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Heimat verhandeln V&R böhlau
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Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Mit der Machete erzählt

Im Deutschland des Dreißigjährigen Krieges wurden Außenseiter, Deserteure und Flüchtlinge, die sich in den Feldern versteckten, Kornwölfe genannt. Der Begriff hat in älteren deutsch-amerikanischen Gemeinden bis heute überlebt.
Tristan Egolf beschreibt Amerika stets von den Rändern her, dort wo der amerikanische Traum längst aufgehört hat, wo die Verkehrsverbindungen an ihr Ende kommen, wo sich eine verzopfte Gedankenwelt über Jahrhunderte ungeschoren als Desaster im religiös verwirrten Kopf halten kann.

Der Roman „Kornwolf“ erzählt vom verwahrlosten Journalisten Owen, der in seine Heimatstadt Stepford zurückkehrt, um zu boxen und sensationelle Lokalberichte zu verfassen. Zur Erfolgsstory wird dabei ein Bericht über einen Werwolf, dessen Gesicht an Nixon erinnert und der im Wald von Bewegungsmeldern für streunendes Wild aufgenommen worden ist. „Es war seit Jahren der erste glatte, unbeschwerte Ritt über die Tastatur.“ Der Aufbau des Romans ist logisch explosiv. Nach einem Vorspann „Auftritt“, bei dem der Journalist und Boxer Owen, der Boxtrainer und Vietnam-Veteran Jack und der amische Outlaw Ephraim vorgestellt werden, geht es mit Boxkommandos durch den sozialen Dschungel der Provinz. Leg los, Bleib dran, Schlag zu, Lass sehen lauten die Zurufe, die die Story explodieren lassen.

Dabei gibt es scheinbar keinen Grund, warum die Geschichte von Werwölfen, Außenseitern und mystischen Gestaltenwechslern eskaliert. Denn als Owen in die Heimatstadt zurück kommt, hat er ja nur Journalismus und Boxen im Sinn. „Nein, keine persönliche Krise, keine Steuern, kein Bankrott. Er hatte weder alle Brücken hinter sich abgebrochen noch all seine Möglichkeiten ausgeschöpft."“ Aber das ist der Fluch von provinziellem Journalismus, dass er einen ganzen Landstrich aufregen und kirre machen kann. Kurzum, alle Vorurteile gegen die Amischen brechen auf, die Amischen selbst sind nicht in der Lage, mit der modernen Gesellschaft zu korrespondieren, alles endet in Misstrauen, Hetzjagd und wie im Boxen mit Niederschlag und k.o.

In einem Nachwort erzählt der Übersetzer Frank Heibert von den Lesetourneen durch Deutschland, bei denen er Tristan Egolf begleiten konnte. Natürlich überlegt er, was mit diesem Packen Egolf-Sprachdynamit noch alles gesprengt hätte werden können, wäre da nicht das Desaster des Suizides. Der Übersetzer stellt auch eine Erzähllinie zwischen „Kaltenegger“, „Luise“ und „Kornwolf“ her, alle drei Romane sind mit der Machete erzählt.

Und tatsächlich starrt der Leser jeweils auf diese kleinen Erzählrisse, die sich durch die Absätze ziehen. „Ephraim starrte schweigend zu Boden. (Hinter ihm zerfraßen Termiten die Wand.)“

Tristan Egolf
Kornwolf
Übersetzung:
Frank Heibert
Nachwort: Frank Heibert
Suhrkamp
2009 · 430 Seiten · 26,80 Euro
ISBN:
978-3-518420751

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