Punkt auf den versvollen Schädel
„Lass ihn bloß nichts lesen!“ flehte Lilja Brik ihre Schwester an. Nein, er las nicht. Nach einem Blick in sein Heft sprach er leise und eindringlich: Wolke in Hosen. Majakowski 1915 in der Wohnung der Briks, dort war eine Tür ausgehoben worden, damit alle Anwesenden zuhören konnten. Brik wird wenig später das Poem erstmals veröffentlichen.
He, du! Himmel!
Lüfte den Hut!
Ich komme!
2015 jährt sich der Todestag Majakowskis zum 85. Mal. In der „Wirbelsäulenflöte“ schrieb er anderthalb Jahrzehnte vor seinem Tod, wie er sein Leben beenden könnte:
Immer öfter denke ich:
Wär´s nicht gescheiter,
auf die Stirn einen Schlusspunkt mit Blei zu setzen?
Majakowskis Schlusspunkt, den er dann allerdings ins Herz setzte, hat vielen ein Rätsel aufgegeben. War es die unglückliche Liebe zu Lilja Brik, die sich nicht von ihrem Mann trennen mochte, der wiederum sie nicht liebte? War Majakowskis zweite große Liebe, die zur Revolution, erloschen? Kurz vor seinem Tod wurden zwei satirische Stücke von ihm uraufgeführt: „Die Wanze“ (1929) und „Das Schwitzbad“ (1930), die sich kritisch mit dem frühen Sowjetsystem auseinandersetzten. Die satirischen Stücke kamen zu Majakowskis Lebzeiten gar nicht an, was ihn sehr verletzte.
Das „Schwitzbad“ zeigte seine späte Wirkung in den 1970ern, als es im Deutschen Theater Berlin immer ausverkauft, von den Zuschauern mühelos und begeistert auf die Zustände in der DDR übertragen wurde. „Wir müssen eine breitangelegte Kampagne eröffnen“ war ein running gag meiner Jugend. Oder noch besser: „Haben Sie den Sozialismus gesehen?“ Der Parteikader Iwan Iwanowitsch ruft das aufgekratzt den anderen zu: „Ich werde gleich den Sozialismus sehen. Erstaunlich interessant“, weil glaubt, dass er zu den Auserwählten gehört, die mit einer Zeitmaschine in die Zukunft geholt werden, ins Jahr 2030: Hierher dürfen nur die, deren Wirken 100 Jahre Bestand hat.
Majakowski liebte Utopien. Eine davon, „Der fliegende Proletarier“, wurde unlängst in der feinen Edition ReVers im Verlagshaus J. Frank erstmals in deutscher Übersetzung herausgegeben. Man fragt sich, warum sie nicht in die zehnbändige Majakowski Ausgabe aufgenommen wurde, die übersetzt von Hugo Huppert, und von Leonhard Kossuth herausgegeben, 1966 bis 1973 bei Volk und Welt erschien. 1980 bei Suhrkamp. Sollte es daran gelegen haben: Das Poem gehört nicht zu Majakowskis stärksten Texten. Ihm fehlt die Kraft, die Wut, der Stolz, die seine Poesie so blitzen lassen, die bockige Stimme, die unter die Haut fährt. Man hört ihn geradezu bellen:
Gaul Geschichte, du hinkst
Diese Zeile veredelt sogar den ungeliebten „Linken Marsch“, der in der DDR-Schule auswendig gelernt werden musste. (Links! Links! Links!)
Der 1925 erschienene „Fliegende Proletarier“ scheint dagegen etwas flügellahm. Aber auch er schaut in die Zukunft:
Der Dichter
aber sichtet
auch das
was erst in zweihundert
Jahren ist
oder -
gut hundert.
Seiner Zeit gemäß war Majakowski begeistert von den Möglichkeiten der Technik, er fand die Poesie in der Technik, so gilt es im „Fliegenden Proletarier“ erst einen Luftkrieg gegen Amerika zu gewinnen, das „Amerikanische Revolutionskomitee“ schafft da schließlich die entscheidende Wende. Sodann wird der Zukunftsalltag geschildert. Wo man um 8 Uhr aufsteht (wir stehen früher auf - S.T. Sachsen-Anhalt) und bei der Arbeit von der „fliegenden Volkskantine“ versorgt wird. Das Geschirr in einem „Selbstspülprogramm“ gesäubert wird, überhaupt erledigt die Technik alles. Nach der Arbeit gibt es Weiterbildung und Sport, danach werden die Kinder befragt, was sie in der Schule gelernt haben. Der Jüngste hat im Sachunterricht im Weltall nach Gott gesucht und festgestellt, es gibt ihn nicht. Mit der Liebsten gehts abends ein bisschen zusammen durchs Weltall, dabei wird ein bisschen geträumt und erinnert, wie primitiv das Leben früher war. Im Prinzip schön, aber auch ein bisschen langweilig. Nur der letzte Satz reißt wieder einiges heraus, da heißt es am Schluss des Poems:
Her mit dem Himmel!
Der 2014 erschienene, zweisprachige, sehr liebevoll gestaltete Band mit an den Suprematismus angelehnten Illustrationen Jacob Hinrichs in Schwarz und Gold, sowie einigen interessanten Anmerkungen und einer editorischen Notiz des Übersetzers Boris Preckwitz und einem sich mehr dem Fliegen als Majakowski nähernden Nachwort von Jan Kuhlbrodt gibt den Anlass, sich an einen großen Poeten zu erinnern. Und an den radikalen Vertreter des Suprematismus: In seinen ROSTA-Fenstern sind die Kapitalisten runde Kugeln, die von großen stämmigen blutroten Proletariern zerschlagen werden. Politische Karikatur aus der Zeit, als Majakowski noch für die Revolution brannte, kräftig, agitatorisch und komisch. Erinnerung auch an Gedichte und Poeme, wie die Wirbelsäulenflöte, die mit Majakowskis „versvollen Schädel“ beginnt. Sein wütendes Hadern mit der Zeit, mit Gott, den es nicht gibt und der Frau, die er liebt. Ein Resümee:
Ich lechze heute nur nach einem Trunke:
nach dem Gift, das Gedichte enthalten.
Und schließt etwas sentimental:
Seht: Ich bin auf Papier genagelt mit Worten auf meinem Munde!
Majakowskis Werke muss man heute suchen: 2008 gab Kurt Drawert Liebesgedichte heraus. 2002 machte Alexander Nitzberg aus Wolke in Hosen: „Wölkchen in Hosen“. Wäre es nicht der Titel, hätte diese umstrittene Übersetzung die Majakowski-Gemeinde nicht so erbost. Aber Wölkchen wollen so gar nicht zu dem „versvollen Schädel“ passen, zumal man bösartiger Weise versucht ist, - Wolke in Höschen - mitzuhören.
Umso schöner, dass in der kleinen verdienstvollen Reihe ReVers nun ein Majakowski erschienen ist, der hoffentlich bei dem einen oder anderen Leser mehr Majakowski, sozusagen als Beifang, mit in Erinnerung ruft. Bei mir kam da einiges zu Tage. Und wenn die Zeitmaschine des „Schwitzbades“ 2030 landet, dann hoffen wir, dass Wladimir heraus steigt und ruft: Erstaunlich interessant.
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