Von und mit Fiston Mwanza Mujila
... ich schreibe ganz einfach.
Auf Deutsch? Auf Französisch? Gut.
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Mein neuer Roman trägt den Titel „Tram 83“. Er ist in den éditions Métailié in Frankreich erschienen. In diesem fiktionalen Text versuche ich die Thematik des Goldrauschs wiederzubeleben, wieder aufzugreifen. Die Geschichte spielt in einer afrikanischen Stadt, einer kleinen Stadt die beschließt, ein Land zu werden. Und in diesem Stadt- Land treffen Männer von überall her ein. Männer, die untertags Geld suchen, also wertvolle Steine, Diamanten, Gold, Kobalt, Kupfer, und sich die Nacht über in eine Bar flüchten um Bier und Whisky zu trinken, Polka und Samba zu tanzen, unter den Damen der Nacht auf Aufriss zu gehen, Karten zu spielen und den Orchestern zuzuhören, die aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Martinique, Lateinamerika,... kommen.
Es ist ein Text, der bis jetzt zusammenfasst, was ich seit mehreren Jahren mache. Diese mir eigene Leidenschaft für die Musik, die Poesie, die Erzählung und das Theater. „Tram 83“ ist ein totaler Roman. Auf der strukturellen Ebene ist er hergestellt aus Teilen von Liedern, Dialogen wie im Theater, Poesie ebenso wie einem unbändigen und explodierenden Rhythmus, der an Freejazz erinnert. Wie in allen meinen Texten, sind die Figuren dieses Romans Außenseiter, also Menschen, die außerhalb der Geschichte geboren sind, die im Dreck geboren sind, im Staub, in den Latrinen der Globalisierung...
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In meinem letzten Gedichtband „Der Fluss im Bauch – Le Fleuve dans le Ventre“ wollte ich die Erinnerungen an meine Kindheit im Kongo erneut durchleben. Als ich ein Kind war sagte mir mein Vater, dass der Kongofluss zu mir gehörte, dass er mein eigener Fluss war, ein vertrauter Fluss. Und in „Le Fleuve dans le Ventre“ versuche ich meine Kindheit wieder zu erschaffen, aber auch das Land aus meinem Bauch heraus zu holen.
Dieser Gedichtband hat mir erlaubt, mich selbst zu entdecken. Als ich den Kongo verlassen hatte, habe ich in Europa ein Jahr in Deutschland und fünf Jahre in Österreich verbracht. Aber in Österreich lebte ich immer, als wäre ich in keinem Land, meinem eigenen Land. Mit diesem Band habe ich die Stadt bewohnt. Mit der Publikation dieses Bandes habe ich begonnen, in Österreich zu leben. Das heißt ich habe meine Kindheit nicht begraben, sondern habe versucht, mittels dieses Bandes meine Kindheit zu verewigen und meine Wiedergeburt zu beginnen, von Neuem in Österreich, weil das Exil ein Tod ist und die Integration in ein Land eine Art der Geburt oder Wiedergeburt.
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Der Rhythmus ist ein sehr wichtiges Element in meinem Schreiben. Aus dem ganz einfachen Grund, da mein Schreiben eine musikalische Basis hat. Ich versuche immer Elemente, die auf die Musik aufbauen, in mein Schreiben einzubringen. Der Rhythmus geht dem Thema voran. Um zu schreiben, muss ich zuerst einen Rhythmus suchen, ein Tempo, und ausgehend vom Rhythmus erschaffe ich den Himmel. Er kann lang sein, kurz, im Zick-Zack...
Sehr lange Gedichte erlauben mir zu verschiedenen Rhythmusarten zu gelangen. Mit einem Gedicht von fünf Seiten oder zehn Seiten kann ich einen Rhythmus finden, der abgehackt ist, ich kann einen Rhythmus haben, der explodiert, einen sehr minimalistischen Rhythmus, einen Rhythmus, der ein Pferd imitiert, einen Rhythmus, der den Zug imitiert, einen Rhythmus der Blitzschlag imitiert, Rhythmen, die alte Heuwägen imitieren, alte Kochtöpfe... Der Rhythmus ist in dem Sinne sehr wichtig für das Schreiben, als er an der Herstellung des Textes teilhat. Daher braucht es am Beginn in der Poesie den Rhythmus und es ist der Rhythmus, der es erlaubt, von einem Thema zu einem anderen überzugehen. Wenn ich zum Beispiel über ein Kriegsthema schreiben möchte, kann ich den Rhythmus einer Kalaschnikow verwenden oder einen Rhythmus, im gleichen Takt wie Bombardierungen. Das heißt, dass ich dann Worte verwenden kann, in diesem Sinn, die nicht auf den Krieg verweisen, sondern die mittels ihres Klangs, ihrer Betonung, eine Kriegsatmosphäre erzeugen. Der Rhythmus lässt Farben entstehen, Emotion, den Himmel, Krankheit, Lepra, Eifersucht, Liebe...
Die Geburt eines Rhythmus geht den Wiederholungen voraus, den Aufzählungen, den langen Sätzen mit koordinierenden Konjunktionen...
Und daher ist es der Rhythmus, der den Text gebiert. Der Rhythmus ist sehr wichtig, weil es überall, im ganzen Leben, einen Rhythmus gibt, eine Atmung. Ich denke, die Atmung ist das mechanische Element, welches auf unbeholfenste Weise wichtig ist.
In meiner Poesie, meinem Schreiben, meinem Leben, muss es eine Kadenz geben, es muss ein Tempo geben, es muss eine Musikalität geben, eine Klangfarbe, irgendetwas, das wiederkehrt, wiederkehrt, wiederkehrt, wiederkehrt, ...
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Ich frage mich nicht, ich habe mir nie die Frage gestellt, warum ich schreibe. Ich für mich denke, dass es, solange man Schriftsteller ist, nicht wichtig ist zu wissen, warum man schreibt.
Es ist als würde man sich fragen, warum man isst, oder warum man Sex hat, oder warum man Bier trinkt, oder warum man Wasser trinkt. Ich glaube, dass man nicht unbedingt jedes Mal, wenn man untertags Wasser trinkt, der Frage nachgeht, warum man Wasser trinkt...
Man muss nicht notwendiger Weise wissen, warum man schreibt, weil das Schreiben etwas ist, das auf Kunst aufbaut, das auf dem Leben von jemandem aufbauen kann. Das Schreiben kann ein Teil des Körpers oder der Seele von jemandem sein. Für mich ist das Schreiben ein Teil meines Körpers, daher frage ich mich nicht, stelle ich mir nicht die Frage, warum ich schreibe, ich schreibe ganz einfach. Weil sich zu fragen, sich die Frage zu stellen, herausfinden zu wollen, warum man schreibt ist eine Absurdität. Warum pinkelt man, warum isst man, warum...
Sich zu fragen, warum man schreibt, ist wie wenn man sich fragt, warum man lebt. Man muss nicht wissen, warum man lebt, man lebt ganz einfach, man lebt. Wissen Sie, man muss nicht alles kennen. Es ist das Unwissen, dass aus uns Menschen macht.
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Kommentare
Fiston Mwanza Mujila
Wie wunderbar, wie wahr seine Saetze ueber den Rhythmus. Als Herausgeberin eines Literaturjournals dreht es mir jedesmal das Herz im Leib um, wenn ich Gedichte ohne Rhythmus akzeptieren soll oder gar "muss." Oder es zerreisst mir die Seele. Oder es toetet vollends das eigene Dichten.
Ich wuensche mir Lyrik/Prosa mit Rhythmus oder aus ihm geboren, fuer unser Journal TRANS-LIT2, welches fuer Deutsch schreibende Autoren im Ausland besteht.
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