„croak“
Foto: (c) Astrid Nischkauer Laut und hektisch, das sind Buchmessen für gewöhnlich. Und doch ist es möglich, gegen den Strom zu schwimmen und ganz einfach abzutauchen in Bücher, die so besonders sind, dass es plötzlich ganz ruhig wird um einen, weil man alles andere vergisst. Und auf einmal ist da etwas zu hören, etwas, womit man auf einer Buchmesse nicht gerechnet hätte: Vogelgesang. Genauer gesagt der Gesang von 26 Vögeln, die es nach 1950 nicht mehr in Deutschland zu hören gibt, wie z.B. den Gesang des Schmuckreihers, ebenso kurz wie bündig: „croak“. Zusammengesammelt hat diese Vogelstimmen die Künstlerin Sophia Bauer in einem sehr poetischen Buch, das 2017 bei StrzeleckiBooks erscheinen und den Titel „26 Vogelstimmen“ tragen wird.
„Aebr wo hbat Ihr die schnöe Gnas geukaft?“
Und nicht nur Bücher, die es noch gar nicht gibt, kann man auf einer Buchmesse entdecken, sondern auch welche, die es fast nicht mehr gibt. Wie zum Beispiel das absolut großartige „Hnas im Gülck. Ein Mäerchn, das wir so nhcit gshercibn haebn.“ von Jcoab und Wehillm Gmrim, erschienen in einer einmaligen Auflage von 999 Stück bei der Katzengraben-Presse. Erzählt wird darin ein Märchen, das wir alle kennen – Hans im Glück – nur eben etwas anders, tanzen doch die Buchstaben der einzelnen Worte wild durcheinander. Die Lesbarkeit der Wörter ist aber dennoch gegeben, weil bei allen Verrückungen und Verdrehungen doch immer der erste und letzte Buchstabe auf ihren Plätzen bleiben.
„So gclükilch wie ich“, reif er hainus, „gbit es kenien Mecnsehn utner der Snnoe.“
Das Verstehen ist erstaunlich leicht, es macht ungemeine Freude, dieses Buch zu lesen. Eine wirklich große Herausforderung ist es jedoch, dieses Buch laut vorzulesen. Denn ohne Übung führt das unweigerlich und sehr schnell zu einem Knopf in der Zunge. Begleitet wird der Text von sehr kleinen goldenen Märchentieren von Matthias Gnatzky. Diese erzählen ihre eigene Geschichte und wandern, turnen und gaukeln über die Seiten des Buches. Und auch der Text tanzt gleichsam über die Seiten.
Ein anderes Buch der Katzengraben-Presse, das sehr viel Freude macht, ist „Eselsohren“ von Cristóbal Serra. Er ist ein Meister der stillen Beobachtung, schreibt beispielsweise über Esel:
Schon wegen seiner Augen mag man den Esel, denn einen feuchteren und traurigeren Blick gibt es nicht.
Ebenso, wie über Gras, Mistkäfer, Schwalben oder Ziegen:
Ziege sein bedeutet, das Risiko zu lieben, Steine loszutreten, die ins Meer hinabfallen, wenn der Abend langsam im Dunst verschwindet.
Das Buch ist zweisprachig, Spanisch und Deutsch, übersetzt von Christian Sonnichsen. Aber auch das Buch an sich ist eine Übersetzung, die Übersetzung eines Wortes, des Wortes „Eselsohren“. Denn die Doppelbedeutung im Deutschen – Ohren eines Esels oder umgeknickte Buchseiten – gibt es im Spanischen nicht. Deswegen ist der Buchtitel auch nur einsprachig auf Deutsch, für spanische Leser gibt es dann nur eine eigene Erklärung am Beginn des Buches. Aber das Buch übersetzt sich selbst, denn jede zweite Seite des Buches ist eingefaltet. Es ist also ein Buch, das nicht nur inhaltlich von Eselsohren spricht, sondern an sich äußerst eselsohrenreich ist.
Die Katzengraben-Presse ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnlicher Verlag. So gibt es auch noch zu jedem Buch eine handgefertigte individuelle Hülle, die sich inhaltlich auf das jeweilige Buch bezieht. Mein absoluter Favorit ist dabei das Buch aus der Konserve. Denn selbstverständlich gibt es zu „(heringe)“ von Michael Krüger eine passende handgemachte Karton-Herings-Dose für das Buch.
Ausgangspunkt für dieses Buch waren alte, schwarz-weiße Werbefotos über die Firma „Georg Buchmann. Fischkonserven“. Michael Krüger schrieb dann entlang der Fotos eine fiktive Familiengeschichte der Familie Buchmann:
Anfang des vorigen Jahrhunderts gründete Georg Buchmann in Berlin eine Unternehmung, um einem Bruchteil der in Wanderschaft durch die Meere ziehenden großen Heringsschwärme eine enge, aber köstliche Heimstatt mit Beilagen zu geben – in seinen Konservenbüchsen.
Das Buch selbst ist dabei wie ein altes Fotoalbum gestaltet. Jeweils ein Foto ist auf der linken Seite angebracht, während auf der rechten die Erzählung zu finden ist. Getrennt werden beide von dünnem durchscheinendem Transparentpapier, wie man es eben aus Fotoalben kennt. Zwischendrin gibt es noch eine kleine Parallelgeschichte, da es mehr Seiten mit Erzählung als Fotos gibt: kleine Heringe, gezeichnet von Christian Ewald, die immer mehr werden, zum Schwarm, um dann mit einer Klammer eingefangen zu werden und sich somit in einer Konservenbüchse wiederzufinden.
Und noch eine weitere Besonderheit der Katzengraben-Presse soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: ihre handgenähten Unikat-Näh-Papier-Collagen-Bücher. Es handelt sich dabei um Bücher, die sich eigentlich jeglicher Beschreibung entziehen, muss man sie doch selbst in Händen halten, um einigermaßen erfassen zu können, wie viel liebevolle Sorgfalt zu ihrer Anfertigung notwendig gewesen sein muss. Eines dieser Bücher ist „Fragen für allemal zählbare Finger“ von Christian Ewald. „Dieses Buch wurde in einer nummerierten und signierten Erstauflage von 99 Exemplaren hand-gefertigt (genäht, geschrieben und gebunden) herausgegeben.“ Es ist ein Buch, das ungewöhnliche Fragen stellt:
Werden die fließenden Lieder des Wassers von den Brücken in Verse geschnitten?
Unterteilt ist es in drei Kapitel. Gerade, genähte Linien verlaufen versetzt durch das ganze Buch. Die Fragen sind jeweils unter eine Linie mit Hand geschrieben. Das Papier ist entweder schwarz (mit silberweißer Schrift und Naht), oder weiß (schwarze Naht und Schrift). Und das Buch enthält drei aufklappbare Näh-Papier-Collagen. Von Collage zu Collage lässt sich eine schrittweise Vergrößerung beobachten. Zuerst sieht man nur Linien und etwas Sternennebel. Dann tauchen Planeten auf, ein kleines Loch im Papier und der Sternennebel wird nicht nur mehr, sondern auch lesbar, da er Schrift enthält. Bei der dritten Collage fällt vor allem die Farbigkeit der Linien und größer gewordenen Planeten auf. Auch wird Gegenständliches, wie zum Beispiel ein Auge, im Nebel erkennbar und ein zweites kleines Loch im Papier ist zu entdecken.
Kein Wunder also, wenn man mit leichten Orientierungsschwierigkeiten in Raum und Zeit zu kämpfen hat, taucht man irgendwann dann doch unweigerlich auf aus der Lektüre und in den Lärm und das Gedränge der Menschenmassen. Buchmesse, das ist eine Welt für sich, außerhalb der gewöhnlichen Zeitrechnung. Aber lassen wir den Menschenstrom wieder vorbeischwimmen, es gibt noch so viel mehr zu entdecken: jedes Mal, wenn man nur kurz stehen bleibt und aufblickt, gibt es da ein Buch zu entdecken. Und neben diesem Buch und darunter und darüber: weitere Bücher. Bücher, die ebenso spannend wie ungewöhnlich sind, wie zum Beispiel die Bücher der redfoxpress.
Die redfoxpress ist ein Verlag, so bunt wie das Leben selbst: wer hier eintaucht, der kommt vor lauter Finden gar nicht mehr zum Suchen, gibt es hier doch so unglaublich viele tolle Buchkleinode zu entdecken. Gefunden habe ich u.a. nichts (Besonderes), ein absolut geniales Buch. „nothing (special). polaroid pictures. collected by Antic-Ham“ Es handelt sich dabei nicht um irgendeine Sammlung von Polaroid-Fotos, sondern um eine Sammlung schlechter Polaroid-Fotos. Also Fotos, auf denen tatsächlich nichts (Besonderes) zu erkennen ist. Gerade das ist jedoch die Besonderheit an ihnen. Zu sehen sind Farbschlieren, ineinander Fließendes und Tropfendes, Flecken oder Linien. Die Fotos lassen an fremdartige Landschaften oder auch an Wasser denken. Und manche scheinen nicht mehr oder weniger einzufangen, als das Licht selbst.
Eine weitere großartige Fotosammlung von Antic-Ham ist erst kürzlich erschienen: „photographer’s shadow“. Dieses Buch macht sichtbar, was eigentlich für gewöhnlich nicht zu sehen ist: die Menschen hinter der Kamera. Es ist eine Sammlung alter schwarz-weißer Kinder- und Urlaubsfotos von Amateurfotografen, denen selbst nicht bewusst war, dass sie sich selbst, bzw. ihren eigenen Schatten mit fotografiert haben. Vielleicht handelt es sich dabei aber auch um eine frühe Form des Selfies, wer weiß. Manchmal sind die Schatten der eigentliche Protagonist auf den Fotos, weil der Schatten des Fotografen weit größer und länger als die fotografierte Person ist. Aber nicht immer ist der Schattenumriss des Fotografen, bzw. der Fotografin ganz zu sehen, hin und wieder ist auch nur ein kleiner Schattenfleck in der Ecke zu erkennen.
Das Sammeln alter Fotos ist ein Schwerpunkt der redfoxpress, ein anderes ist es, selbst Fotos zu machen. Darunter auch Fotos, denen man eigentlich nicht glauben möchte, dass sie neu und nicht gefunden sind. Denn Francis Van Maele verwendet immer wieder auch alte Polaroid-Kameras und –Filme, die es eigentlich gar nicht mehr gibt, was zu sehr spannenden Ergebnissen führt. Eines davon ist das Buch „desolation island. polaroid photographs by Francis Maele“ Das Verwenden alter Polaroid-Filme führt hier zu einer seltsamen Verschiebung des Standpunktes. Denn was die Fotos vermitteln ist der fremde Blick aus der Vergangenheit auf die Gegenwart. Die Fotos selbst geben in ihrer Motivwahl keinerlei Hinweise darauf, dass es sich um neue Fotos handelt. Zu sehen ist beispielsweise ein alter Traktor, menschenleere Landschaft oder verfallende Steinhäuser, alles in eigenartig anmutender Farbgebung. Was sie aber eigentlich zeigen, ist Verlassenheit an sich.
Aber nicht nur Fotobücher gibt es bei der redfoxpress zu finden, auch Siebdruck-Bücher, wie beispielsweise das handgefertigte Siebdruck-Leporello „Monochorde“ mit Holzdeckel von Gottfried Bräunling zum 100. Geburtstag von Jannis Ritsos. Es ist ein vielfärbiger Druck, der sowohl Zitate von Jannis Ritsos, als auch seine Handschrift in die Bildkomposition mit einbezieht.
Mit euch, ja
(und nicht
in der Einsamkeit),
einsam
Zum Abschluss sei noch eine Reihe der redfoxpress erwähnt: „C’est mon Dada“. Es ist eine Reihe kleiner Künstlerbücher, die sich experimenteller, konkreter und visueller Poesie widmen oder Arbeiten, die Text und Bild im Sinne von Dada oder Fluxus miteinander verbinden. Inzwischen umfasst die Reihe über hundert Einzelbücher. Während Marcel Proust noch auf der Suche nach der verlorenen Zeit war, fand ich stattdessen ganz unerwartet die verschwendete Zeit, in Form des Buches „Wasted Time“ von Giovanni Fontana. Es versammelt sehr schöne Text-Bild-Uhren-Collagen, anhand derer man der Zeit richtiggehend beim Vergehen zusehen kann: ein Buch also, das man gar nicht oft genug lesen kann.
Auch das alles kann Buchmesse sein. Buchmesse, einmal anders, abseits von Waffeln, Muscheln mit Pommes, Duvel und ganz entspannt im großen Bogen um und hinter allen Lesungen vorbei.
Bücherliste:
StrzeleckiBooks
Sophia Bauer: „26 Vogelstimmen“, StrzeleckiBooks, erscheint 2017
Katzengaben-Presse
Jcoab und Wlhilem Gimrm: „Ein Mäerchn.“ Katzengraben-Presse, 2004. Mit Illustrationen von Matthias Gnatzy.
Cristóbal Serra: „Eselsohren“, Katzengraben-Presse, 2010. Aus dem Spanischen von Christian Sönnichsen, mit einem Nachwort von Michael Krüger. Illustrationen von Christian Ewald
Michael Krüger: „Heringe“ Katzengraben-Presse, 2008.
Christian Ewald: „Fragen für allemal zählbare Finger“, Katzengraben-Presse, 1991. Mit drei doppelseitigen Näh-Papier-Collagen
redfoxpress
Antic-Ham: "nothing(special)", redfoxpress.
Antic-Ham: "photographer's shadow", redfoxpress.
Francis Van Maele: “desolation island. polaroids", redfoxpress, 2016.
Jannis Ritsos: “Monochorde”, by Gottfried Braeunling, redfoxpress 2009.
Giovanni Fontana: „Wasted Time“. redfoxpress, 2011. "C'est mon Dada" Collection # 57
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