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Kritik

Dream is Over

Hamburg

Ein Sach- oder Kolportagebuch über die John Lennons Zeit in New York, über seine "revolutionären Jahre" also, übersetzt aus dem Englischen des alten alternativ-journalistischen Haudegens James Mitchell, erschien im Nautilus-Verlag und ist durchaus lesenswert.

"Das Walross und die Elefanten. John Lennons revolutionäre Jahre" ist kein Buch, das mich überrascht hat. Dabei geht es nicht um das, was man neuerdings "Content" nennt: Die meisten Informationen über den Gegenstand des Buches werden der Mehrzahl der Leser so neu sein wie mir; es kann sein, dass sich einem auch dieser oder jener Zusammenhang zwischen der ideologischen und der materiell greifbaren Inneneinrichtung der siebziger Jahre durch diese Lektüre neu erschließt (so ist es zumindest mir in mehreren Fällen gegangen). In Aufbau, Gestaltung, Sprache, Fokus und in der spürbaren Grundhaltung des Verfassers jedoch weicht nichts an dem Band von den Vorstellungen und Vorurteilen ab, die man bekommt, wenn man ihn in die Hand nimmt und sich an Umschlag und Klappentext orientiert.

Sogar noch die spürbar schludrige Übersetzung (oder wohl eher: die Übersetzung, die genauso schludrig ist, wie der Übersetzer glaubt, sie anlegen zu müssen, damit er dem "lockeren Tonfall" des englischen Originals gerecht werde) ärgert einen im Lauf der ersten zwei Kapitel in genau dem Ausmaß, das man von einem solchen Buch erwartet, nämlich: In genau dem selben Ausmaß und derselben Weise wie das deutschsprachige Voice-Over in älteren englischsprachigen Dokumentarfilmen über politisch-zeithistorische Themen. Beispiel:

Es herrschte eine bunt gemischte, freiheitliche Geisteshaltung, hier trafen Musik, radikale politische Ansichten und Kunst aufeinander (...).

"Freiheitlich"? Da wird im Original wohl "liberal" stehen, und selbstverständlich musste eine Alternative dazu her, die amerikanische politische Standortbezeichnung "liberal" ("libberell") mit dem deutschen Wort "liberal" ("lieberahl") widerzugeben - handelt es sich hier doch um zwei völlig verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Traditionen. Doch wenn ich zu diesem Zweck das Wort "freiheitlich" verwende, ist nichts gelöst: "Freiheitlich" und "freisinnig“ transportieren wiederum denselben Traditionenballast (riechen sozusagen nach Wartburgfest und Kornblume). Da nun die entsprechende Stelle (schon, aber) nicht hauptsächlich die Nähe jener Atmosphäre zu den politischen liberals transportiert, sondern eher, dass in jener Zeit, an jenem Ort "vieles möglich war", wäre also "offen" die eindeutig korrektere Vokabel gewesen.

Abgesehen also von allem dem, was uns an Übertragungen journalistischer Großformen aus dem Englischen ins Deutsche auch sonst nervt (es handelt sich natürlich um die Sorte Sachzwang, der kein professioneller Mitarbeiter an einer solchen Übertragung entrinnen kann - die Vokabel "offen" steht im eben genannte Beispiel einfach nicht weit genug oben in der Duden-Synonymenliste. Das ist ein objektivierbares Kriterium, und fertig.), ist "Das Walross und die Elefanten" sehr o.k. Sehr, sehr o.k. sogar; und in den leicht gestelzten Plaudertonfall findet man sich - wie gesagt, nach ein-zwei Kapiteln - auch ein.

Es handelt sich, schlicht und bündig, um eine gut zugängliche, sorgfältig recherchierte Monographie über "John Lennons revolutionäre Jahre". Worum es sich ganz entschieden nicht handelt, ist ein Erzähltext mit Kolportage-Elementen - Sprache und Aufbau folgen getreu allen Regeln des unterhaltsam zu lesenden Pop-Feuilletons, und das war es dann auch, mehr muss nicht sein. Was auch nicht vorliegt, ist eine geschichtsphilosophische oder kunsttheoretische Abhandlung.

Und das ist auch alles, wie gesagt, ganz gut so. Denn Mitchells Buch bereitet mir so, wie es vorliegt, durchaus Vergnügen.

Dieses Vergnügen hat viel mit der schieren Menge der ausgebreiteten Tatsachenfunde zu tun; damit, dass wir, wo zwar keine theoriegeschichtlichen, so doch biographische Details über alle möglichen  Protagonisten "der Achtundsechziger" erfahren, die dann auch gut und nachvollziehbar miteinander verwoben sind. Dieses Vergnügen hat auch etwas mit der historischen Distanz zu tun, aus der wir "Das Walross und die Elefanten" lesen dürfen: Die Interviews, die Mitchell für dieses Buch mit Veteranen beider Seiten des damaligen Konflikts geführt hat, also mit alten Hippies, Yippies, Musikern und Untergrundlern ebenso wie mit damaligen Angehörigen des FBI und Nixon-Vertrauten, tauchen die geschilderten Vorgänge gelegentlich in ein nostalgisches Licht. In diesem Licht sehen wir nicht zuerst den verzweifelten Überlebenskampf der Bürgerrechtler, die vom Krieg zerstörten Existenzen und den Anflug polizeistaatlicher Allüren in den damaligen USA. Wir können alles das in dem Buch durchaus finden, aber es ist bloß der Hintergrund zu einer Agentenkomödie mit dem möglichen Arbeitstitel: "Dicky Trick gegen die dreckigen Hippies" (Louis de Funès' "Gendarm von Saint Tropez" meets "Frost/Nixon", oder so ähnlich). Anders gesagt: Mitchell schreibt über politische Zusammenhänge, und er weiss sichtlich, wovon er da schreibt; aber er bedient sich dabei jener "Brille", durch welche die systemischen und theoretischen Faktoren als biographische Faktoren erscheinen.

Unter der Hand schlechterer Autoren als Mitchell würde eine solche Vorgabe in der Pathologisierung des je dissidenten Elements münden; bei Mitchell entsteht eine Art Parade der Typen und Figuren dieser paar ganz bestimmten Soziotope, deren Ringen miteinander die Welt nachhaltig prägte. Ich kann mir diese Parade - wie gesagt: sehr vergnügt - ansehen, weil ich weiss, was ich mir von welcher Textsorte erwarten darf und was nicht. 

In der Natur der Sache liegt, dass es in "Das Walross und die Elefanten" häufig um Jam-Sessions und Konzerte geht, um ihr Zustandekommen, ihre musikalische Qualität und ihre (politischen) Auswirkungen - beziehen sich doch die "Elefanten" im Titel auf Lennons Band aus jener Zeit, "Elephant's Memory". An diesen Stellen des Buches - überhaupt immer, wenn es um Musik geht, gleich, um wessen Musik - macht es mir am meisten Spaß, und es sind auch diese Stellen, an denen es so etwas wie eine Agenda, eine These erkennen lässt: Von der unmittelbaren gesellschaftlichen Wirkmacht der Musik.

 

 

James A. Mitchell
Das Walross und die Elefanten
John Lennons revolutionäre Jahre
Aus dem amerikanischen Englisch von Ronald Gutberlet
Edition Nautilus
2015 · 224 Seiten + 24 Fotos · 24,90 Euro
ISBN:
978-3-89401-816-0

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