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Kritik

Zur performatistischen Wende

Hamburg

I.
Seit etwa Mitte der 1990er Jahre werden Kunst und Literatur verstärkt die Neigung zu Metaphysik und Transzendenz unterstellt. Diese Unterstellung gründet sich weniger auf theologische Kontexte, als auf epistemologische und anthropologische. Auch die verwendeten Begriffe sind dabei – entgegen der Sprache vor dem Zweiten Weltkrieg – seltener religiös geprägt. Statt „Gott“ oder „Erlösung“, liest man „Authentizität“, „Spiritualität“ oder „Ganzheitlichkeit“.

Besagte Unterstellung erfolgt nicht nur vonseiten der (wissenschaftlichen) Rezeption, auch die Künstler*innen selbst werden nicht müde, ihrer Kunst diesen Anstrich zu geben – und das schon seit Beginn der sogenannten Modernen Kunst.

Der erste, der sich diesem Anstrich ohne gesinnungsmäßige und spezifisch religiöse Bindung der Kunst an ein religiöses Glaubensbekenntnis umfassend widmete, war in Deutschland Veit Loers, der 1995 mit seiner kunsthistorischen Ausstellung Okkultismus und Avantgarde in der Frankfurter Kunsthalle Schirn und dem gleichnamigen Forschungskatalog den Anfang einer mittlerweile gängigen Forschung machte.1

Für die Kunst- und Literaturwissenschaft jenseits bürgerlicher Klischees und epochengeschichtlicher Dogmatik, aber vor allem für die heutige Kultur- und Religionswissenschaft, stellt eine solche Forschung unlängst nichts besonderes mehr dar, war sie auch Mitte der Neunziger aus der Sicht akademischer Hegemonie noch so sehr ein skurriles und zweifelhaftes Unterfangen. Ab 2000 hagelte es dann Publikationen zum Thema.2

Die systematischen Arbeiten zum besagten Phänomen stellen dieser Tage den wirklich spannenden Forschungsteil dar. Nicht mehr so sehr reizt die Tatsache, dass es kaum Künstler*innen der Kunst vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gab, die sich nicht mit Transzendenz und Metaphysik ganz gleich welcher Prägung auseinandersetzten und inspirieren ließen. Vielmehr untersucht man nun auch zeitgenössische Kunst und Literatur, entwirft interdisziplinäre Programme zum Thema, um nicht nur akademisch an die Sache heranzugehen, und berücksichtigt so die Meinungen von Künstler*innen und Rezipient*innen gleichermaßen.3 Selbstverständlich sind die weltanschaulichen Kontexte als historische Inspirationsquellen von systematischen, kunst- und literaturwissenschaftlichen Analysen nicht zu trennen, der Fokus liegt mittlerweile jedoch auf den werkimmanenten Untersuchungen.

Das aktuellste Beispiel einer literarischen Debatte, die das Thema berührt, ist das Anthropozän-Projekt, das sich auf die Gegenwartsliteratur (vor allem auf die Lyrik4) und ihre Diskurse ausgewirkt hat. Die grundlegende These, die sich dahinter verbirgt, stammt diesmal nicht aus dem Inspirationsfeld institutioneller oder nicht-institutioneller Religionen, Okkultismus oder New Age, sondern aus der Naturwissenschaft, und ist deswegen nicht weniger metaphysisch. Auch an den Deutungen aktueller Literatur vor dem Hintergrund der Anthropozän-These lässt sich die oben erwähnte Neigung zu Metaphysik und Transzendenz zeigen. Schließlich handelt es sich bei diesem neuen Erdzeitalter nicht um ein geologisch beobachtetes Phänomen, sondern allein um ein transzendentales Erkenntnismittel, das auf eine fiktive Zukunft verweist, um gegenwärtig Aussagen treffen zu können.5

Bei einem allgemeinen Transzendenz-Begriff, der nicht nur theologische Überlegungen mit einschließt (oder sogar ausschließt), stattdessen anthropologische und epistemologische fokussiert, bedient sich ein weiteres aktuelles Beispiel: das Performatismus-Projekt des Slawisten Raoul Eshelman.

Eshelmans These vom Ende der Postmoderne und Beginn einer Epoche, die er Performatismus nennt, blieb bisher nur dem akademischen Kontext vorbehalten, und dies obgleich sich Eshelman wünschte, dass sich seine Arbeiten in den Praxen jener Felder, die er selbst als „Kultur“ bezeichnet, verbreiten.6 Wie so oft, blieben auch Eshelmans literaturwissenschaftliche Überlegungen sowie seine sehr interessanten Analysen populärer Romane, Filme und Kunstwerke im ‚esoterischen Zirkel’ akademischer Publikationspraxis hängen.

Umso erfreulicher ist nun, dass es sich der Phänomen Verlag zur Aufgabe gemacht hat, Eshelmans Thesen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Im Vorwort des jüngst erschienenen und im Folgenden besprochenen Buches bedankt sich Eshelman sogar bei seinem Verleger für den Versuch einer Popularisierung der Performatismus-These. Das ist das Verdienst eines Verlages, der mit seinem Programm exakt jene Inspirationsquellen bedient, die die besagte Neigung zu Metaphysik in der Kunst verbriefen: Yoga, Spiritualität, New Age, Kybernetik, Systemtheorie und Ökologie.7 Auffallend neu ist nun die literatur- und kunstwissenschaftliche Ausrichtung des Verlagsprogramms durch Eshelmans Buch.

Die Stärken des Buches liegen in der Analyse zeitgenössischer Kunstwerke, Romane, Filme und Architektur. Die vom Autor herausgearbeiteten Kriterien für die Deutung eines steigenden Einflusses von Transzendenz und generell metaphysischer Kontexte in der Kunst seit den 1990er Jahren ist sehr überzeugend. Sie sind mit umfangreichen Beispielen (wenn auch ausschließlich populärer Werke) belegt und stellen für den allgemeinen Diskurs um die Frage nach dem Stellenwert metaphysischer und transzendentaler Ansätze in der Kunst sicher eine gute Ergänzung dar. So zeigen sich etwa interessante Parallelen zur Rolle performativer Inszenierung der sogenannten Anthropozänliteratur. Auch hier wird ja das metaphysische Konstrukt einer fiktiven Erdzeit performativ hervorgehoben.8

In seinem neuen Buch betrachtet Eshelman leider seine These nicht vor dem Hintergrund allgemein kunstwissenschaftlicher Diskurse und Debatten, stattdessen will er seine Überlegungen selbst als originären, epochenbildenden Beitrag verstanden wissen, der – und jetzt kommt die Crux des Buches – die Postmoderne für beendet erklären soll, um eine „kulturelle Erneuerung voranzutreiben“ (S. 154) und den „Performatismus als eine prinzipiell neue historische Etappe“ (S. 136) auszurufen.

Bevor ich auf diesen normativen Zug des Buches noch eingehe, möchte ich zunächst die Kriterien für performatistische Kunst nach Eshelman nachzeichnen. Im erhellenden Kapitel über performatistisches Erzählen (aber nicht nur hier) spricht der Autor über die „beständigen Grundelemente“ (S. 65) seines Ansatzes; hiernach unterscheidet es sich vom postmodernen Erzählen insbesondere durch eine Erzähltechnik, die er „doppelte Rahmung“ nennt. Ein belletristischer Text der Postpostmoderne ermögliche verbindliche Identifikationen mit den Figuren durch eine „Verklammerung von Handlung und Erzählweise“, die für eine starke Auktorialität sorgt. Wie geht das? Nun, die Autorin inszeniert eine überindividuelle, ja göttliche Kraft, die das Geschehen im Text beeinflusst oder beeinflussen könnte. Gleichzeitig suggeriert sie die Wirkung dieser impliziten Kraft formal durch die Art und Weise ihres Schreibens. Doppelt ist die Rahmung deshalb, weil sie den Inhalt im Text auch formal durch eine „starke auktoriale Hand“ (S. 174) kennzeichnet, somit eine „bestimmte Richtung“ vorgibt und einen Glauben an jene im Text beschworene Kraft bei ihren Leser*innen simuliert. Diese Simulation des Glaubens z. B. an das „Unwahrscheinliche, […] Fantastische“ oder einfach an andere Personen (S. 170) durch die doppelte Rahmung ist der wirklich interessante Kerngedanke des Performatismus. Besagte überindividuelle Kraft zeigt sich aber nicht zwingend als Gott oder Schicksal, sondern vor allem in immanenten Werten und einer „indirekten Transzendenz“ (S. 61).

„Normalerweise setzen wir […] Transzendenzdarstellungen in Klammern, wenn wir ein Erzählwerk lesen oder anschauen – wir wissen ja, dass Tote nicht reden können, dass Superman nicht fliegen kann oder dass es keine Marsmännchen gibt, aber wir sehen vorübergehend darüber hinweg, damit die internen Regeln der Erzählung logisch zusammenhängend bleiben.“9

Die Richtung, die durch performatistisches Erzählen vorgegeben und zur Nachahmung (mimesis) drängt, hat nach Eshelman verstärkt Identifikationen der Leser*innen mit den Figuren des Textes zur Folge. Die „äußere Werkebene“ verbindet sozusagen die „inneren Szene[n]“ (S. 174) durch das Vorgeben einer positiven Instanz und somit optimistischen Grundhaltung, die laut Eshelman dem Bewusstsein zeitgenössischer Leser*innen entspräche. Das alles begründet er mit dem anthropologisch bedingten, ‚ganzheitlichen Zugang’ zum Werk10, in dem nicht nur eine rationale Verständigung möglich ist, sondern der Fokus eher auf eine intuitive Verständigung gelegt wird. Performatistische Kunst favorisiert also eine Hervorhebung des aktiven Subjekts in der Form, dass es nicht nur Produkt gesellschaftlicher Diskurse ist, die im Werk durch kritisches Bewusstsein wahrnehmbar werden sollen, sondern sich durch die „Wiederbelebung des Autors“ auch affirmativ und mimetisch erst an die subjektive, dann an die gesellschaftliche Umgebung ankoppelt.11

II.
So reizvoll die systematischen Analysen Eshelmans sind, so überaus fragwürdig sind seine Versuche, die an Filmen, Romanen und anderen Kunstwerken gewonnenen Erkenntnisse auf sozialphilosophische Felder und Individuen zu übertragen.

„Dabei erscheint der Mensch in der Postmoderne stark verflacht und fremdbestimmt. Wichtig ist nicht mehr eine innere, authentische Tiefendimension, sondern der äußere, unendlich variable Kontext, der geradlinige Absichten auflaufen oder aber ins Leere laufen lässt.“12

Oder als Abgrenzung von angeblichen „Attitüden der Postmoderne“ (S. 151) lesen wir:

„Die endlose, desillusionierende Hinterfragung der hehren Prinzipien der abendländischen Kultur und Gesellschaft mag noch einen gewissen akademischen Reiz haben, in Verbindung mit Literatur, Kunst, Film und Drama ödet sie aber nur noch an – und verfehlt dementsprechend ihr kritisches Ziel.“13

Was sind das für platte Aussagen, die wertender und normativer nicht sein könnten? Und wie passen diese zu den sonst so aufschlussreichen literatur-, architektur- und kunstwissenschaftlichen Analysen? ––

An anderer Stelle beschreibt Eshelman auf der Basis von Literatur- und Filmanalysen auch ethische Veränderungen seiner neuen Epoche (S. 101), die im glatten Widerspruch zur Bemerkung stehen, die er zu Beginn des Buches macht. Dort wird betont, dass seine Überlegungen im vorliegenden Buch nicht um „gender-, medien- und ethik-bezogene Fragestellungen“ (S. 29) ergänzt werden. Das ist schade, denn genau diese Disziplinen hätten seinen Übertrag auf sozialphilosophische Felder sicher reflektierter erscheinen gelassen. Der sogenannten Postmoderne eine Opferethik zu attestieren und dem Performatismus eine Täterethik, verfehlt auch die Bemühungen eines erklärtermaßen populärwissenschaftlichen Buches. Hier schwelt möglicherweise ein konservativer Reflex auf ethische Werte wie Antidiskriminierung, die sich immer an Minderheiten orientieren, im Hintergrund.

Ähnlich verhält es sich mit der generellen These, dass im Rahmen einer performatistischen Wende nun der Glaube zurückkehre. Nur ein kurzer Blick auf religionswissenschaftliche Forschungen der letzten zwei Jahrzehnte hätte ausgereicht, um zu erkennen, dass aus der Sicht der Religionssoziologie Glaube und Religion nie wirklich verschwunden waren, sondern sich nur andere Erscheinungsformen gesucht haben.14 So beginnt das Buch auch mit der Behauptung, dass „[u]nsere Kultur“ eine „säkulare“ (S. 17) sei und ebenso mutet der Buchtitel vor einem religionswissenschaftlichen Hintergrund wenig reflektiert an. Er verfehlt auch meines Erachtens das eigentliche Thema des Buches, denn wie Eshelman ja selbst betont, handelt es sich bei der von ihm analysierten Literatur und Kunst in der Epoche des Performatismus gerade nicht um eine Instrumentalisierung künstlerischer Praxen durch die Religion oder den Glauben, sondern um eine künstlerische Simulation von Glaube und indirekter Transzendenz auf Werkebene.15

Der Popularisierung der Performatismus-These ist ebenso die nicht unproblematische Verwendung von bestimmten Begriffen zum Opfer gefallen. Problematisch ist die Tatsache, dass einem bestimmte Begriffe und Wendungen ohne Erklärung einfach vorgesetzt werden. Zentrale Konzepte für Eshelmans Projekt stellen etwa „Kultur“ oder „Ästhetik“ oder „Schönheit“ dar. Diese Begriffe erläutert der Autor leider nicht; er verwendet sie dagegen erneut auf normative und essentialistische Art und Weise. Er setzt voraus, dass seine Leser*innen wissen, was er mit „naturgegebener Schönheit“ (S. 23) oder „wirkliche[r] Schönheit“ (S. 24) meint. Das kann er aber bei solch tendenziösen Begriffen meines Erachtens nicht tun. Und auch zu behaupten, die philosophische Disziplin der Ästhetik befasse sich mit der „Untersuchung des Schönen“ (S. 83) greift sicher viel zu kurz.

Das größte Problem des Buches ist allerdings die alles durchdringende (zu starke) Prämisse, dass Kulturgeschichte oder Geschichte im Allgemeinen einem linearen Verlauf folge und anhand von bestimmten Epochen unterteilt werden könne. Dass eine solche Vorstellung heute nicht mehr konsensfähig ist, beklagt der Autor am Ende seines Buches sogar. An poststrukturalistischen Positionen fehlt ihm eine „geradlinige oder folgerichtige Entwicklung“ (S. 159) der Geschichte. Eshelman nutzt die Epocheneinteilung folglich nicht nur als Erkenntnisinstrument oder methodische Schablone, die ihm bei seinen Interpretation helfen könnte, er lässt mit seiner Prämisse einer ontologisch anmutenden Abfolge von Moderne, Postmoderne und Postpostmoderne (also Performatismus), eine mehr als fragwürdige Position offenkundig werden, die man auch Leser*innen populärwissenschaftlicher Bücher sicher nicht zumuten kann. Man muss noch nicht gleich an den Versuch einer Reanimation des Evolutionismus eines Herbert Spencers denken oder Eurozentrismus wittern, mit einer Analyse zeitgenössischer Kunst und Literatur allerdings eine zugleich so reaktionäre und kulturkritische Aura zu beschwören (S. 164ff.), kann sicher nicht im Sinne einer reflektierten Deutung sein, die die besagte Neigung zu Metaphysik und Transzendenz in Kunst und Literatur zum Thema hat.

Das Problem der zu starken Prämisse zeigt sich daher rückwirkend auch an den systematischen Analysen selbst. Die für den Performatismus so zentralen Bezugsgrößen – Intuition, Transzendenz, Glaube, Ganzheitlichkeit usw. – sind ja keine genuinen Größen der Literatur und Kunst seit den 1990er Jahren. Ganz im Gegenteil, vor allem die Akteur*innen der Kunst von vor dem Zweiten Weltkrieg operierten exakt mit diesen Vorstellungswerten. Wer einmal den Blauen Reiter Almanach oder Walter Gropius’ frühe Überlegungen zum Bauhaus gelesen hat, kann an Eshelmans Bezugsgrößen nichts Exklusives für unsere Tage erkennen. Es waren damals die treibenden weltanschaulichen Werte für Architektur und Kunst. Das von Eshelman angeführte und aufschlussreiche Beispiel des Sony Centers in Berlin etwa sowie seine Deutung eines „transzendenten Ornamentalismus“ (S. 123) ist doch allein keine gegenwärtige Erscheinung. Dieselben Eigenschaften, die Eshelman hier so explizit für den Performatismus erarbeitet (und zwecks Abgrenzung von der Postmoderne verwendet), lassen sich doch für nahezu jedes Jugendstil-Gebäude, aber auch spätere Architektur zusammenstellen.

Noch einmal: Eshelmans architektursystematischen Überlegungen zeitgenössischer Bauwerke sind ein Gewinn, sie stehen aber für sich und brauchen weder epochengeschichtliche Dogmatik, noch einen normativen Über- oder Unterbau, der eine neue Epoche der Kulturgeschichte verbürgen soll. Letzteres schlägt genauso fehl, wie auch der Versuch, die Analysen der Kunstwerke als Grundlage einer gewünschten Exklusivität zu verwenden.

„Doch geht es hier vielmehr um die Inszenierung von Einheit und Transzendenz – also um einen Gestus, der für die Postmoderne keinesfalls annehmbar ist.“16

Allein bezogen auf die Architekturgeschichte – im Übrigen die einzige Disziplin, in der der Begriff der Postmoderne konsensfähig ist – mag dies zutreffen, doch waren Transzendenz und Einheit genauso Werte der Architektur der sogenannten Moderne. Exemplarisch hierfür können Walter Gropius’ Worte sein. In Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhauses von 1923 behauptet er im metaphernreichen Stil, dass der Mensch sich nur „durch seine Intuition“ erfinde, die wiederum darin bestehe, dass sie eine „metaphysische Kraft“ sei, die der Mensch „aus dem All saugt“, um schließlich dem zentralen Motiv seiner Epoche gerecht zu werden: dem „Weg der Synthese“17.

Zusammengefasst: Ein qualifizierter Beitrag zur Frage nach dem Stellenwert metaphysischer und transzendentaler Ansätze in Kunst und Literatur dieser Tage, kann sicher nicht in einer Skeptizismus-, Diskurs- oder Ironie-Schelte bestehen. Die Krittelei dieser, schon so oft abgewatschten Eigenschaften, die man gemeinhin – und Eshelman macht hier keine Ausnahme – der sogenannten Postmoderne zuschreibt, bestätigt nichts weiter als gewohnte konservative Reflexe auf eine komplexe und komplexer werdende Welt. Die Lebenspraxis „Kunst“ macht hier im Übrigen keine Ausnahme. Dabei sind es keinesfalls die normativen Überlegungen wie sie Eshelman in seinem neuen Buch anstellt, die andere Eigenschaften als Ironie, Skeptizismus oder sonstige „Attitüden der Postmoderne“ (S. 151) zutage fördern. Das allein können nur reflektierte Beiträge zur allgemeinen Debatte leisten. Was meint reflektierte Beiträge? Beiträge, die die sozialen Verständigungsprozesse (Diskurse) einer Lebenspraxis „Kunst“ berücksichtigen (und nicht ablehnen), denn diese sind doch nicht zuletzt maßgeblich für eine von anderen Praxen (Religion, Politik, Ethik oder Pädagogik) autonome Vorstellung von Kunst.

  • 1. Vgl. Veit Loers (Hg.):Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900-1915. Frankfurt: Edition Tertium, 1995.
  • 2. Vgl. z. B. Astrid Kury: Heiligenscheine eines elektrischen Jahrhunderts sehen anders aus. Okkultismus und die Kunst der Wiener Moderne. Wien: Passagen, 2000. Robert Stockhammer: Zaubertexte. Die Wiederkehr der Magie und die Literatur 1880-1945. Berlin: Akademie, 2000. Priska Pytlik: Okkultismus und Moderne. Ein kulturhistorisches Phänomen und seine Bedeutung für die Literatur um 1900. Paderborn: Schöningh, 2005. Christoph Wagner (Hg.): Das Bauhaus und die Esoterik. Johannes Itten – Wassily Kandinsky – Paul Klee. Bielefeld: Kerber, 2005. Claudia Dichter et al. (Hg.): The Message. Kunst und Okkultismus. Art and Occultism. Köln: König, 2007. Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation. Tübingen: Niemeyer, 2008. Hans-Günther Richter: Diesseits und Jenseits in der Kunst von Außenseitern und Spiritisten. Frankfurt: Lang, 2009.
  • 3. Für ein aktuelles Beispiel aus der Literatur vgl. das Literaturmagazin POET 19 (2015).
  • 4. Vgl. Anja Bayer / Daniela Seel (Hg.): All dies hier, Majestät, ist deins. Lyrik im Anthropozän. Berlin: kookbooks, 2016.
  • 5. Daniel Falb: Anthropozän. Dichtung in der Gegenwartsgeologie. Berlin: Verlagshaus Berlin, 2015. S. 10ff.
  • 6. Nur eine kleine Auswahl: Raoul Eshelman: Der Performatismus oder das Ende der Postmoderne. Ein Versuch. Wiener Slawistischer Almanach 46 (2000). S. 149-173. Ders.: Performatism, or the End of Postmodernism. Aurora: Davies Group, 2008. Ders.: Transzendente Räume. Performatismus in der zeitgenössischen Fotografie: Alina Kisinas Serien. In Irina Hron (Hg.): Einheitsdenken. Figuren von Ganzheit, Präsenz und Transzendenz nach der Postmoderne. Nordhausen: Bautz, 2015. S. 199-222.
  • 7. Übrigens sind dies auch die Inspirationsfelder vieler Akteur*innen rund um die Anthropozän-These. Vgl. Falb 2015, S. 20.
  • 8. „Anthropozän ist viel weniger ein Objekt der Wissenschaften als ein Performativ-Werden dieser Wissenschaften selbst.“ Siehe Falb 2015, S. 15.
  • 9. Raoul Eshelman: Die Rückkehr des Glaubens. Zur performatistischen Wende in der Kultur. Hamburg: Phänomen, 2016. S. 61.
  • 10. Das wusste ja schon Kant, für den das ästhetische Urteil immer durch das Zusammenspiel von verstandesmäßiger Erkenntnisfähigkeit und geschmäcklerischem Wohlgefallen zustande kommt.
  • 11. Vgl. Eshelman 2016, S. 87.
  • 12. Eshelman 2016, S. 27.
  • 13. Eshelman 2016, S. 151.
  • 14. Vgl. Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion. Frankfurt: Suhrkamp, 1991. Sowie Christoph Bochinger et al.: Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion. Formen spiritueller Orientierung in der religiösen Gegenwartskultur. Stuttgart: Kohlhammer, 2009.
  • 15. Zur Instrumentalisierung der Kunst heute und einer zeitgemäßen Kontextualisierung von Ästhetik und Ethik vgl. Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik. Berlin 2015.
  • 16. Eshelman 2016, S. 41.
  • 17. Walter Gropius: Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhauses. In: Staatliches Bauhaus Weimar 1919-1923. Weimar, München: Bauhausverlag, 1923. S. 12.
Raoul Eshelman
Die Rückkehr des Glaubens – Zur performatistischen Wende in der Kultur
Phänomen
2016 · 180 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-84-946284-1-2

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