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Kritik

Leichte Kost

Hamburg

Anthologien, die einen Überblick darüber verschaffen wollen, wie es um die Literatur eines Landes bestellt ist, sind eine zweifelhafte Angelegenheit. Zumal, wenn es um zeitgenössische Literatur geht, die außerdem übersetzt werden muss, um in dieser Form dem deutschen Publikum zugänglich gemacht zu werden, wie es bei „Popcorn unterm Zuckerhut“ der Fall ist.

"Das Kriterium für die Aufnahme der 20 Kurzgeschichten war - zugegebenermaßen - ein zutiefst kulinarisches. Um nicht zu sagen, der Geschmack stand im Vordergrund", schreibt Herausgeber Timo Bergerim Vorwort."

Immerhin sind nahezu gleich viele brasilianische Autorinnen wie Autoren vertreten, was das betrifft, scheint der Geschmack ausgewogen.

Die Protagonisten in den versammelten Kurzgeschichten sind jung, die Sprache und der Stil bemühen sich, ebenso zu klingen. Unterhaltsame Geschichten stehen neben einfühlsamen Texten, ohne dass sich wirklich das Gefühl der Vielfalt einstellt. Dafür überwiegen die lediglich handwerklich soliden Geschichten zu sehr. Eine Entdeckung sucht man vergeblich unter „Popcorn unterm Zuckerhut“.

Ein Enkel spielt Beatles Songs für seine demente Großmutter und schafft dadurch einen Erinnerungsraum, in dem die beiden sich neu und vertraut begegnen. Ein junger Mann zieht aus einer relativ guten Wohnlage in eine viel schlechtere Gegend, weil er sich von seinen Nachbarn verfolgt fühlt, ein Clown sucht unter der Maske sein wahres Gesicht.

Auf einem verlassenen Schiff, das plötzlich am Ufer eines kleinen Dorfes auftaucht, wird Geister- Seemannsgarn gesponnen, dann ist man wieder in der Großstadt, wo Tango getanzt, oder jedenfalls von Tangostunden erzählt wird. Andere Geschichten, wie z.B. die von Laura Erber, deren Gedichte jüngst in der Zeitschrift Poet vorgestellt wurden, sind experimenteller und verschachteln Geschichten in der Geschichte. Dann folgen kindliche Erinnerungen an Insektenexperimente und die gesammelten Wutmonologe eines Blinden.

Einige der Geschichten sind gut und originell. Assoziationsreich spielt Cecilia Giannetti in „Brasilien spielt“ mit den Metaphern vom Übersetzen; der eigenen Gefühle und der Vergangenheit in die Gegenwart, vor dem Hintergrund der Übersetzung eines Buches, während im Hintergrund „Brasilien spielt.“ Aber Geschichten von dieser Qualität sind die Ausnahme in diesem Band, der vorwiegend unterhalten möchte.

Den Abschluss bilden zwei sich kontrastierende Geschichten über die Einsamkeit. Der Physiologie der Einsamkeit folgt eine eindringliche Geschichte von einer empfundenen statt beschriebenen Einsamkeit mit dem bezeichnenden Titel „Zu weit weg.“

Ich hätte mir mehr von solchen Geschichten, die solchermaßen miteinander spielen und auf einander Bezug nehmen, gewünscht. Dagegen wirkt die Mehrzahl der Kurzgeschichten willkürlich aneinandergereiht.

Die Anthologie endet mit einem Text, in dem der Erzähler vorgibt, eine Glosse schreiben zu wollen, ohne dass eine Geschichte daraus wird. Leider scheint gerade dieser Text symptomatisch für die vorliegende Sammlung zu sein. Da wird alles Mögliche aufgetischt, ohne dass ein Menü daraus wird. Viele kleine bunte Stände mit Hühnerherzen und Popcorn, Zigaretten und Wein. Das schmeckt nicht schlecht, aber eine Herausforderung für die Geschmacksnerven ist es nicht.

Timo Berger (Hg.)
Popcorn unterm Zuckerhut
Junge brasilianische Literatur
Wagenbach
2013 · 144 Seiten · 9,90 Euro
ISBN:
978-3-8031-2707-5

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