Irgendwo Irgendwie Irgendwann
2014 hat Tex Rubinowitz den Bachmannpreis für den Textauszug Wir waren niemals hier bekommen. Darin geht es um die (unerfüllte) Beziehung des Ich-Erzählers alias Tex Rubinowitz zu der irgendwie Litauerin Irma, die eine Zeit lang bei ihm wohnte, an Batterien lutschte, Koreanisch lernte, ihren Gastgeber aber sexuell auf Abstand hielt. Er macht sich, wie Meike Feßmann in Klagenfurt feststellte, für sie zum Affen indem er beispielsweise – etwas, das ich mir absolut nicht vorstellen kann - an einem Stand ein glühend heißes Hähnchen vom Spieß reißt, weil Irma Hunger hat. Diese Irma verschwindet wieder aus seinem Leben, bis sie sich dreißig Jahre später via Facebook bei ihm meldet. Irmas Kontaktaufnahme ist für den Erzähler/Autor der Anstoß, sich auf weitere Spuren seines Lebens zu begeben. Irma bleibt eine Episode unter vielen.
Denn nun begibt sich Rubinowitz und mit ihm der Leser auf eine atemlose Reise durch die Biographie eines jungen Menschen, der 1977 mit sieben Fünfen von der Schule geflogen ist und seitdem viele berufliche und persönliche Stationen durchläuft, wobei er, sowohl im Leben als auch beim Erzählen, eher Umwege als gerade Strecken wählt. Als Kunststudent kommt er nach Wien. Bald hat der heute sehr erfolgreiche Maler und Cartoonist keine Lust mehr auf das Studium. Aber:
Meinen nun ungültig gestempelten Studentenausweis wollte ich nicht einfach wegschmeißen, sondern irgendwo deponieren, muss sich doch gelohnt haben, dass man überhaupt aufgenommen wurde, als einer von 5 unter 150 Bewerbern, und mit ihm in einem pathetischen Akt irgendwo und irgendwie eine biographische Marke zu setzten, ein kleines unsichtbares Happening zu veranstalten.
Er geht also zum Schloss Schönbrunn, springt in den Najadenbrunnen und will ihn der Nymphe zwischen die Finger stecken, wobei aber leider deren Daumen abbricht.
Der Erzähler zieht oft um, hat mehrere Jobs und ist finanziell keineswegs auf Rosen gebettet. Das stets herrschende Chaos, oft ist von Klauen die Rede, ist witzig erzählt. Seine ganze Liebe gehört der Musik, alles ist mit Songtexten, Namen von Bands, LPs und Sängern unterlegt, Rubinowitz, der Tausendsassa, der die Band Mäuse und das Musiklabel Angelika Köhlermann gegründet hat, ist ein profunder Kenner der Musikszene.
Manchmal ist es etwas anstrengend dem mäandernden, assoziativen Erzählstil immer aufmerksam zu folgen. Vielleicht sollte man das Buch nicht an einem Stück lesen, um die vielen aufeinanderfolgenden Informationen, Namen, Orte, Reflexionen aufnehmen zu können. In Kapitel vierzehn spricht er von seiner ersten Schallplatte und darüber, dass man alle ersten Male nicht vergisst.
Erster Kuss, erste Eins, erste Fünf, erste Uhr, erste Wespe in der Coladose, erstes chinesisches Essen, auch die erste Platte gehört dazu, das sind biographische Eckdaten, auf denen das Leben oder das, was wir fürs Leben halten, gebaut wird, ein Klebstoff, der den ganzen trüben Rest zusammenhält, mal fester, mal weniger fest, mal mit Zement, mal mit Spucke.
Dann schreibt er, das seien eigentlich nur Halteschlaufen in einem Bus, der uns von irgendwoher nach irgendwohin bringe und aus dem wir irgendwann aussteigen müssten.
Folgende Halteschlaufen nennt der Autor in diesem vierzehnten Kapitel:
Die Sparks, wobei er meint, der Sänger sei ein Stalker und dass er, Rubinowitz, auch einmal eine Stalkerin gekannt habe. Dass Tänzer wenig sprechen und nur küssen würden, dass er eine vermüllte Wohnung habe, Pia kennenlernte, die wie er Kaurismäki mochte, die allerdings ein Jahr später schwanger und er Trauzeuge bei ihr war und – uff – dass ihr Kind tot geboren wurde und Pia es Aki nennen wollte.
Im letzten Kapitel reflektiert der Autor sein Schreiben in einem Gespräch mit seinem Lektor. Der fragt ihn, ob er beim Gegenstand bleiben oder den Text in die Abstraktion überführen wolle. Das sei nicht ganz klar zu erkennen. Es hängt immer diese Unentschiedenheit, Unentschlossenheit im Raum wie, ja, wie eine halb aufgezogene Gardine.
Auf diesen Vorwurf hat Tex Rubinowitz schon ein paar Seiten vorher geantwortet:
Aber diese Mäander werden uns immer daran erinnern, dass wir leben, das kann man ja nicht erfinden, nicht planen, denn was man plant, muss früher oder später schiefgehen.
Zwischen den einzelnen Kapiteln gibt es Zeichnungen, die angeblich von Max Müller, vielleicht aber doch von dem Autor selbst sind. Irgendwie würde das passen.
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