Ein Aufklärer mit Revolver
Detective Inspector Platon Ahorn ist ein kerniges Kerlchen. So einer mit Weit-mehr-als-drei-Tage-Bart, frecher Schnauze, locker sitzendem Revolver und einem Hang zu schnellem Handeln. Er mag die wenigsten Menschen, insbesondere die verweichlichten gehen ihm auf die Nerven. Ausnahmen macht er für die hübschen, vor allem die mit Brüsten. Detective Inspector Platon Ahorn ist eben ein einsamer Wolf, der seine Problemchen mit autoritären Strukturen und Hierarchien hat. Ein harter Hund, wie er in vielen Büchern steht. Die Bücher, die es für wenig Geld im Bahnhofsbuchhandel zu kaufen gibt. Die mit den bunten Zeichnungen auf dem Cover, die sich in Drehständern aneinanderreihen.
Natürlich glaubt Detective Inspector Platon Ahorn nicht an Gott, sondern nur an sich selbst. An seinen Verstand, vereinzelt sogar an den anderer Menschen. Religion aber ist ihm zuwider. Pech nur, dass ihn sein Auftrag nach Gondwana führt, das irdische Paradies, das früher als die Galapagos-Inseln bekannt war. Dort findet er sich im beseelten Herz der Totalökumene wieder, die in dieser nicht allzu fernen Zukunft längst die Politik ersetzt hat. Die ganze Welt ist zu einem multikonfessionellen Gottesstaat geworden, in dem alle monotheistischen Religionen sich zu einem friedlichen Zusammenleben unter Einhaltung aller religiösen Gesetze einigen konnten. In Gondwana, diesem Global Prayground, leben die frommsten aller Schäfchen, handselektiert, strikt abstinent und rundum glücklich. Wenn so der Himmel aussieht, kann die Hölle gar nicht so schlimm sein, denkt sich Detective Inspector Platon Ahorn.
Er muss aber, wie wir das aus den billigen Heftchen aus dem Bahnhofsbuchhandel kennen, nun leider einen Mord aufklären. Natürlich stößt er auf eine Mauer des – für sein Empfinden viel zu beredtes – Schweigens, natürlich kommt er nach und nach einem ungeheuerlichen Komplott auf die Spur, natürlich lenkt ihn die schöne Undercover-Feministin Jane mit ihren Reizen ab, natürlich rennt ihm die Zeit davon, denn am Horizont zeichnet sich ein Attentat am heiligsten aller Feiertage ab. Er muss also, natürlich, die Welt retten. Ganz schön anstrengend bei einer solchen Hitze, ohne einen Drink oder eine Portion Gänsestopfleber in Reichweite zu wissen.
Der von seinem mysteriösen Auftraggeber José Gaarder, Chef der internationalen Glaubensgemeinschaft, stetig mit SMS zur schnellstmöglichen Aufklärung des Falls ermahnte Detective Inspector Platon Ahorn tut das in dieser Situation einzig Richtige: Er dreht durch. Irgendwann weiß er, dieser prototypische Draufgänger, kaum mehr, wer er wirklich ist. Bis er feststellen muss, dass er in Wirklichkeit nicht er selbst ist. Das ist ein irrer Twist, dem noch ein Twist folgt, der aber nur den wirklich durchgedrehten Abschlusstwist vorbereitet. Erst am Ende steht die Gerechtigkeit in Aussicht, denn, klar: Die muss schon sein.
Simon Urbans zweiter Roman nach seinem 2011 erschienenen Debüt Plan D gibt sich kaum weniger verquer als der Erstling. Mit Hingabe beutet Urban sämtliche Stereotype des Pulp-Genres, die gesammelten Tropen des Agenten-Universums und sleazige Comic-Klischees aus. Mit Ralph Niese hat er jemanden gefunden, der das sogar mit grellen Comic-Interludes gekonnt komplimentiert und der sowieso schon anschaulich erzählten Story die passenden Bilder beiseite stellt. Von den Büchern, die es für wenig Geld im Bahnhofbuchshandel am Ständer zu kaufen gibt, unterscheidet Gondwana jedoch einiges.
Die überzogene Stereotypie der frömmelnden Randfiguren und die allgemeine Bizarrerie dieser Gemeinschaft, in der Spiegel, Fleisch und Alkohol verboten sind, entspringen einem irren Humor, der sich bei aller Liebe zu fabulierenden Dialogen, grausigen Wortspielen und kantigen Charakteren ironisch von seiner eigenen Abgeschmacktheit zu distanzieren versteht. Urban reproduziert die Vielzahl von Klischees nur, um hemmungslos mit ihnen zu spielen. Ebenso brachial wie feinsinnig, zynisch wie liebevoll konstruiert Urban aus den tradierten, von altbekannten Antihelden geliehenen Versatzstücken einen neuen Typus Held.
So zeichnet sich Detective Inspector Platon Ahorn durch einen weicheren Kern aus, als es die harte Schale und die markigen Sprüche vermuten lassen. Tatsächlich geht ihm vor allem das patriarchalische System auf die Nerven. Nicht nur, weil die Frauen des Gottesstaats ganzkörperverhüllt und ihre Reize somit vor seinen Blicken abgeschirmt sind, sondern auch aus einer Art feministischen Grundhaltung heraus. Detective Inspector Platon Ahorn ist ein Aufklärer mit Revolver, ein Ritter des Rechts der seiner maßlosen Selbstbezogenheit zum Trotz das Gemeinwohl im Auge hat und es mit Ellenbogenfertigkeit rücksichtslos verteidigt. Nicht ganz unähnlich den knurrigen Kerls, die aus den preiswerten Büchern bekannt sind, aber doch anders. Denn er irrt auch und unterschätzt gerade diejenigen, die in seinen Augen nicht mehr als zahnlose Schäflein sind.
Es endet dann alles – so will es das Klischee eben – doch glimpflich. Nicht nur für den Detective Inspector, sondern auch für die Welt. Die rationalismusfeindliche new world order gerät ins Wanken, Detective Inspector Platon Ahorn darf Gänsestopfleber mampfen, sich Drinks hinter die Binde gießen und landet zielsicher mit seinem Gesicht in einem weiblichen, garantiert unverhüllten Schoß. Die Welt sieht also ein klein wenig besser aus. Das ist aber nicht allein das Verdienst von Detective Inspector Platon Ahorn, sondern das einer Gesellschaft, die sich selbst von den Fesseln ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit, weil sie es möchte und sich dazu ihres Verstandes bedient.
Mit Gondwana legt Simon Urban einen mehr als würdigen Nachfolger zu seiner Historiendystopie Plan D ab. Amoralisch, gemein und gotteslästernd durchschreitet er mit zynischer Lockerheit menschliche Abgründe und malt die Dystopie Gondwana in knallig-bunten Farben, die kaum mehr als Abscheu hervorrufen können. Trotzdem ist da noch ein Rest Empathie für die Gläubigen und vor allem scheint zwischen der durchgedrehten Fabulierlust eine Hoffnung auf die Kraft und die Macht des menschlichen Verstandes hindurch – und genau die macht ja seit jeher die schönste Form von Blasphemie aus. Mit seinem gleichermaßen verspielten wie politisch motivierten Roman lotet Simon Urban deren Grenzen mehr als gekonnt aus.
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