Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Schreiben geht durch den Magen

Stevan Pauls kulinarischer Roman „Der große Glander“.
Hamburg

Das Erste, was Gustav Glander in seinem Leben wahrnimmt, ist das Geräusch und der Geruch von Spiegeleiern und brutzelndem Speck. Dieses sinnliche Erlebnis des Neugeborenen bleibt nicht ohne Folge: Kulinarik wird für den Protagonisten das lebensbestimmende Thema.

Aus seiner Heimat, dem Allgäu, zieht es Gustav nach New York, wo er -- der begabte Zeichner und Maler -- versehen mit einem Stipendium Kunst studiert. Eine Eat-Art-Aktion mit vergoldeten Kalbszungen in einem jüdisch-polnischen Diner bringt ihm den Durchbruch: Gustav Glander, der schweigsame, menschenscheue Mann aus der Provinz, wird zum gefeierten Star der New Yorker Kunstszene. zum „big Glander“.

Die Vermarktung Glanders nimmt Fahrt auf. Seine Gemälde werden am Kunstmarkt zu hohen Preisen gehandelt, seine Aktionen sind gefeierte Events der Society. Auf der Höhe seiner Karriere verschwindet Gustav Glander spurlos nach einer großen Kunst-Performance.

Durch einen Zufall gerät Jahre später Gerd Möninghaus auf Glanders Spur. Möninghaus ist Kunstkritiker einer renommierten Kunstzeitschrift, kann sich jedoch mit dem trendigen Zeitgeist des Blattes nicht recht anfreunden. Er wird in ein winziges Büro strafversetzt, steht auf der Abschussliste seines jungen Chefredakteurs. Mit seiner Suche nach dem verschwundenen Glander erhofft Möninghaus sich eine große Story, eine letzte Chance, seinen Chef von seinen Fähigkeiten überzeugen zu können. Von Hamburg aus macht er sich auf Spurensuche. Seine Fährte führt ihn nach New York, in die Schweiz und ins Allgäu. Auf Möninghaus Recherchereisen kommt die Kulinarik nicht zu kurz: Übersichtliche hanseatische Nobelgastronomie, eine nostalgische New Yorker Trattoria, mondäne Schweizer Cuisine und alpenländische Hausmannskost.

Der Autor Stevan Paul ist gelernter Koch, Kochbuchautor und Betreiber eines Genuss-Bloggs. Mit „Der große Glander“ legt er seinen ersten Roman vor, der – wie sollte es bei einem Küchenbegeisterten anders sein -- auch kulinarische Erkundungsreise in die Welt der unterschiedlichen Esstrends und Gourmet-Moden ist. Dass Stevan Paul kochen kann, spürt man immer dann, wenn es im Roman ums Kochen und Essen geht. Paul beschreibt anschaulich wie es in den Sterne-Küchen dieser Welt zugeht und welche Köstlichkeiten auf den Tellern der Haute Cuisine angerichtet werden. Lesen wird hier auch zum sinnlichen Erlebnis von Düften, Aromen und ja – auch von Geräuschen. Den überkandidelten Service und das versnobbte der Nobelgastronomie beschreibt er humorvoll, mit einem berufsbedingten Augenzwinkern.

Beurteilt man den Roman als Gourmet-Kritiker, so kommt man zum Schluss, dass er sauber, ehrlich und schmackhaft gekocht ist. Die verschiedenen Gänge sind konsequent komponiert, gut aufeinander abgestimmt. Alles ist sorgfältig abgeschmeckt und appetitlich serviert.

Stevan Paul hat handwerklich gut gearbeitet. Nicht zu stark gewürzt, aber auch nie fade. Sprachlich darf man von Pauls Romandebut jedoch kein 5-Sterne-Gericht erwarten, literarisch keine innovative „experimental cuisine“. Aber dergleichen hat der Autor auch nicht beabsichtigt.

Der Roman ist solide, spannend, unterhaltend jedoch keineswegs Fast Food. Stevan Paul verfasst eine tiefempfundene und leidenschaftliche Hommage ans Kochen (und ans Essen). Der Autor preist die handwerkliche Sorgfalt in Küche und Kunst und wird mit „Der große Glander“ diesen Ansprüchen gerecht. „Der große Glander“ ist auch ein Buch über das, worauf es im Leben – neben Geld und Ruhm -- ankommt.

Zuletzt stellt sich die Frage, was man in diesem Buch vermisst. Man vermisst die Kochrezepte! Schade eigentlich. Um Engadiner Nusstorte oder Polnische Tunke am heimischen Herd nachkochen zu können, muss man wohl auf Stevan Pauls Kochbücher ausweichen.

Stevan Paul
DER GROSSE GLANDER
mairisch verlag
2016 · 288 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-938539-40-8

Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge