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Kritik

„Wiederworte“

Ulla Hahn im lyrischen Dialog mit früheren Gedichten
Hamburg

1981 erschien der erste Lyrikband der promovierten Literaturwissenschaftlerin Ulla Hahn „Herz über Kopf“, mit „Spielende“ (1983) „Freudenfeuer“ (1985) und „Unerhörte Nähe“ (1988) folgten bald drei weitere. In ihrem neuen Gedichtband „Wiederworte“ stellt sie nun diesen frühen Gedichten (nur zwei beziehen sich auf spätere Veröffentlichungen) jeweils ein aktuelles gegenüber, greift Gedanken auf, um ihrem damaligen lyrischen Ich aus heutiger Perspektive zu antworten. Auf dem Cover ist der Titel auseinander geschrieben. Wieder Worte also oder auch Widerworte, alle Aspekte des Wortspiels sind passend. Vergänglichkeit, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schreiben, mit der eigenen und der allgemeinen Geschichte sind die Themen, wobei die neuen Gedichte sprachlich oft widerborstig frech daherkommen, teilweise aber auch melancholische Töne anschlagen. Lesenswert sind sie allemal.

Gleich dreifach erfährt der Leser die Idee, die hinter „Wiederworte“ steht. Da wären das umgekehrte E im Titel, das nach Aussage der 1946 geborenen Autorin in die Vergangenheit blickt, und die beiden Mottos „When I’m Sixty-Four“ von den Beatles sowie ein Zitat von Novalis „Es ist Abend um mich geworden, / während ich noch in die Morgenröte hineinsah.“ Am deutlichsten wird das Konzept aber anhand der beiden Rahmengedichte. „Nach Jahrzehnten / noch einmal gelesen / Gedichte der jungen Schwester / Ant-Worten geschrieben“. Weitere Gefährtinnen, Puppen in der Puppe, werden im letzten Gedicht „Kleine Schwester“ angesprochen, bis schließlich die „Älteste ins Bild“ rückt. Für die Gegenüberstellungen gibt es keine feste Regel. Mal werden Versform und Rhythmus aufgegriffen, wird aus einem „Anständigen Sonett“ ein „Ständiges Sonett“, mal stehen vier früheren Zeilen vier neue im selben Reimschema gegenüber, aber es gibt auch Gedichte, die diskursiv länger und ohne feste Form antworten.

Gerne arbeitet sie mit gegensätzlichen Titeln. Aus „Fast“ wird „Nicht nur“, aus „Schlaflied“ „Wachlied“, aus „Krankgeschrieben“ wird „Gesundgeschrieben“. An dem zuletzt genannten Beispiel kann man sehen, wie es der Autorin gelingt, mit den gleichen Worten eine scheinbar identische Situation aufzugreifen, dem neuen Text aber eine völlig andere Wendung zu geben: So heißt es 1981 „Spät am Morgen im Park / geh ich spazieren ganz ohne / Kind ohne Mann für einen / Langhaardackel bin ich / noch zu jung. Auch dreißig Jahre später geht das lyrische Ich im Park ohne Kind und ohne Mann spazieren, hat aber „den Langhaardackel schon überlebt“. Überhaupt stellt sie bei den Liebesgedichten im ersten von insgesamt vier Kapiteln der Suche, dem Liebeskummer, der Eifersucht der „jungen Schwester“ eine Zeit entgegen, „die von den dümmsten Geschichten“ heilt, was aber der Sprache nichts von der Deutlichkeit einer „erigierten Autorität vergangener Jahre“ oder einem „Schwanomannomann“, der „es schwänzeln“ lässt, nimmt. Mehrere Texte befassen sich mit dem eigenen Schreiben. Dabei ist die frühere Ernsthaftigkeit einer gewissen Ironie gewichen. Dem Text „Ars poetica“ mit „Danke ich brauch keine neuen / Formen ich stehe auf / festen Versfüßen und alten / Normen zu Hauf“, das ihr nach eigener Aussage viel Ärger eingebracht habe, stellt sie in „Einfach auslöffeln“ „Wir brauchen neue / Formen sagst du. Werf ich doch grad ma / so’n paar Zitterzackezeilchen aufs Papier“ gegenüber. Auch mit Volksliedern, Zitaten aus Gedichten und Bibelversen spielt sie ironisch, wie beispielweise in „Wachlied“, wenn sie das „Zauberwort*“ mit einem Stern versieht, der in einer Fußnote darauf verweist: „*(Die Ersten googeln schon bei Eichendorff.)“

Ihre letzten „Wiederworte“ widmet die Autorin Opfern vergangener und gegenwärtiger Gewalt. In dem Gedicht „Für“ beschreibt sie sehr konkret und eindringlich die Beschneidung eines zwölfjährigen Mädchens. Insgesamt ist es eine vergnügliche Reise durch Ulla Hahns dreißig Jahre umfassende Lyrik. Nicht nur wegen der souverän eingesetzten sprachlichen Mittel, die vom volksliedhaften bis zu einem  manchmal recht pathetischen Ton reichen und über ein großes Formenspektrum verfügen. Vor allem die Auseinandersetzung der ältern Schwester mit der jüngeren macht das Buch lesenswert.

Ulla Hahn
WIEDERWORTE
DVA
2011 · 192 Seiten · 16,99 Euro
ISBN:
978-3-421045249

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