Lesart
Manfred Chobot* 1947

immerstern

fixe sterne
spülen sekt ans ufer
am ende des jahres
aus der flasche ein
sternendach von den
benachbarten häusern
fallen die kronen
temporär
über das meer
nieder und verglühen
über unseren köpfen
hauptsächlich

unbeweglich wankt
der immerstern

ekstase, die den niedergang schon in sich trägt

gerade die poetische sprache erlaubt einsichten, die über die rein technische verwendung von sprache nicht möglich sind; eine sensibilisierung für die möglichkeiten der sprache scheint heute zunehmend schwierig, in einer welt, in der "bilder" viele andere möglichkeiten der kommunikation überlagern. aber es gibt sterne.

ein wankender immerstern, unbeweglich … ein traumbild ist dieses gedicht von manfred chobot, dem auf allen kontinenten der erde beheimateten dichter, - dessen interkulturalität auch dieses gedicht durchdringt; wenn er vom faszinosum „sternendach“ spricht, dann sieht er den himmel über hawaii ebenso wie über seiner heimatstadt wien; und wenn der sekt ans ufer gespült wird, dann sehe ich mir gegenüber den lachenden, eine dicke havanna rauchenden genussmenschen manfred, mit einem guten glas in der hand. es ist ein gedicht voller leichtigkeit, auf den ersten blick, und schwermut, wenn dieses „verglühen über unseren köpfen“ den moment einer ekstase beschreibt, die den niedergang schon in sich trägt. aber über allem, unbeweglich, wankend, der fixe immerstern, der hoffnung gibt (eben doch in seinem fixen dasein nicht zu unbeweglich zu sein); und das macht doch mut. ein gedicht, ganz subtil, und doch mit der ganzen kraft des beobachtens, des genauen hinsehens.

 

 

 

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