Ein Zorn weht über Gras und Asche
Gleich zu Beginn müssen wir die Ketzerfrage stellen: Würden diese Gedichte heute noch Aufmerksamkeit beanspruchen, hieße ihr Autor nicht Thomas Bernhard und erschienen sie nicht im Rahmen einer großangelegten Werkausgabe? Wohl kaum. Sie sollten es aber! Nicht alle Stücke darin sind gelungen, wenn man die höchste Meßlatte anlegt — das gewiß nicht, es ist viel jugendlicher Quark dabei, einer von der Sorte, der nicht von allein fest wurde und sich darum allerhand Töne von anderen Stimmen leihen mußte; — und wäre dies der gesamte Befund, wäre das Buch vielleicht weniger Rede wert und nur aus biographischen Gründen interessant, doch folgen auf die Versuche des jungen Thomas Bernhard eine Reihe bemerkenswerter Gedichte, die unabhängig von ihrer nicht zu übersehenden motivischen Hindeutung auf das spätere Prosawerk bestehen können —: ihnen wird man freilich nur gerecht, wenn man sie aus dem biographischen Interesse herauslöst und in einen literarhistorischen Kontext stellt, weniger hochtrabend gesagt: wenn man sie mit den Produkten seiner Zeitgenossen vergleicht.
Thomas Bernhards erste Gedichte erschienen Anfang der Fünfziger Jahre in Zeitschriften und Anthologien zusammen mit heute vollkommen vergessenen Namen. Mehr als Talentproben eines Einundzwanzigjährigen sind sie nicht; dieses Talent wurde allerdings durchaus erkannt. In rascher Folge veröffentlichte er die Bände „Auf der Erde und in der Hölle“ (1957), „In hora mortis“ (1958) und „Unter dem Eisen des Mondes“ (1958). Dennoch gelang es Bernhard nicht, langfristig als Lyriker zu reüssieren. Über die verhaltene bis kritische Rezeption, über die Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung unterrichtet detailliert das Nachwort der vorliegenden Ausgabe, mit seinen siebzig Seiten informativ und kein bißchen tendenziös verteidigend. Bernhards Enttäuschung ist begreiflich. Er publizierte noch einen Privatdruck und schließlich, da schon längst als Prosaschriftsteller berühmt, den Band „Ave Vergil“ (1981), der allerdings auf frühe Texte zurückgeht. Sieht man einmal von dieser (zum Teil hier dokumentierten) Bearbeitung und von der (im Anhang vollständig wiedergegebenen) Neufassung von „Auf der Erde und in der Hölle“ ab, hat Thomas Bernhard sich 1960 tatsächlich von der Lyrik verabschiedet.
Die drei publizierten Gedichtbände verraten hohe Ambitionen. Bernhard setzt ein ganzes Arsenal zeitgenössischer Mittel ein, die Lektüre von Rafael Alberti und T.S. Eliot ist nicht zu verleugnen, Arthur Rimbaud, François Villon und auch die deutschen Expressionisten mit ihren bei Whitman entliehenen Langzeilen geistern unübersehbar durch die Gedichte. Die hohe Ton und die üppige Genitiv-Metaphorik waren seinerzeit allemal modern und in Mode, nicht jedoch unbedingt gerade bei jenen deutschsprachigen Lyrikern, die sich selbst zu Wortführern der Avantgarde erklärten und eine schmucklose Nüchternheit pflegten. Das alles will besagen, daß Bernhard trotz der in den Gedichten unverhohlen geäußerten Wut und Enttäuschung keine formeinreißende Originalität an den Tag legt, aber mit den ihm zur Verfügung stehenden Mittel virtuos und effektreich umzugehen weiß. Für einen nicht einmal dreißigjährigen Autor keine üble Voraussetzung.
Es wäre falsch, die Gedichte mit der späteren Prosa zu vergleichen, sie als aufgegebenen Weg, als Sackgasse womöglich zu bezeichnen. Auffällig ist dennoch, daß die Art, wie Bernhard den Absichten Ausdruck gibt, in seiner Prosa authentischer wirkt als in seiner Lyrik, der man solchen persönlichen Zugang generell eher unterstellt. Trennt man die Gedichte jedoch von ihrem Autor, finden sich überraschend viele Zeilen, die nachhaltig klingen, so daß deren kühle, biedere, vernichtende Rezeption durch einige Zeitgenossen genau in jenes Österreich-Bild paßt, das Bernhard später eloquent mit Schmähungen bedeckt hat.
Mein Vater litt an der Dürre der Erde
wie an dem zerfallnen Gesicht des Sommers,
er stieg den Berg hinauf und rastete über den Tümpeln.
Damals fuhren die Schiffe gegen Westen,
niemals werde ich vergessen, wie des Vaters Hand
nach der menschlichen Seele griff —
Er stieg den Berg hinauf, um das Land zu sehen, das sie
zertrampelt haben in sieben Wochen.
Wer mit Bernhards Biographie vertraut ist, erkennt schnell, daß hier keineswegs biographische Stationen und Impulse verarbeitet werden. Viele andere Motive haben ebenfalls wenig direkten Bezug zum Lebenslauf, der beinahe eine Leerstelle in den Gedichten zu sein scheint, so daß nur der Schluß zu ziehen ist, daß es sich hier um hochkonstruierte Gebilde handelt, die eine Stimmung, eine Haltung, eine poetische Aura erzeugen wollen, natürlich vielleicht auch, ganz am Horizont, eine Erfüllung des Unerfüllten.
Sprich Gras, schrei in den Himmel mein Wort,
von Pflock zu Pflock und über die Wurzeln
springen des Windes rote und gelbe Brüder.
Diese Welt der Elegien und Psalmen mit ihren zahlreichen Anklängen, sie soll bereits allein durch ihren Sound die österreichische Enge aufbrechen —: Da sucht einer den Anschluß an die Weltliteratur und nicht nur an Trakl und Christine Lavant. Mit der im deutschsprachigen Raum seinerzeit präferierten Nüchternheit stand das kaum in Einklang, manches ist — auf die Distanz betrachtet — tatsächlich manieriert und überzogen, wie Thomas Bernhard selbst am besten wußte. In seinen Bearbeitungen läßt er später großes Formbewußtsein walten, er — der Meister der mäandernden Suada — bevorzugt Ökonomie der Mittel, Lakonie, Prägnanz, Kürze, meidet alles, was im Verdacht der Schwülstigkeit stehen könnte: Einer wendet sich der verlorenen Liebe mit viel Mühe zu.
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