Widerständiges, auch heute
Als der Zweite Weltkrieg beendet war, meinten viele, es sei für das, was unglücklich genug Vergangenheitsbewältigung geheißen wurde, zu früh. Bald darauf war das Geschehene schon ewig vergangen. Zeugnisse jener Tage sind bis heute nicht hinreichend gelesen, abstrakte Rituale haben das authentische Interesse zu oft verdrängt.
Schoschana Rabinovicis Dank meiner Mutter ist ein zunächst im Verlag der Gedenkstätte Yad Vashem publizierter Text – es wäre eines jener Bücher, mit denen man gegen dieses vielgestaltige Desinteresse ankämpfen könnte. In seiner Präzision und Nüchternheit, der fein beobachtenden Psychologie der Autorin, dem Gespür für Mechanismen im sozialen Gefüge der Täter wie der Opfer und schließlich der Nuanciertheit ist dieser Text ein lesenswertes Dokument und – implizit, vielleicht darum so eindringlich – Memento.
Berichtet wird von einer Kindheit, worin gutbürgerlich vor dem Nachwuchs noch in fremder (nämlich russischer) Sprache gestritten wird, normalen, also das Kind verschonenden Verhältnissen; bis man es nicht mehr verschonen kann, bis der Wahnsinn des Antisemitismus bis ins Innerste der Familie drängt, wobei selbst die Erwachsenen noch die Tragweite nicht zu glauben vermögen – die Illusion, es liege dem ein irgend vernünftiges Kalkül, ein Argument, eine wenngleich bizarre Ordnung zugrunde, sie wird selbstmörderisch. Man hole nur Männer ab, man hole sie nur zur Arbeit ab... Schon ehe die Tragweite den Menschen, zumal den Kindern, ahnbar wird, gilt: „Von diesem Tag an [...] hörten wir Kinder auf zu spielen.” Die Verkehrung der Realität, es läge jeder Aktion eine Provokation voraus, aber dann auch der Widerstand werden hier knapp und klar geschildert.
Was aber ist Widerstand? Es ist die vorausblickende Manipulation der Spielregeln, die längst ihrerseits Ideologeme und deren grausige Kristallisation sind: Scheine, die Arbeitswichtigkeit bestätigen, zu fälschen, aber auch die Frage, ob Aufstand, der Leben koste, oder Kooperation, die sie vielleicht rette, aber die Moral brechen mag, günstig zu beantworten. Widerstand bedeutet Leben, ob in „Selektionen” mit einfachster Kosmetik, ob durch den fast brutalen Griff nach dem Kind. „Die Angst heißt nicht Angst, sie hat viele Namen”, schrieb Tucholsky, ebenso hat der Widerstand viele Namen und Gesichter.
Dieser Widerstand ist noch das Weiterleben, aber auch, zu wissen, daß das Weiterleben sich nicht arrangieren dürfe, es „wäre ein Glück”, so Doron Rabinovici im Gespräch mit seiner Mutter Schoschana, wenn wir das Geschehene „als Episode der Weltgeschichte beenden könnten”, daß es aber so nicht ist, davon zeugen die nicht heilenden Wunden, die Indikatoren einer Kontinuität sein mögen...
Davon und von noch viel mehr berichtet diese kompakte, exakte Erinnerung, die man lesen soll. Erinnerung ist nicht, was das Beschweigen offiziöser Erinnerung betreibt, Erinnerung ist hier, sie zu lesen mag Leser schließlich bezeugen lassen, was war – und nie wieder sein soll.
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