Lesart
Jakob van Hoddis* 1887† 1942

In Memoriam Jakob von Hoddis

 

"Ich hab am Wannsee Rosen gepflückt

und weiß nicht wem ich sie schenken soll."

Satz auf einer Gedenktafel für Jakob van Hoddis in den Hackeschen Höfen in Berlin

– eine persönliche Annäherung

Von Kindern und Jugendlichen ist bekannt, dass sie in einem bestimmten Alter dazu neigen, sich einzureden, ihre Eltern wären nicht ihre richtigen Eltern. Man hat sie irgendwo gefunden, ausgesetzt und halb verhungert aufgenommen. Doch übel nehmen die Kinder ihren fiktiven Eltern dies selten, im Gegenteil sie entwickeln ein heimliches Verständnis für die Tat des Aussetzens und spüren der Verzweiflung nach, die dies ausgelöst hat. Sie beginnen zu suchen, in etwas reiferem Alter durchaus mit dem Wissen, das sie nichts finden werden.

Daran muss ich immer denken, wenn ich diese Zeilen von Jakob von Hoddis lese. Eine merkwürdige Assoziation, auf den ersten Blick nicht verständlich. Sie rührt aus der tiefen Einsamkeit, die das Ende des Satzes und weiß nicht, wem ich sie schenken soll ausdrückt.

Ein Mensch geht spazieren und pflückt Blumen und nach Hause kommend weiß er nicht wohin damit. Er kommt nicht auf die Idee, dass er die Blumen für sich selbst gepflückt haben könnte.
Der Mensch braucht in den meisten Fällen für sein Handeln einen Grund und eine Anerkennung. Hat er seinen Grund gefunden, diktieren die Lebensumstände, in denen er sein Dasein verbringt, sein Denken und Handeln. Er tut alles für Geld, fast alles. Und einige Menschen tun im wahren Wortsinn ALLES, bis hin zum Auftragsmord.  
Zurück zu den Kindern. Auch Kinder begeben sich auf diese Suche. Sie verfangen sich in den Fängen der Fantasie, häufig grundlos, aus stabilen Verhältnissen heraus oder wenn Ihnen das Leben als solches nicht aufregend genug erscheint, sie nicht genügend geliebt werden, aber auch dann, wenn sie mit Liebe überhäuft werden und ihnen dies zu viel, fast ungerecht erscheint. Aus der Enge der Umstände in denen der Mensch lebt, entsteht Leere, ein Suchen und Finden, im positiven Falle getrieben von der Motivation anders zu sein, die äußeren Umstände gedanklich so zu verändern, dass ein Sinn entsteht, der, auch wenn er als Lüge entlarvt wird, Bestand hat. In dem einfachen Akt des Spazierengehens und Blumenpflückens drückt Jakob von Hoddis aus, wie sinnlos es ihm erscheint, dies zu tun ohne daraus ein Geschenk zu kreieren. Es ist ein einfacher Satz, ein einfacher Wunsch, ein maßlos trauriger Schluss, ein Sehnen danach anders zu sein, ein Grund zu verzweifeln, ein einfaches Bild für die Einsamkeit.

Jakob von Hoddis wurde 1887 in Berlin geboren und wahrscheinlich 1942 im Vernichtungslager Sobibór ermordet. In der Rosenthaler Straße40/41 in Berlin-Mitte, im Durchgang zu den Hackeschen Höfen, erinnert seit 1994 eine Gedenktafel an den Dichter, der dort 1909 den „Neuen Club“ mitbegründete. Von Hoddis war während seines Lebens häufig in psychiatrischen Kliniken untergebracht.  Er litt erstmals 1912 unter einer beginnenden Psychose, die auf  Konflikte in seiner Familie zurückzuführen war.

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