Kritik

Mensch, du ugly Fehlerwesen

PeterLicht schreibt über den und die Menschen mitten im und am Ende des Kapitalismus. Sein »Lob der Realität« ist ein verzweifeltes, aber hoffnungsvolles.
Hamburg

»Hallo, wir sind PeterLicht«, sagt PeterLicht und fängt dann an zu singen. »Du, du, du musst / dein Leben ändern.« So heißt es in »Das Ende der Beschwerde«, live eingespielt im Berliner Künstlerhaus Bethanien für die ZEIT. PeterLicht steht mit Gitarre frontal zur Kamera zu gedreht, allein: Sein Gesicht ist nicht zu sehen, weiter als bis zum Adamsapfel reicht das Bild nicht. Im Hintergrund sitzt noch jemand, vielleicht ebenfalls PeterLicht. Er spielt schräg mit dem Rücken zur Linse gedreht Klavier und singt mit dem Kopflosen im Duett: »Du, du, du / du und dein Leben / du, du, du / ihr beide müsst / dein Leben ändern.«

Als Peterlicht das erste Mal an die breite Öffentlichkeit trat, tat er es nicht. »Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf dem Sonnendeck«, tönte er 2000 mit lakonischer Stimme über verspielt-fröhlichem Electro-Pop. Der Song wurde zum Hit, Peterlicht aber zeigte sich unberührt und sein Gesicht nicht. Daran hat sich nichts geändert, weder an der scheuen Haltung gegenüber den Kameras noch der kritisch-objektivistischen zum eigenen Ich. Wenn PeterLicht nun in seinem dritten Buch Lob der Realität »ich« schreibt, dann meint er »wir« – und umgekehrt. »Wir sind Peterlicht«, sagt Peterlicht und spricht eventuell von zwei Leuten, die da Musik machen. Oder allerdings vielleicht sich und seinem Leben. Beide sind gehörig aus den Fugen geraten, beide diffundieren der (Selbst-)Abschaffung entgegen.

»Wir vom postindustriellen Zeitalter blicken auf eine trostlose Ebene: leistungsstarke, totalgebildete PLANER haben mit effektiven MASCHINEN beliebige PRODUKTE für entseelte Wesen geschaffen. Da stellt sich für einen Menschen vom Schlage der MENSCHEN die Frage: Warum da noch dabei sein? (…) Am friedlichsten wäre es, Maschinen produzierten für Maschinen.«

Was das Rainer-Maria-Rilke-Zitat im Song, das ist in Lob der Realität der Slavoj-Žižek-Duktus der lose aneinander gehängten Monologe, Dialoge, Typologien, programmatischen Gedichte und lässigen Sentenzen, die auf rund 240 Seiten von Pünktchen, Strichelchen und naiven Illustrationen umrandet werden. Der Kapitalismus, so heißt es verzweifelt zwischen den Zeilen, hat uns im Klammergriff. Atomisiert und spaltet uns, trennt uns von unseren Mitmenschen und fesselt uns an sie. Aber es gibt Hoffnung: Das Ende naht. Bald ist alles vorüber und vielleicht ein bisschen mehr wie vorher, besser sogar. PeterLicht reiht sich mit seiner apokalyptischen Konsumkritik in die Riegen von fröhlichen Untergangspropheten wie dem Ökonom Jeremy Rifkin ein, der die sharing economy und mit ihrer Ankunft das Ende des Kapitalismus voraussagt. »Freiheit« und »Möglichkeiten« sind zwei Wörter, die PeterLicht fast noch häufiger verwendet als »ich« oder »wir«.

Und doch: Soweit sind wir noch nicht gekommen. Das weiß PeterLicht, heißt uns »willkommen am krisenhaften Ende der großen Krise« und beklagt den Ich-Verlust durch Vernetzung, die Verquickung von Lebens- und Konsumwelt, von Subjekt und Industrie. Er versucht sie minutiös zu ordnen, reiht die Dinge aneinander und versucht so, dem Menschen, »the ugly Fehlerwesen«, eine Situationsbestimmung zu erleichtern. Es ist ein geradezu panischer Versuch, Ordnung in die wuchernden Diskurse bringen, während auf der anderen Seite eben diese Form von »Zuordnungszwang« lamentiert wird. PeterLicht ist nämlich auch befangen. Er kann und will zwar nicht »ja« zum Geschehen sagen, weiß aber um die Unmöglichkeit des »nein«. Das ist er halt, der Status Quo am point of no return.

Lob der Realität wird von dieser Aporie durchzogen und PeterLicht gelingt der Tanz auf der Rasierklinge nicht immer. Hier verliert er sich in defätistischer Ironie, dort in dem schwelgerischen Pathos der linken Kritik. Selbst zum »Wettentspannen« ruft er auf, ob das aber ernst gemeint ist? »konservativ is the new anti«, stimmt natürlich. Und nun? Am stärksten hingegen ist PeterLicht, der mit Kapitalismuskritik seine Brötchen verdient, wenn er seine Widersprüche wie eine offene Wunde nach außen trägt. Sich über die Wahllosigkeit der Kreativlinge amüsiert, am besten sich selbst: Schlappe 10 000 Euro verlangt die Figur PeterLicht für einen Werbejingle von einem Bauunternehmer, mit drei Strophen sind es 12 000 – Saxofonsolo ist aber umsonst.

PeterLicht, die Figur, und PeterLicht, der Liedermacher, sowie PeterLicht, die Privatperson, geben sich in Lob der Realität die Klinke in die Hand. Hier spricht der eine, dort alle. Das macht dieses Sammelsurium zwischen Protest und Poesie einerseits stark, andererseits scheint PeterLichts Kritik damit umso ohnmächtiger. Der Mensch, the ugly Fehlerwesen, ist bei PeterLicht bis zum Bersten gespannt zwischen den Polen seiner Widersprüche und Identitäten. Die Verzweiflung darüber wird von der Hoffnung nicht getilgt, aber doch etwas gelindert. Fragt sich nur: Wie ändern wir nun uns und unsere Leben? Darauf gibt PeterLicht dann doch keine Antwort. Vielleicht lümmelt er sich ja stattdessen auf dem Sonnendeck herum.

Peterlicht
Lob der Realität
Aufbau, Blumenbar
2014 · 240 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-351-05016-0

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