Notiz

Gewalt und Gesang. Transdisziplinäres Colloquium Hermann Adler

« … Friede mit euch! »

Gott, Du hast Menschen verschieden gestaltet. Hoch setztest Du Schranken,
um uns zu trennen; nicht leicht lässt Du verbunden uns sein!
Wenn wir auf Höhen des Machtkampfs die Brüder nach unten nicht zerren,
hassend den eigenen Hass, endlich zu lieben verstehn,
löschst Du die Hölle und schüttest Du Seligkeit hier schon auf Erden,
und das Zerwürfnis zerbricht wie einst in Babel der Turm!

Lange schon leiden die Völker Europas! Den Ländern der Erde
knüpf aus gemeinsamem Leid bald schon das bindende Band;
lehre die Völker, Gemeinsames ehren und Trennendes achten
so, wie Du Sichelmond liebst, Kreuz und den jüdischen Stern!
Hart trennst Du Mütter von Kindern und Frauen von Männern – dass morgen
wieder die Menschheit begreift, wie sie zusammengehört!

Hermann Adler, in: Gesänge aus der Stadt des Todes, 1945.

***

 

Colloquium nebst Lesung & Film

Gewalt und Gesang. Transdisziplinäres Colloquium Hermann Adler
Mo, 27.05.2019 - Di, 28.05.2019
An der Universität Vilnius sowie im
Toleranzzentrum/Samuel Bak Museum (Naugarduko g. 10/2, Vilnius, Litauen)

Der Sonderschullehrer Hermann Adler (geb. 1911 in Diószeg, heute Sládkovičovo in der Slowakei, gest. 2001 in Basel in der Schweiz) floh 1934 aus Niederschlesien vor den Nationalsozialisten. Seine Flucht führte ihn zunächst nach Prag, 1939 dann nach Polen (nach Kattowitz und Krakau) und wahrscheinlich noch im selben Jahr nach Lemberg (damals im von Russland besetzen Polen; es handelt sich um das heutige Lviv in der Ukraine). 1940 floh Adler, diesmal vor den Sowjets, weiter nach Wilna. Alle weiteren Fluchtpläne wurden vereitelt: zunächst aufgrund der Invasion der baltischen Länder durch die Sowjets und kurz darauf dann, weil nun ihrerseits die deutsche NS-Armee die Sowjets überfielen und in Litauen und eben auch in Wilna einmarschierten. Das war im Juni 1940.

Im Wilnaer Ghetto, das die Nazis dann im Spätsommer 1941 einrichteten und in das auch Adler und seine Frau Anita Distler getrieben wurden, begann Hermann Adler das, was er und seine Mitmenschen erleiden mussten, in Texten festzuhalten. Adler schrieb seine Texte in der „Sprache der Mörder“, sprich: auf Deutsch. Er schrieb in dieser Zeit zahlreiche Gedichte, darunter den Gedichtzyklus Gesänge aus der Stadt des Todes, in dem er Zeugnis ablegt von dem Schicksal Hunderttausender. Seine Bücher wurden direkt nach dem Krieg, den Adler und seine Frau auf wundersame Weise überlebten, in der Schweiz publiziert. Ab Kriegsende lebten Hermann Adler und seine Frau in der Schweiz. Adler schrieb später u.a. das Drehbuch zu dem Film „Feldwebel Anton Schmid“ (1968). Anton Schmid hat mehr als 250 Juden die Flucht aus dem Wilnaer Ghetto ermöglicht – unter ihnen auch Hermann Adler und Anita Distler.

Adler ist seit seinem Tod in Vergessenheit geraten. Er wurde erst in jüngster Zeit durch Aktivitäten von Cornelius Hell, Paul Tischler und Schirin Nowrousian regelrecht wiederentdeckt. Schirin Nowrousian hat seit 2015 bereits mehrere Vorträge zu Adler gehalten: u.a. im September 2015 an der Universität Warschau und im März 2016 an der Universität Vilnius, wo sie damals gelehrt und geforscht hat. Ihr langer, bereits seit Frühjahr 2016 vorliegender Text zu insbesondere den Gesängen aus der Stadt des Todes, der eigentlich bereits 2016 und spätestens dann 2017 im Konferenzband in Warschau hätte erscheinen sollen und dort aber aufgrund der Situation in Polen bisher immer noch nicht erscheinen konnte (die Publikationssituation in Polen ist momentan erheblich erschwert …), wird nun Anfang des kommenden Jahres im Peter-Weiss-Jahrbuch in Deutschland publiziert werden (siehe unten). Die Autorin und Forscherin wird Teile des Inhalts dieses Textes auf dem Colloquium vorstellen. Auch Cornelius Hell und Paul Tischler werden, neben weiteren Gästen, bei dem Colloquium zugegen sein und referieren.

Im Fokus des Colloquiums wird zum einen Adlers extrem bewegte Biographie in ihrem zeitgeschichtlichen wie auch regionalen Kontext stehen, zum anderen werden vor allem die lyrischen Texte Adlers in den Mittelpunkt gerückt, die eben u.a. in Vilnius ihren Ursprung haben. 

Organisatoren: Alexander Mionskowski (Universität Vilnius), Schirin Nowrousian (Universität Paderborn), Gert-Rüdiger Wegmarshaus (EHU Vilnius), Rebekka Denz (Universität Bamberg),

Gefördert durch das Baltisch-Deutsche Hochschulkontor Riga, den DAAD und das Goethe-Institut Vilnius

27.05.2019, 18:15 Uhr
Öffentliche Lesung im Samuel Bak Museum.
Der Eintritt ist frei.

Die Lyrik Hermann Adlers, eines Überlebenden des Wilnaer Ghettos –
Dreisprachige Lesung im Samuel Bak Museum: Deutsch, Litauisch & Englisch

Es lesen: Schirin Nowrousian & Violeta Katinienė
Das anschließende Gespräch führen: Schirin Nowrousian & Austėja Merkevičiūtė (Literaturübersetzerin)
Moderation: Violeta Katinienė
Dolmetschen: Justina Daunorienė

Eröffnet wird der Abend mit einem Interview mit Samuel Bak persönlich, der live aus Boston zugeschaltet wird!
Im Gespräch mit Samuel Bak: Ieva Šadzevičienė (Leiterin des Toleranzzentrums Vilnius)

 

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Der Abend ist der Lektüre sowie der Übersetzung der Lyrik des deutsch-jüdischen Dichters Hermann Adler gewidmet.

Die Lesung findet im Rahmen der Konferenz Gewalt und Gesang: Transdisziplinäres Colloquium Hermann Adler statt, die vom Lehrstuhl für Deutsche Philologie der Universität Vilnius und Partnern organisiert und vom Baltisch-Deutschen Hochschulkontor, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie dem Goethe Institut Litauen finanziert wird.

Dauer ca. eine Stunde.

28.05.2019, 18:00 Uhr
Filmvorführung „Feldwebel Schmid“ (ZDF, 1968).
„Educational Hall“ des Toleranzzentrums.
Der Eintritt ist frei.

27.–28.05.2019
Colloquium an der Universität Vilnius (siehe Plakat und Programm).

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Weiterer Link:
“Songs from the City of Death
Rediscovering forgotten words from the Wilna Ghetto.”
Essay and translations by Schirin Nowrousian
Poems by Hermann Adler
 

Demnächst wird erscheinen:
Schirin Nowrousian (2020): „Gesänge aus der Stadt des Todes“ – „Gesänge vom Meer des Todes“ – Poetische Zeugenschaft aus dem Wilnaer Ghetto. In: Das Peter Weiss Jahrbuch für Literatur, Kunst und Politik im 20. und 21. Jahrhundert, hrsg. v. Arnd Beise und Michael Hofmann in Verbindung mit der Internationalen Peter Weiss-Gesellschaft, Sankt Ingbert, Röhrig Universitätsverlag. Das PWJ erscheint im Frühjahr 2020.

Die Autorin, Lyrikerin, Übersetzerin und Forscherin Schirin Nowrousian setzt sich für die dauerhafte Wiederentdeckung des Werkes Hermann Adlers ein und plant u.a., die erste kritische Gesamtausgabe seines Werkes zu erstellen. Dazu ist sie auf der Suche nach Unterstützern. Bei Interesse bitte melden und wir setzen sie mit der Autorin in Kontakt.

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