Harald Gröhlers Sprung durch den Teich Sprache
Beim ersten Lesen von Harald Gröhlers Gedichten musste ich öfters lachen. Ich musste lachen, weil ich mich über seine Sprache freute. Es gibt nämlich nicht viele Lyriker, die eine so ausgeprägte eigene Sprache entwickelt haben, dass man sie förmlich sprechen hört. An Ernst Jandls "heruntergekommene Sprache" muss ich da denken oder an Sarah Kirschs selbstgebackene in ihren Prosa-Miniaturen. Aber Harald Gröhlers Sprache ist ganz anders als die der berühmten Kollegen. Sie klaubt sich ihr Material aus den abenteuerlichsten Bereichen zusammen: aus der Umgangssprache, aus Dialekten, aus dem Phantasie-Gebrabbel von Kindern; sie ist voller Alliterationen, merkwürdiger Wiederholungen und Kürzungen. Sie wirkt gebildet und naiv, federleicht und gravierend zugleich. Sie nimmt jeder Schwere die Peinlichkeit, jedem akademischen Duktus die Besserwisserei. Sie ist ein Konglomerat aus Worten, die nicht zusammengehören und doch zusammenpassen. Allein dies macht Harald Gröhler schon zu einem Dichter, dem unsere Aufmerksamkeit gebührt. Und der Rezipientin ermöglicht sie immer wieder, ein Stück (sprachlicher) Freiheit zu erleben, Freiheit auch, etwas zu fühlen, ohne in die Falle (sprachlich bedingter) Sentimentalität zu geraten.
Die 102 Gedichte des Lyrikbandes gehen unterschiedlich vor. Aber zuerst die Gemeinsamkeiten – außer den sprachlichen, schon genannten: Beinahe alle besitzen ein lyrisches Ich, viele haben Auslassungszeichen, Leerstellen, die verdeutlichen, dass das Gesagte nicht alles ist, was im Zusammenhang des Textes zu sagen ist. Sie haben eine normale Rechtschreibung und Interpunktion. Einige sind mit Anmerkungen versehen, welche allerdings selten über einen Sachverhalt aufklären, sondern oft Teil des Gedichtes sind, eine romantisch-ironisch anmutende Spielerei.
Der Mull, seine Jäger
Am See.
Heute fand ich zum zweiten Mal
den
kleinen toten Maulwurf am See.
Die Gedichte haben oft einen narrativen Charakter. Aber sie gehen keinesfalls wie Erzählungen vor. Alles Erzählte geschieht beispielsweise zur selben Zeit, wie im Text "Sekunde", wo das lyrische Ich einen Knall hört, meint zu hören, und dann das zum Knall passende Geschehen imaginiert – in unterschiedlichen Varianten. Ein anderes Beispiel hierfür ist der Text "Eins":
"…// Die Frau verschluckt sich einmal, / ein Ochse brüllt, zwei Hunde jaulen kilometerweit; / die mir nun vertraute Frau hustet. / Blitzschläge seh ich, dass / die Barometer / noch vor dem Donner / anders ausschlagen."
Oder in der Realität sehr weit voneinander Entferntes kommt plötzlich im Gedicht zusammen, hier und jetzt, wie im Text "Oberhalb der Funi", wo die Madonna del Sasso von Locarno der zweijährigen Tochter des lyrischen Ichs in Köln beim Gehen zuschaut.
In diesem wie in vielen der Texte stehen so faszinierende Zeilen wie: "Ich kriege von meiner Tochter Sand geschenkt. / Also einen nennenswerten Anteil des Weltalls".
Besonders die Schlussverse reißen oftmals die Gedichte, die, wie der Autor selbst sagt, inhaltlich "mäandrieren", indem sie ihre Sujets aufgreifen und wieder fallenlassen, noch einmal in eine neue Richtung herum, so dass sich vermeintliche Verständnis-Gewissheiten des Lesers wieder auflösen können. Oder sie schließen auf kunstvolle Weise den Kreis, indem sie ein Anfangsmotiv des Textes aufnehmen und variieren.
Bisweilen vermischt sich das lyrische Ich mit einer anderen (bekannten oder unbekannten) Person, setzt sich an deren Stelle, z. B. an die des Herrn Geheimrats G. ("Von denen Hunden"), oder nimmt in deren Leben Platz, z. B. in dem der ägyptischen Königin Kleopatra VII. ("Lockeres Flattriges").
Harald Gröhlers Texte bewegen sich im Raum zwischen dem banalen Leben und dessen tiefgründigen Dimensionen und Möglichkeiten oder, wie der Dichter selbst sagt, zwischen "kollektiv gewordenen Mythen und einer jeweils individuellen Realität".
Der Einsturz der Küche
Meine Großmutt stand im Weltall. Weil
der Donner die Welt
zerpellt hat,
und sie fiel und fiel und hörte gar nicht auf zu plumpsen.
Mein Neffe, er
wird jetzt Astrophysiker. ……
Die Theoretiker
raunzen und schwitzen.
Da stürzt ihnen schon die Sternmasse
zu einem Klumpen zusammen,…
… Jean Paul
ist zwischen den Sternen,
fliegt dahin und dorthin
und kaschiert das verschüchtertals Traum über das All, zum
zweiten Mal.…
Meine Großmutter sagt zu ihm noch:
dass er bloß nicht stolpert dort
gegen was
und dermaßen tief herunterfällt.
Und Harald Gröhler läßt vieles an Mythen in die Gedichte hinein und siedelt es an Orten an (bekannten und weniger bekannten), die das lyrische Ich bewohnt oder besucht, wie in
Eidolon mit Atompilz
Jemand Kleines befiehlt; nichts da!
Personen, die in einem
Flugsimulator
saßen, dürfen danach
vierundzwanzig Stunden kein Flugzeug mehr steuern.
Auf der Brücke steh ich,
und diese Brücke
montierten sie
aus Brettern
und verborgenen Schrauben. Mancher
glaubt bei der Brücke auch
an nicht sichtbare Balken;
sie ist eine Traumbrücke, denn überall –
wohin ich mich wende –
sind Löcher aus ihr herausgefault,
durch die ich und jeder
hindurch fallen kann.
Aber die Brücke berührt kein Traum, sieläuft in Rummelsburg über den Fluss,
und wie viel sind schon hinuntergekollert,
achtlose Träumer zuerst, zur
falschen Zeit Hölzerne, Schlaftrunkne,
Flieger?…
Als Rezipient folgt man fast atemlos seinen traumtänzerischen Reisen durch die Kulturgeschichte, welche oft zu den feinsten Erkenntnissen führen.
Das Land, aus dem ich heraus muss
Ich sehe den Schwan –
aufflattern und davonschnellen
im Teich.
Zeus ist wieder
hinter der frostigen, vornehmen und verzauberten Leda her…
Die Götter sind jung geblieben,
und ich erkenn
ihren unsterblichen Stillstand.
Wir Menschen inzwischen
sind älter geworden
und haben uns komisch verändert.
Was Wunder,
wir gehen auf den Tod zu,
uns
hält nicht Unsterblichkeit auf.
Es ist ein gebildetes lyrisches Ich, das in Harald Gröhlers Texten die Welt und ihre Bewohner beobachtet, und es beobachtet mit Zärtlichkeit und Humor. Beides gehört hier zusammen; gelacht wird über sich selbst:
"Nein, zu mir nach innen geht die Tür auf. / Mein Pech, / und je ärger ich gegen die Tür anrenne, / desto mehr drück ich mir die Tür zu."
Und es ist ein lyrisches Ich, das in einer Welt lebt, in der "einfache Wahrheit … nicht zu haben ist." Dazu zum Abschluss ein Zitat aus dem titelgebenden Gedicht des Bandes, das auch mit verstreuten Reimen arbeitet:
Schaum im Teich
…
Vom Schaum meiner Kindheit
kein Rest,
von Kindspech und Honig. Fehlen die Mutproben,
und es fehlt auch das Ziel.
Vom Sprung durch den Teich
spritzt außer der Nässe doch nicht viel.
… Halt' ich mich seitdem an meiner Mütze fest.
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