Fix Zone

Paris

Redaktion: 

Ich bin über die Ereignisse in Paris verstummt. Und wahrscheinlich sind sie genau so gedacht – Sprachlosigkeit zu erzeugen, Fassungslosigkeit, sie sind ein Versuch in extremster Form Verständnis und Selbstverständnis zu erschüttern.

Kinder unserer Gesellschaft sind bereit für die Überhöhung eines Glaubens in die Namenslosigkeit und Nichtexistenz zu wechseln, in die absolute eigene Bedeutungslosigkeit, und dabei ihre Mitmenschen mitzureißen, weil auch deren Existenz nicht nur per se bedeutungslos ist auf der Ebene des weltlichen Lebens, sondern sie durch ihre Art zu leben schuldhaft verstrickt sind in die Gottlosigkeit der Horizontale, der Masse, der Gesellschaft.

Diese Kinder laufen Amok und bomben sich dann in die Luft, auf daß nichts übrig bleiben möge von ihnen in der Ebene und alles sich verflüchtigen möge in die Höhe, zu Gott. Sie verzichten auf ihr Dasein für ein erlöstes Leben bei Gott. Denn es ist nichts wert, dieses Dasein, es vertritt Werte, die fehlleiten und falschspielen, schlimmer noch, dieses Dasein verhöhnt den Gott in der Höhe, es probiert Dinge aus, die bereits in der Ebene Erfüllung bringen sollen und damit ans Irdische fesseln, was doch nur dem Höheren dienen soll. So in etwa stelle ich mir den grundsätzlichen Konflikt vor, den man in den Menschen erzeugt, die sich für ihren Glauben opfern. Das sinnlose Bestreben im allgegenwärtigen Jetzt fleischliche Erlösung zu finden wird umgelenkt in ein sinnhaftes Streben dem Jenseits zu, dem Verschwinden für Gott. Ich verlasse die Welt für den Himmel. Ich tauche vor Gott auf nicht als Sünder, nicht mit Leib und Seele, sondern zerrissen in tausend Teile, als Verzichter und Lebensbereuer, der sich vollkommen befreit hat, von allem Irdischen.

Die Attentäter leben einer Attraktion hinterher, die ihrem Leben einen Sinn gibt, der nicht mehr aus dem Sündenpfuhl gefiltert werden muß, sondern direkt in den Himmel führt. Der ganze irdische Scheiß kann mit einer brutalen Aktion hinter sich gelassen werden, das endlose Anstrengen und Mühen und Zweifeln. Das Attentat ist der Fahrstuhl zu Gott: Suche dein Heil nicht in der Welt und den weltlichen Dingen, sondern erlöse dich von dem Dasein und gewinne die Ewigkeit. Leben ist nur sinnvoll, wenn es in Gott mündet. Der ganze Egokram, die ganze Olympiade des irdischen Erfolgs, ist für die Katz.

Solche Botschaft kommt an, vor allem bei jenen, die sich von der Teilnahme an der Olympiade ausgeschlossen fühlen oder unverschuldet benachteiligt sind. Wen ich vom Kochtopf verscheuche, der sucht sich ein neues Heim, der sitzt plötzlich am Tisch einer Bruderschaft, die Schicksal teilt und gemeinsam überwindet. Sie kann nicht in die Breite, also muß sie in die Höhe. Will sagen: unsere Gesellschaft schafft sich die Ausgeschlossenen, die sich eine andere Himmelstür aufschließen wollen, selber, indem sie Heil reserviert und in die Hände desjenigen Einzelnen verspricht, der besonderes Egowerk verrichtet und damit die Empore des Machers hochsteigt oder desjenigen, der vorm TV die dumpfe Erde abgibt, aus dem der Macher als Blühwerk Mensch hinaufwächst in den gottlosen Himmel. Ich kann mir richtig vorstellen, wie  blumige Predigten das Kind abholen, das in den Brunnen gefallen ist. Unsere Gesellschaft hat ein Sinnproblem (und deswegen gibt es den Terrorismus) und muß sich genau dem stellen, sonst wird sie weiter so agieren, daß die Sinnangebote und Versprechungen radikaler Heilsbringer die am Dogma des Lebenserfolgs Gescheiterten absammeln und für sich instrumentalisieren können.

Frank Milautzcki, 15.11.2015

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