Ein Dichterleben
Normalerweise schreibt man in einer Rezension übers Buch, nicht übers Cover. Ausnahme: Besonders gute und besonders grausige Umschläge. Man soll ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen. Korrekt. Aber es kann fürs Buch fatal sein, wenn der Umschlag falsche Erwartungen weckt. So wie bei Reza Hajatpours wunderbarem Roman „Tage der Liebe“ (Edition Hamouda, Leipzig 2011) zum Beispiel. Oder wie bei Petra Morsbachs Roman „Dichterliebe“ (Knaus, München 2013). Mal davon abgesehen, dass das Cover eine Designkatastrophe ist, die an schlampige Buchclub-Umschläge erinnert mit dem verwaschenen, nichtssagenden Motiv, werden allenfalls Pilcher-Erwartungen erweckt. Das ist ein Jammer, ja ein Ärgernis, denn das Buch, das sich unter diesem Deckel verbirgt, ist lesenswert. Sehr sogar.
Henry Steiger war in der DDR jemand. Ein Dichter, sehr erfolgreich, mit hohen Auflagen, mit Preisen überhäuft, kein Dissident aber unangepasst. Eine Ehe in den Sand und zwei Kinder in die Welt gesetzt, stürmische Affären durchlebt, die natürlich nie gut endeten, aber das gehörte dazu. Mit der Wende bricht all das schlagartig in sich zusammen. Niemand im wiedervereinten Deutschland liest Gedichte, als subversive Kunstform, die vom Publikum goutiert weil von der Staatsmacht verdächtigt wird, taugt sie nicht mehr. Die Auflagen schrumpfen, die Ehrungen bleiben aus und damit dann auch das Geld. Henry schreibt mal hier einen Essay, mal dort einen Rundfunkbeitrag, erhält Lesehonorare, aber auch die oft nur noch als Notnagel weil jemand anderes abgesagt hat. Ein Stipendium in einem norddeutschen Künstlerhaus hält ihn Anfang der Neunziger eine Weile über Wasser.
Die anderen Künstler, Bildende wie Schreibende, kann er nicht ausstehen. Er säuft mit ihnen Abend für Abend, aber es bleibt Distanz. Henry ist das personifizierte Selbstmitleid und anderen gegenüber ein unausstehlicher Griesgram, dabei ist seine Ablehnungshaltung bloß Projektion, und im Grunde weiß er das, was es für ihn nicht besser macht. Erst recht nicht, als er sich einredet, sich in die zwanzig Jahre jüngere Debütantin Sidonie verliebt zu haben, was freilich vom ersten Augenblick an aussichtslos ist; Henry tappt von einem Fettnäpfchen ins nächste, benimmt sich ihr gegenüber wie ein Schuljunge, der zum allerersten Mal hinter einer Frau her ist. Während er per Autosuggestion versucht, sich einen neuen Frühling einzureden, werden die Tage kürzer, und dann steht da noch diese kleine Lesereise an, auf der er all die ähnlich kaputten Gestalten aus Ostzeiten wiedersehen wird...
Ja, es ist ein bürgerlicher deutscher Provinzroman um einen DDR-Dichter, der mit der Wende nicht zurechtkommt. Ein Roman also, der auf den ersten Blick all das bietet, was an der deutschen Gegenwartsprosa in der aktuellen Feuilletondebatte (teils zu Recht) kritisiert wird. Warum ist er trotzdem lesenswert? Weil seine Figuren, allen voran der Protagonist, so überzeugend sind; weil er sein Thema ernst nimmt, aber mit viel Humor; weil er in die Tiefe geht ohne zu intellektualisieren oder zu moralisieren.
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