Galgen und Humor
Als Schutzhäftling W. Finck im Konzentrationslager Esterwegen von der Lagerleitung aufgefordert wird, seine Mithäftlinge mit einer Kabarettaufführung zu unterhalten, ist er nicht gerade um Worte verlegen: „Kameraden, wir wollen versuchen, euch etwas zu erheitern. Unser Humor wird uns dabei helfen. Obwohl wir Galgen und Humor noch nie so dicht beieinander erlebt haben.“ Wer war dieser Mann, der es wagte, von den Erwartungen seines Publikums zu sagen, sie seien „hochgespannt“ wie die sie umgebenden Stacheldrahtzäune? Und wie weit reichte die Chuzpe dieses Mannes, dem die Stiftung Topographie des Terrors mit dem bei Hentrich und Hentrich in der „Notizen“-Reihe erschienenen Band „Werner Finck und die ‚Katakombe‘“ nun ein Denkmal gesetzt hat?
Fangen wir am Anfang an: 1902 beginnt in Görlitz die Geschichte Werner Fincks, dem – wir stellen es uns zumindest lebhaft vor - bereits im zarten Kindesalter der Schalk im Nacken saß. Denn Werner Finck fand früh seine Berufung: die Berliner Kabarettszene aufzumischen. Zweifellos brachte er alles mit, was ein großer Kleinkünstler brauchte - ein unnachahmliches Talent für Wortwitz, ein Gespür für das richtige Timing und den Draht zum Publikum. Ironischerweise war er in politischen Fragen relativ unbeleckt. Der aus einem national-konservativen Milieu stammende junge Mann stellte immerhin lakonisch fest, dass man als Kabarettist „irgendwie automatisch links“ zu sein hatte. Nicht minder unverdächtig war zunächst auch das Programm des Kabaretts Katakombe, dessen Leitung er 1930 übernahm, gerade einmal ein Jahr nach seiner Gründung. Am Vorabend der Machtergreifung Hitlers ließ sich die B.Z. am Mittag in Anbetracht der zahlreichen geflohenen, verhafteten oder ermordeten Kleinkünstler dazu hinreißen, Finck öffentlich über den grünen Klee zu loben: „Alles freut sich, daß Sie, der liebe, tollpatschige Kerl geblieben sind, dem niemand etwas übelnehmen kann.“ Wie sehr sich die Berliner Zeitung in Finck täuschte, sollte sich bald herausstellen. Denn mit Goebbels Ernennung zum Präsidenten der Reichskulturkammer und dem Erlass des „Heimtückegesetzes“ wurde die Katakombe bald zum Objekt nationalsozialistischer Hassliebe.
So hatten die Deutschen zwar einen brillanten Humoristen, einen talentierten Redner und Publikumsliebling, noch dazu aus gutbürgerlichem Elternhaus, kurz: ein Original, das man wunderbar in die Unterhaltungsindustrie hätte einspannen können. Zu dumm nur, dass ihm in Wirklichkeit aber der Sinn danach stand, den Braunen kräftig in die Suppe zu spucken. Vielleicht erklärt dieser Umstand das zunächst zögerliche Vorgehen der Stapo und Gestapo gegen die Kabarettisten der Katakombe. Es dauerte, bis man schließlich „staatsfeindliches Potenzial“ in den Conférencen zu erkennen glaubte. Finck, dessen Auftritte der Völkische Beobachter einst in höchsten Tönen gelobt hatte, wurde allmählich Joseph Goebbels Lieblingsärgernis, wie auch seine Tagebücher belegen, aus denen Greve zitiert.
Wer auf Goebbels Abschussliste stand, dessen Schicksal war vorgezeichnet: Das Programm der Katakombe wurde wegen der als „aufrührerisch“ geltenden Beiträge strengstens von der Gestapo überwacht; im Mai 1935 endete ihre kurze Geschichte. Für Finck folgte nun ein Spießrutenlauf der schlimmsten Sorte: Hausgefängnis der Gestapo-Zentrale, Haft im KZ Esterwegen, Sondergerichtsprozess wegen Vergehen gegen das „Heimtückegesetz“ und Freispruch, Ausschluss aus der Reichskulturkammer und schließlich neunmonatige Haft im Wehrmachtuntersuchungsgefängnis wegen Verdacht auf staatsfeindliche Konspiration.
Den schmalen Grat zwischen wirtschaftlichem Überlebenswillen und beherzter humoristischer Subversion ging er sicher nicht ganz ohne Verzagtheit, aber eben auch nicht ohne den für ihn typischen Galgenhumor. Besuchten einige NS-Funktionäre die Katakombe zunächst noch als Freizeitvergnügen, wurden Beamte des NS-Apparats bald vom zunehmend misstrauischen Propagandaminister Goebbels als Spitzel eingesetzt. Doch selbst mit dem sprichwörtlichen Messer an der Kehle ließ es sich Finck nicht nehmen, die Nationalsozialisten zu verspotten. „Spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder – muss ich mitkommen?“, soll er einmal zu einem Spitzel gesagt haben, der im Publikum saß und sich eifrig Notizen machte. Noch Jahre später wird Finck, Meister des hintergründigen Humors, bei seinen überaus beliebten Auftritten immer wieder zum Thema NS-Zeit zurückkehren. Ein wenig wirkte es so, als konnte Finck da noch nicht so recht glauben, dass der Eiertanz mit der Zensur der Vergangenheit angehörte. Doch kabarettistisch geht er in die Vollen, und das Deutschland der Nachkriegszeit dankt es ihm mit aufrichtiger Zuneigung und gefüllten Sälen.
Historikerin Swantje Greve schlägt genau den richtigen Ton an: kritisch, unparteiisch, stets voller Respekt dem Menschen Finck und seinem Vermächtnis gegenüber. Ihr Buch ist außerdem erstaunlich unterhaltsam; fast erscheint einem Finck wie ein Anti-Mephisto. Doch auch wenn er nichts mit Klaus Manns diabolischer Figur gemein hat, so stellt sich doch immer noch die eine oder andere Frage: Wie war dem populären Kabarettisten zumute, als er von seinem Ausschluss aus der Reichskulturkammer erfuhr? Wie reagierte er auf die Anwesenheit von hochrangigen Nazis in seinem Publikum, oder auf die lobenden Worte des Völkischen Beobachters zu Beginn seiner Karriere? Das sind Fragen, auf die das Buch keine klaren Antworten liefert.
Auch andere Fragen bleiben offen: Informationen über den Menschen Finck als „aufrührerisches Element“ wird in erster Linie aus der Perspektive der politischen Instanzen und der Presse vermittelt. Wir erfahren also zum Beispiel nicht, ob sich seine Bühnen- mit seiner Alltagspersönlichkeit deckte und welchen Eindruck er auf sein persönliches Umfeld machte. Zudem bleibt der Charakter seiner Frau völlig im Dunkeln: In einem Nebensatz wird erwähnt, dass sie „wegen vermeintlichen Abhörens von „Feindsendern“ in Untersuchungshaft war“; mehr weiß der Leser über sie nicht.
Ein umfassendes Porträt darf man von einem knapp 80-seitigen Band mit seinen zahlreichen Abbildungen natürlich nicht erwarten. Greves Arbeit ist indes ein hochspannender Einblick in die Mühlen der NS-Strafjustiz und das rigorose Vorgehen gegen ursprünglich unpolitische Dissidenten wie Finck – der Mann mit dem tiefempfundenen Wunsch, Verständnis für „echten, befreienden Humor“ zu fördern und „Freiheit zu geben … Narrenfreiheit.“
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