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Kritik

Auf zu neuen Leveln

Hamburg

Mit Thomas Böhm nähert sich ein ausgewachsener Literaturmensch dem Thema Computerspiele und bürgt für die kulturtheoretische und aber auch kulturpraktische Auseinandersetzung mit diesem Thema quasi Kraft seines Amtes als renommierter Literaturwissenschaftler mit einigen verdienten Sporen im literarischen Betrieb.

Nun haben nicht alle Literaturwissenschaftler ein solches Sendungsbewusstsein, nehmen ihren Bildungsauftrag außerhalb der Akademia so ernst und Böhm hat offensichtlich Freude am Thema Computerspiele, das er auf ein neues Level heben will.

Was sind Computerspiele eigentlich? Keine Filme, aber auch keine Bücher, ein neues Medium einfach, so viel sei zu Beginn gesagt, auch für die, die sich skeptisch geben. Als jemand der mit Computerspielen aufgewachsen ist, stellt sich für mich diese Medium-Frage erst gar nicht. Trotzdem unterlaufen die Computerspiele noch immer in ihrer wissenschaftlichen Betrachung soetwas wie eine erzwungene Beziehungsgeschichte. „Kein Diplomthema, ken Dissertationsexposé, kein Projektantrag und keine Forschungsfinanzierung ohne ein zähneknirschendes ‚und‘“, heißt es beispielswiese in Christian Huberts Beitrag „Computerspiele lesen“, der sich mit der Verortung der Computerspiele im wissenschaftlichen Kontext auseinandersetzt. In diesem „und“ ist somit auch eigentlich der Band gefangen und seine Stärke liegt gerade darin einen solchen Text gleich an den Anfang zu setzen. Dissonanzen seiner eigenen Fragestellung abzuwägen und dabei immer eine wissenschaftliche Grundnaivität und Demut gegenüber dem Gegenstand zu behalten gehört ist eine wunderbare Eigenschaft dieses Bandes, der zugleich Grundlagenforschung in eine breitere Öffentlichkeit trägt und auch den Dialog zwischen Literatur und Computerspielen eröffnet.

Zwei Bücher in einem ist New Level eigentlich, eine Collage aus literarischen Entwürfen und Beiträgen, wie dem gerade beschriebenem, die sich auf einer kulturtheoretischen Ebene mit Computerspielen beschäftigen. Huberts Beitrag zur Seite gestellt ist beispielsweise auch ein Interview mit Patrick Rau, der en detail erklärt wie Komplex der Entstehungsprozess eines Computerspiels ist. Im Gegensatz zum Roman mit seinem Autor, den die post-moderne zu dekonstruieren versucht hat, spielen also viel mehr Menschen eine Rolle, wenn es um die Programmierung und Gestaltung eines Spiels geht. Jeder Autor weiß zwar, dass die Produktion des endgültigen Objets „Buch“ weit mehr Expertise braucht, als nur den Text. Es braucht auch hier den Verlag mit Lektorat, den Satz des Buchs, die Gestaltung von Umschlag und so weiter, aber trotzdem kommen Spiele in der Regel nicht von Einzelpersonen, sondern von Studios. So ist auch das weltweite bekannte Spieleuniversum Pokémon zwar von Satoshi Tajiri streng genommen erfunden worden, aber die Umsetzung des von ihm erdachten Konzepts erfolgte letztlich in Zusammenarbeit mit einem Entwicklerstudio. Seit den 1980er Jahren hat sich darüber hinaus in der Spielelandschaft mehr getan, als in Jahrhunderten der Kunstgeschichte. Die Erfindung der Zentralperspektive als einen Referenzpunkt und ikonoklastisch daneben gestellt die Erfindung der Fotografie trennt Jahrhunderte. Das ist jetzt weniger ein Argument für die durchschlagende und immense Kreativität der Computerspiele, als für die Schnelligkeit der Entwicklungen in der Digitale. Die Komplexität der Spiele geht dabei einher mit den technischen Möglichkeiten und ihrer ständigen Hybris. Auch wer keine Ahnung (oder gar keine Lust) auf Computerspiele hat, der bekommt also mit den dazwischen geschalteten Beiträgen von Experten einen tiefen Einblick in die komplexe Welt der Computerspiele. Es gilt hier noch Vorurteile im Kulturbetrieb abzubauen, der sich erhabener fühlt, als diese nerdigen Computerspiele, die doch nur was für Kinder sind.

Natürlich sind sie das nicht.

Der Clou des Bandes liegt in den Beiträgen der literarischen Autoren, die, ganz ohne die Grenzen der Machbarkeit beachten zu müssen, zum Entwurf von fiktionalen Videospielen aufgefordert wurden. Sie haben zwar kein Studio zur Hand, das mit ihnen an den Projekten feilt, sind damit also nur Teil des Entwicklungsprozesses, aber sie dürfen den entscheidenden Funken zünden lassen. Sind Autoren als per se Kreative eine geeignete Testmasse für diesen Feldversuch?

Die Texte lesen sich zum Teil als wären sie die Beschreibung eines Independent-Films in einer Fernsehzeitschrift vom Format der der Hörzu. Technische Möglichkeiten auf der einen, ein zu kleines und verschrobenes Vokabular auf der anderen Seite. Allzu bemüht wirken manche der Texte, allzu umständlich sind die Beschreibungen. „Toll wäre es auch, wenn…“ reiht sich an „die eigentliche Herausforderung läge natürlich in der…“, ohne dass in diesen Beschreibungen literarische oder spielerische Kraft läge. Das teilweise Scheitern des Experiments will man verzeihen, ist es doch Teil des Unterfangens und weist auf, wie schwierig es ist, das eigene Medium zu verlassen.

Doch es gibt auch interessante Ansätze, Ansätze, die zum Nachdenken anregen und Literatur wie auch Computerspiele tatsächlich auf neue Level heben wollen. So zum Beispiel der aus dem arabischen Übersetzte Text des Internet-Literaten Aboud Saeed, der, wie das Internet schon länger weiß, zu einem seiner klügsten Köpfe gehört und mit seiner Facebook-Prosa beim Verlag mikrotext verlegt wurde. Er denkt über Cyber-Klone in sozialen Netzwerken nach und reflektiert, neben dem Entwurf eines Spiels, gleich grundsätzlich das Verhältnis von virtueller und reeller Welt mit. Sein Spiele-Essay spielt damit nicht nur mit der Idee des Spiels, er spielt auch mit sich selbst, spielt mit seinen Grenzen und Endet mit einem programmatischen Absatz: „Letzten Endes kommt die virtuelle Welt jedoch nicht darum herum, sich weiterzuentwickeln und eine eigene Seele zu erlangen. Sonst wird sie immer nur ein starres Abbild bleiben. Eine Geisel der reellen Welt.“

Zum Schluss sei der erste Text des Bandes erwähnt, der literarisch allen anderen Texten bei weitem überlegen ist und ein guter Einstieg in die Thematik bietet. Shane Anderson entwirft kein Spiel, er erzählt ein Spiel. Ein Ich-Erzähler führt uns in die Abgründe des Teenager-Daseins nach einer Weisheitsahn-OP: schlechte Grafik, simple Spielmechanismen, zu viele Beruhigungsmittel und eine brüchige Freundschaft, die ihren Zweck im Spiel hat und dieses Refugium der Kindheit mit einem erwachsenen Ernst bearbeitet, der das Spiel selbst zum transzendenten Medium macht, das sich überhohen muss, um die reelle Welt endlich aus der Welt der virtuellen zu befreien. Gewissermaßen die Anti-These zu Saeeds Vision, wenn man so will. Aber wie weiter oben erwähnt: New Level lebt von seinen Widersprüchen und ist gerade deswegen auch für Nicht-Gamer ein lesenswerter Band.

 

Mit Beiträgen von:
Shane Anderson, Ryad Assasi-Razaki, Martin Baltscheit, Alessandro Cremonesi, Ulrike Draesner, Jan Drees, Gundolf S. Freyermuth, Assaf Gavron, Mario Giordano, Peter Glaser, Alban Nikolai Herbst, Christian Huberts, Wladimir Kaminer, Georg Klein, Carlos Labbé, Andri Snær Magnason, Celine Minard, Paul Murray, Aboud Saeed, Luca »Lagash« Saporiti, Christian Schiffer, Grit Schuster, Sebastian 23, Saša Stanišić, Patrick Rau, Monika Rinck, Jaroslav Rudiš

Thomas Böhm (Hg.)
New Level
Metrolit
2014 · 222 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-8493-0360-0

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