Petitessen des Lebens
Mit einer Überraschung darf man nicht rechnen. Yasmina Rezas Motive und Charaktere ähneln sich stets. Sie schreibt über die obere Mittelschicht und die upper class der Pariser Gesellschaft. Ihr Thema ist der schmale Grat zwischen zur Schau gestelltem Glück und inwendigem Elend. Am bekanntesten ist ihr Stück „Der Gott des Gemetzels“ (original: Le dieu du carnage), das 2011 als Kammerspiel in Starbesetzung von Roman Polanski verfilmt wurde. Gemeinsam mit Polanski hat Reza auch das Drehbuch dafür geschrieben.
„Glücklich die Glücklichen“, Rezas neues Buch, das jetzt im Hanser Verlag erschienen ist, fügt sich nahtlos in ihr bisheriges Werk ein. Ein Collageroman in 21 Teilen. Jedes der Kurzkapitel – das Büchlein umfasst knapp 170 Seiten – wird aus der Perspektive einer anderen Person erzählt. Erst in der Gesamtschau verdichtet sich das zu einem kohärenten Ganzen, wenngleich sich die gedankliche Tiefe der einzelnen Miniaturen streckenweise in Grenzen hält.
Es tritt auf ein frustriertes Ehepaar, das sich an der Käsetheke des Supermarktes gegenseitig das Wochenende vermiest; man lauscht im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Dummheiten im Wartezimmer eines Arztes, die zum Fremdschämen animieren; und man folgt den Erfolgreichen – und damit vermeintlich Glücklichen – in die gut versteckten Nischen ihres Alltags, in denen der einzige Sohn in die Psychiatrie eingeliefert wird, weil er sich für Céline Dion hält. Auch wenn alle Umstehenden den wahren Aufenthaltsort der falschen Céline Dion kennen, halten die Eltern dennoch eisern an ihrer Version eines Auslandsstudiums fest. Kurzum, Abgründe tun sich auf, deren Kaschierung die Konventionen des Alltags bisweilen an Grenzen stoßen lassen. Und so weiter, und so fort.
Auf Rezas Bühne agiert die gesellschaftliche Crème de la Crème: Spitzenmanager, Starjournalisten, Topanwälte, Krebskoryphäen und Regierungsmitglieder. Sie alle sind erfolgreich und wohlhabend, und fügen sich ein in eine Hochglanzwelt, die Glücksverheißung nahelegt. Dass hinter der Fassade das Bild ein anderes ist, wie etwa die im Berufsalltag unnahbare medizinische Autorität, die nachts in den Parks um Erniedrigung bettelt, versteht sich von selbst.
Rezas Bücher beinhalten das Versprechen, die dunklen Seiten der Reichen und Schönen schonungslos offenzulegen. Sie verfolgt damit, man kann es nicht anders nennen, ein im Kern boulevardeskes Strickmuster, wenngleich, das steht außer Frage, literarisch hübsch verpackt. „Glücklich die Glücklichen” ist eine kurzweilige Lektüre für Sonntagnachmittage.
Allerdings stößt Rezas literarisches Geschäftsmodell zunehmend an Grenzen (auch wenn das ihrem Publikumserfolg bislang keinen Abbruch tut). Zum einen ist die vermeintlich verschlossene Welt der Oberschicht längst dazu übergegangen, ihre Skandale und Passionen ganz freiwillig in die Welt hinauszutragen. Man denke etwa an das Enthüllungsbuch von Catherine Millet, in dem sie ihre sexuellen Ausschweifungen offen zu Markte trägt. Zum anderen gehören die Geschichten und Probleme, die Reza auf die Welt der oberen Zehntausend projiziert, längst zum Alltag der allermeisten Menschen. Wer kennt sie nicht, die Familiengeheimnisse, um die jeder weiß, die aber dennoch totgeschwiegen werden, weil keiner daran rühren will?
In anderen Worten: Reza beschreibt den Normalzustand, garniert mit einem Schuss Oberklassenboulevard.
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