Lustig? Frustig. Überflüssig!
Es ist das berühmte zweite Buch. Und das auch noch nachdem das erste ziemlich weit oben, aber eben doch nicht ganz oben angekommen ist, es stand 2011 auf der Shortlist zum deutschen Buchpreis. Und im zweiten Buch schreibt Jan Brandt über Jan Brandt und sein von der Literaturkritik gefeiertes Debüt: Gegen die Welt.
Was sofort verstimmt, man hat gar keine Lust überhaupt eine Rezension darüber zu schreiben: das Buch ist knallhartes Kalkül. In Ironie verpackt, in der Umschlaginnenseite, in der sich neuerdings noch Überraschungen verbergen, sieht man eine Zeichnung von Tom Smith: Jan Brandt in Goethe-Positur aus Tischbeins Gemälde „Goethe in der römischen Campagna“. Und damit es auch der Letzte begreift, ist Tischbeins römischer Goethe klein neben dem goetheposierenden großen Brandt abgebildet. Weiter steht auf dem Buch unter dem Umschlag: Ich bin der höflichste Mensch von der Welt. Auf der Rückseite: Ich bin Schriftsteller! Ja, Botschaft angekommen, du bist auch der lustigste Mensch der Welt, und offensichtlich grade der frustigste.
Brandt verschweigt uns denn auch nicht in diesem geschwätzigen Buch mit dem bedeutungsschwangeren Titel: „Tod in Turin“ seinen Frust, dass es nämlich grausam still um ihn wurde, als der Buchpreis 2011 an Eugen Ruge und nicht an ihn ging. Er schreibt, er wusste, dass er nicht gewinnen würde (natürlich). Nur sein Verlag sei durchgedreht, er sei die Ruhe selbst geblieben, dennoch vorsichtshalber befand sich in seinem Jackett der berühmte Zettel mit den Worten, die er lesen würde, wenn, falls, doch: „Ich möchte heute nicht über mein Buch sprechen.“
Einige Feuilletonisten kriegten sich nicht mehr ein vor Begeisterung, wie originell Brandt den Literaturbetrieb karikiert. Dabei klang es eher nach kollegialem Schulterklopfen, ja, du hast das schwierige zweite Buch gemeistert. Kollegial, weil inzwischen fast jeder Feuilletonist ein potenzieller Romankonkurrent ist. Auch Brandt kommt von der Journalistischen (FAZ, Süddeutsche Zeitung).
Also nach der Zeit der Shortlist wurde es ruhig oder sagen wir mal ruhiger um ihn, denn die Literaturbetriebsmaschine war schon angelaufen. Und Brandt lief mit. Der Betrieb führte ihn 2014 nach Turin zur Buchmesse, wo die italienische Ausgabe von „Gegen die Welt“ vorgestellt werden soll. Nicht einmal ein Jahr später, am 12. März 2015, (an seinem Debüt hatte er zehn Jahre geschrieben) pünktlich zur Leipziger Buchmesse lag das 300 Seitenbuch auf dem Cover unterm Schutzumschlag „Materialband I, Turiner Journal“ genannt, bereits vor. Es muss bedauerlich ruhig um Brandt gewesen sein, dass er in diesem atemberaubenden Tempo das niederschreiben konnte.
Das Buch besteht aus drei Teilen. Erst die Vorgeschichte, also der Rummel um „Gegen die Welt“, der zweite Teil hat das Motto: „Alle deutschsprachigen Schriftsteller von Weltrang haben über ihre italienische Reise geschrieben.“ Es folgen Zitate von Heine, den beiden Mann-Brüdern, Seume, Ingeborg Bachmann, Brinkmann und vielen anderen und natürlich Goethe über Goethe. Der letzte Satz des Kapitels ist schon eine Drohung: „Und jetzt ich“. Es folgt die Beschreibung der drei Tage während der Turiner Buchmesse, minutiös mit fast zweihundert Anmerkungen. Nicht etwa hinten, sondern als Fußnoten auf den Seiten. Vom Strickpulli der beim Einchecken vor ihm stehenden Person, über die Flugnummern, Reihe, Sitz bis zum Inhalt der Minibar in seiner Unterkunft. Und damit der Titel „Tod in…“, der - naja, wir wissen schon welchen Titel der Weltliteratur assoziiert - gerechtfertigt ist, gibt es eine Liste berühmter Schriftsteller, die den Freitod gewählt haben, Todesort und Todesart. Diese Liste ist tatsächlich interessant. Wieder auch mit vielen Anmerkungen gespickt, damit wir sehen, wie gut der Autor recherchiert hat. Diese Liste wäre eine gute Grundlage für einen interessanten Zeitungsartikel oder ein Funkessay. Aber in diesem Buch, man wird das Gefühl nicht los, haben die Liste und die dazugehörigen Gespräche die Aufgabe den reißerischen Buchtitel zu rechtfertigen. Und in einer Schluss-Sequenz wird nun endlich auch der Bogen geschlagen, der Autor hat Angst beim Rückflug abzustürzen. Passiert natürlich nicht.
Es gibt die knapp 200 Anmerkungen, von Jan Brandt mit dem zugegeben originellen Begriff „Unterwelt“ bezeichnet, die eine - ja, was - Wissenschaftlichkeit karikieren sollen, aber wozu, denn Fußnoten gehören eigentlich nicht zu einem Roman, werden aber seit einiger Zeit anscheinend gern genommen, Brandt ist ja nicht der erste Romanfußnotenschreiber. Stimmt ja, das Buch ist kein Roman, sondern hat die - schon wieder witzig-originell - Genrebezeichnung: Eine italienische Reise ohne Wiederkehr. Meint, Brandt wird nicht wieder nach Turin fahren, DAS ist vorbei. Frrrrust: Tod in Turin. Was ist denn da in ihm gestorben, in Turin. Der Glaube, dass das Schreiben von Büchern einen unsterblich macht? Das wäre ja sogar richtig. Dass der Literaturbetrieb einen trägt, auch wenn man nur der Zweite ist. Der Betrieb trägt, das hat er erfahren. Auch wenn es lustiger ist, Preisträger zu sein. Und wenn Brandts realer Verlag Dumont verkündet, der Autor stehe für Lesungen und Interviews NICHT zur Verfügung, scheint es, dass Brandt dem Literaturbetrieb entfliehen will oder ihn gar bestrafen? Weil die Leser doch so gern ihre Autoren sehen, mit ihnen sprechen und wissen wollen, was in ihnen vorgeht. Das ist ja nicht nötig, Brandt erzählt es uns auf 300 Seiten. Fehlt eigentlich nur noch die eidesstattliche Erklärung, dass die Personen im Buch keinerlei Ähnlichkeiten mit lebenden haben. Nein, Brandt geht einen Schritt weiter, indem er Namen schwärzen lässt, bis hin zum ellenlangen Dank, in dem drei Namen geschwärzt sind, warum? Haben die das Buch geschrieben? Dieses Buch, auf das die Welt wahrhaftig nicht gewartet hat.
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