Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Farbe bekennen

Hamburg

Es ist eher Zwangsläufigkeit als Leidenschaft, die Michael Lucy heiraten lässt. Ein Mädchen, von dem er bislang nicht ahnte, dass es mehrere Millionen Dollar schwer ist, diese Tatsache eröffnet sie ihm erst während der Flitterwochen. Es wäre also genug Geld vorhanden, damit sich Michael ohne finanzielle Sorgen ganz und gar dem Schreiben widmen könnte. Aber für Michael kommt es nicht in Frage, auf Lucys Geld zurückzugreifen. Er möchte alles aus eigener Kraft schaffen. So teilt er Zeit und Energie zwischen Lohnjobs und dem Schreiben auf, und die beiden leben in billigen Behausungen. Zunächst zu zweit und dann mit Laura, ihrer Tochter, die bald geboren wird. So rutschen die Davenports, trotz aller Ambitionen, immer tiefer in ein kleinbürgerliches Leben. Vielleicht ist das der Grund, warum sich Michael jedem, den er kennenlernt, unterlegen fühlt.

„Natürlich scheint das meistens keine Rolle zu spielen: Man kommt durch; man kommt zurecht; die Kinder kommen zur Welt und werden größer, und schon bald bleibt man bloß noch wach, bis es Zeit ist, schlafen zu gehen.“

Das Problem von Yates Paar ist, das sie keine Leidenschaft für irgendetwas haben, sondern an sich selbst leiden.

Die Ehe scheitert als Laura neun Jahre alt ist. Kaum ein Jahr später, als Lucy mit ihrem neuen Liebhaber, einem Regisseur, „Endstation Sehnsucht“ probt, erleidet Michael seinen ersten Nervenzusammenbruch. Das ist sehr geschickt angeordnet, und Yates versteht es meisterhaft das Stück und die Realität der Davenports miteinander zu spiegeln.

Dass es der Hunger nach Bedeutsamkeit ist, der Lucy und Michael gemeinsam ist, wird noch deutlicher, als Yates ihre Geschichten nach der Trennung gesondert erzählt. Michael hat diese Sehnsucht immer wieder in peinliche Situationen gebracht, in Lucys Fall wird es während der Premiere des Theaterstücks deutlich, als sie so stolz auf ihre herausragende Leistung ist, bevor Jack, ihr Liebhaber, ihr sagt:

„[...] dass dein ganzer Auftritt heute Abend … theatralisch war. Du hast fast so gespielt, als ob keiner von uns Übrigen da wäre. Du hast allen anderen ständig die Schau gestohlen, und das ist keine gute Idee, weil es auffällt. Das Publikum kann es sehen.“

Yates bricht die Handlung des Romans immer wieder mit Literatur, mit dem Theaterstück, oder mit dem Sprechen über Literatur in einem Creative Writing Seminar, das Lucy besucht. Die Szenen, die sich in diesem Raum abspielen sind nicht nur sehr gekonnt, es wirkt auch, als würde sich Yates selbst über die Schulter blicken und lächeln. Überhaupt scheint es als würde Yates in diesem Roman mit eigenen Fehlern, Vorsätzen und Vorstellungen vom Schreiben spielen.

„Wie konnte man bloß lernen, dem, was man sich ausgedacht hatte, zu vertrauen?“

Diese, zunächst rein „künstlerische“ Frage weitet der Roman „Eine strahlende Zukunft“ auf die gesamte Lebensführung aus.

George Kelly, ein Kommilitone aus dem Schreibseminar Lucys, erwähnt an einer Stelle, dass der Unterschied zwischen starken und schwachen Menschen sich bei näherer Betrachtung auflöst.

Diesen Unterschied mag es möglicherweise nicht geben, aber es gibt Menschen, die alles tun, um von den anderen Bestätigung zu erhalten und diejenigen, die in erster Linie an das glauben, was sie tun. Um diesen Unterschied geht es in „Eine strahlende Zukunft“.  Und darum, wie schmal der Grat ist, der die einen von den anderen trennt.

Nachzulesen, wie Lucy in mehreren kreativen Disziplinen scheitert, wie Michael noch einmal heiratet, eine Frau, die nur wenig älter ist als seine Tochter, und wie immer wieder alles zerbricht, lohnt sich sehr. Yates beschreibt die unsicheren, bedürftigen Menschen, die seinen Roman bevölkern, schmerzhaft gut.

Zum Schluss, nur so viel will ich verraten, treffen Lucy und Michael noch einmal aufeinander. Und es ist ein trauriges, aber auch gelassenes Nachhause kommen, ein Ankommen bei sich selbst, in der unvermeidbaren Einsamkeit, gegen die man nicht länger ankämpft.

Bezeichnenderweise trägt das Gedicht, für das Michael Zeit seines Lebens die größte Anerkennung erfahren hat, den Titel „Farbe bekennen“ und genau das tut er am Ende von „Eine strahlende Zukunft“, und lässt damit vielleicht zum ersten Mal das Schwierige leicht aussehen.

Farbe bekennen. Manchmal heißt das einfach nur das Grau des eigenen Lebens wahr- und hinzunehmen.

 

 

Richard Yates
Eine strahlende Zukunft
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
DVA
2014 · 496 Seiten · 22,99 Euro
ISBN:
978-3-421-04611-6

Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge