Wörterspuren, Hirnstrukturen
In Verena Stauffers erstem Gedichtband begegnet uns auf dem engen Raum von nicht einmal vierzig Seiten eine erstaunliche Bandbreite verschiedener Stile, die doch sämtlich einen der Autorin eigentümlichen Stempel aufgeprägt haben. Das ist allemal kein Zeichen dafür, daß sie womöglich „ihren Ton noch nicht gefunden habe“, wie die etwas unkritische Formel in den Feuilletons für eine solche Stildivergenz meist lautet, sondern ein deutlicher Beleg für eine pluralistische Auffassung von Lyrik, die es nämlich gestattet, mit der Vielfalt sinn- und lustvoll zu spielen. Denn Oberflächenmerkmale wie Groß- oder Kleinschreibung von Substantiven, syntaktische Kohärenz oder Auflösung, traditionelle Reime oder Klangexperimente sind letztlich nur unterschiedliche Herangehensweisen, die hier auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden werden.
Den Auftakt bildet eine Sequenz von zehn reimlosen Sonetten, die Erleben und Beobachten zurück in die eigene Körperlichkeit binden. Das will besagen: wenn das Gedicht sich aus seinen Teilen neu schöpft, überträgt sich sein Sinn auch auf den Körper der Schreibenden auf der Suche nach Einheit. Das Kreatürliche ist allerdings ein dauernder, in sich selbst widersprüchlicher Prozeß; ständige Auflösung in Gewesenes und Zukünftiges konstruiert und konstituiert diese Gedichte, die als Außenkörper des Selbst fungieren. Bereits im ersten Text („Hervorbringen“) stehen als Imperative zu begreifende Infinitive: „Entstehen, anhalten, gehen“, „Sich wie Zucker in Kaffee auflösen“, „Schon immer gestorben sein“. Diese und ähnliche Metaphern einer aus der Dekonstruktion herbeigeführten Konstruktion verweisen auf eine Geisteshaltung, bei der „Empfangen und nicht hervorbringen“ der primäre Antrieb ist. Da wird etwa die Mundhöhle, der Sprechraum, zu einer Felshöhle, dem in der Frühzeit symbolisch verstandenen Fruchtbarkeitsraum:
Zimmer wie Höhlenironien
Gebärmuttersimulationen
Durch den Eingang zurück: zum UrsprungZurück durch den Gebärmutterhals
Dringen und nie wieder erreichen
Nie mehr: Affe, äffig bleiben
Die äußere Welt des Kreatürlichen („Radikaler Ort, grüne Wiese“) ist untrennbar mit den Innenräumen der Sprache verbunden („in dir wringen tropfend wörter / innen konstrukte der natur“). Auf einer Metaebene handelt es sich zweifellos um Gedichte über die Bedingung der Entstehung von Poesie, ohne daß die in solchen Fällen üblichen tautologischen Formeln bemüht würden, denn das sinnliche, auch erotische Element ist stets präsent. Das später nachgereichte (und gereimte) Sonett „verfolgte posthumanistische spur“ zieht dann gewissermaßen die Synthese daraus, in einer höchst kondensierten und konzentrierten Gestalt:
vermittelt nicht verschiedener stern
scheiden in werden und werden in leiden
bienen sterben sowie lichthonig fern
Es schließen sich Gedichte an, die noch stärker mit Klängen und Klangstrukturen spielen. Mal wird ein fast dadaistisches Gejaule angestimmt, das politische Rede wild und geradezu brutal persifliert („trockene Krimkrumen sammeln krumiger krimmiger Putin/tifax“), mal ein „neuaufbruch in alte natur“ durch permutative Gesänge beschworen, die qua Sprache zu einem intensiveren Erleben führen wollen, das sehnsuchtsvoll eingefordert wird: „die form als die struktur leben / sitzend über welten reisen“, und: „zum sein hin sterben / auf weißem zauberpferd reisen / begreifen: dasein ist natur“. Wenn dann englisch- und deutschsprachige Passagen ihr Medley anstimmen, setzt das mehrere Bedeutungen frei, die sich aneinander binden, vielleicht zuweilen sogar leise ironisch, um das Gedicht auf die Höhe der Zeit zu hieven und von dort polyglott zu verspotten. Ein Gedicht über das „plastiktännchen“ besteht sogar gleich nur aus in Klammern gesetzten Zeilen, eine Uneigentlichkeit wie der aus Plastik simulierte Weihnachtsbaum. Gemeinsam ist diesen Texten, daß Klangstrukturen allein den Fortgang der Gedanken bewirken, doch der assoziative Motor läßt den Bilderstrom keineswegs ziellos treiben, er steuert ihn genau:
laute larven grabwespen
bewegungslos aufgefressen
tonlos sein laute larven lauterharfen komm zu mir rauschender
bach orgelnder liebenswürdig/wert
werter freund wettersüßer löffel honig bluetenhonig
süßer tropfen am tischbein
am boden läuft honig
Zur Vielheit der Stimmen, die in Verena Stauffers Band sprechen, gehören auch beschreibende Annäherungen: „humilitas“ beispielsweise ist eine Meditation über allmähliches Sterben, die kühne Bildverbindungen zieht und „weggeworfene noch glühende zigarettenstummel“, „das gelähmte opfer einer grabwespe“ und die Liebe einer Mutter zu ihrem kranken Kind ineinander verschränkt; die „eisepidermis“ dagegen ist eine Kette assoziativer Bilder, die von Eisblumen am Fenster evoziert werden. Zum Schluß ertönt eine in ihrer Einfachheit großartige Litanei („Der Garten bin ich“), sie mündet in das selbstbewußte Statement: „Ich bin eine Frau“, ein allumfassendes Wesen, das vom Garten sich weitend am Ende die ganze Welt umfaßt und genauso alle Register zieht wie der schmale Gedichtband, der wahrlich keine Schonkost für den Kopf ist. Die oft in kleine und kleinste sprachliche Einheiten zersplitterten Zeilen fordern ein sehr aufmerksames Lesen — überfordern zuweilen auch die Suche nach einem Verständniszugang, z.B. in „stubenbrücke nachts III“ —, doch am Ende wird man mit ungehörten Möglichkeiten der Sprache und dialektisch (lange nach-)wirkenden Bildern durchaus reich belohnt.
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