen. Beim Fahrstuhlfahren übrigens auch.
Es sind diese grotesken Details, die „Boogie Man“ trotz der wieder einmal etwas wirren Story zum Lesevergnügen machen. Und natürlich die lakonisch-abgeklärte Sprache, durch die gleichzeitig das Kaputte, die Melancholie der Hauptfigur und ihrer Umgebung scheint. „Die Beretta unter dem Jackett füllt die eingesunkene Stelle aus, wo mal mein Herz war“ ist so ein tragisch-schöner Satz. „Mein halbes Leben stolpere ich schon durch feuchte Treppenhäuser. Scheint eine Art Leitmotiv zu sein, eine Koda, der lausige Refrain eines langen, traurigen Songs“ ein anderer.
Tote Tauben fallen vom Himmel, Hubschrauber umsummen die Spitze des Empire State Buildings wie Kolibris, und immer wieder gerät das „monumentale Geröll des Freedom Towers“ ins Blickfeld – das zynische Wahrzeichen des postapokalyptischen New York.
Jedoch bleibt trotz all dieser eindrücklichen Bilder das Gefühl, als fehlte etwas. Rasante Action hin oder her – ein explodierender Hubschrauber über Manhattan, eine Verfolgungsjagd zu Wasser und ein Showdown an der halb zerstörten Brooklyn Bridge – der Plot wirkt merkwürdig lau. Ob es am Herbst liegt? Die Hitzewelle aus „2/14“ ist vorbei; der Winter lässt auf sich warten. Nicht heiß, nicht kalt ist das Klima. Und so wirkt auch das ganze Buch: Etwas unentschieden, nicht ganz ausgegoren. Zu offensichtlich wiederholt sich das Strickmuster aus Band eins: Statt mit einer zerschossenen Kniescheibe kämpft Dewey nun mit einer verkrüppelten Hand. Die exotische Femme Fatale heißt diesmal nicht Yveta Shapsko, sondern Rose Hee. Und wieder gibt es einen väterlichen Erzfeind, den Dewey sich vom Hals schaffen muss.
Der Rhythmus trägt, doch die Aufklärung des Verbrechens interessiert nicht wirklich. Das eigentlich Spannende klammert Larson weitgehend aus. Was ist mit Dewey passiert? Was steckt hinter seiner permanenten „Angst vor dem, was ich getan haben könnte“?
Wir hoffen auf eine Auflösung der zentralen Rätsel in Band drei. Oder zumindest einen intensiven Tauchgang in Deweys seelische Abgründe. Immerhin endet „Boogie Man“ mit einem ziemlich fiesen Cliffhanger. Und der Vorhersage eines Winters, mit dem nicht zu spaßen ist – vielleicht ein Hinweis darauf, dass es im letzten Teil ans Eingemachte geht: „Hardcore-Winde mit Hammergeschwindigkeiten. Zeug wie aus dem Alten Testament.“ Wir sind gespannt.
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