„Laubsäge und Scheinbrücke“
„Lutz Seiler 2“ von Amrei-Marie - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC-BY-SA 4.0 über Wikimedia Commons
Jan Wiele bespricht heute in der FAZ Lutz Seilers Poetikvorlesungen in Heidelberg:
„Seine Intonation hat keine große Amplitude, aber umso erstaunlicher ist die Sprachmelodie im engen Raum der kleineren: Eine Wortfolge wie „auf Mön, Hawaii oder sonstwo“ wird da zu einem vorsichtigen Gesang. Dazu noch ein feiner thüringisch-sächsischer Einschlag, bei dem sich ein Wort wie „dort“ fast auf „Geburt“ reimt, und wir sind an einer nicht verschwiegenen Schlüsselstelle seiner Poetik: Von den „müden Dörfern“ spricht Seiler in der ersten Vorlesung, jenen Dörfern Ostthüringens also, aus denen er stammt, von Kindheitstagträumen auf einem „halbtoten Gutsbesitz nach der Kollektivierung“. Er findet dort die fast märchenhafte Erinnerung an die Mutter, die zugleich die Herkunft seiner Stimme erklärt: Sie ließ ihn Gedichte memorieren, mit jeder neu einstudierten Strophe musste er zum Vortrag in die Küche kommen, das war die Liturgie der langen Sonntagvormittage: „Enjambement, diesen Ausdruck kannte keiner, es gab nur den Löffel, der mit diktierte, das Wippen und Nicken über den Töpfen mit Klößen und Thüringer Soßen. Erst die Worte, dann die Punkte, auch die Kommas hat der Autor schließlich nicht umsonst gesetzt.““
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