Der Geschichtsschreiber der Gegenwart
Heinrich Heine, ein zynischer Zeitkritiker. Heinrich Heine, ein Antiromantiker des Liebesgedichts. Heinrich Heine, ein streitbarer Kommentator, der persiflierend die Pressezensur verhöhnte, indem ein Kapitel seiner „Reisebilder“ nur die berühmten Worte „Die deutschen Censoren — — — — Dummköpfe — — — —“ enthielt. Gegen solche oder ähnliche (nicht ganz unzutreffende) Schlagworte, die sich in vielen Köpfen festgesetzt haben, hat Rolf Hosfeld nun ein detaillierteres und facettenreicheres Bild entworfen. Er zeichnet Heine nicht bloß als einen spottenden Lyriker, sondern vor allem als einen mit allen philosophischen Wassern gewaschenen Geschichtsschreiber der Gegenwart, einen Intellektuellen, der wachsam war für bestimmte Phänomene und Strömungen seiner Epoche, ohne sich von ihnen mitreißen zu lassen. Hosfelds Darstellung erfordert Konzentration und einiges historisches Vorwissen, denn unter seiner Hand entstehen noch einmal die wichtigsten politischen Vorgänge in Europa, in deren Sog sich Heine bewegt hat.
Neuere Erkenntnisse über Heine — kann es sie überhaupt geben? — darf man ebenso wenig erwarten wie sensationslüsterne, kolportagehafte Einblicke in Szenen seines Liebes- und Privatlebens. Dennoch blitzen biographische Einzelheiten allenthalben auf, beispielsweise wenn Heine nur in einen Flanellumhang gehüllt trotz einer Choleraepidemie unerschrocken durch die schmutzigsten Viertel von Paris wandert, wenn er aus Angst vor den Spitzeln der Zensurbehörden mit einer Pistole bewaffnet seine Hinterhofwohnung verläßt, wenn er, gelähmt von seiner Krankheit und ans Bett gefesselt, die Randale der Revolutionen des Jahres 1848 auf den Straßen mitanhört. Nicht um eine möglichst umfassende chronologische Abhandlung ist es Hosfeld getan — die wichtigsten Stationen sind freilich allemal präsent —, sondern um eine Positionierung Heines in den geistigen Bewegungen seiner Zeit. Deshalb liegt der Schwerpunkt der Biographie auch nicht, wie in literaturwissenschaftlichen Abrissen meist üblich, bei dem Lyriker; sie ist vielmehr — und das entspricht wohltuend der Gewichtung im Werk selber — auf den Essayisten gerichtet. Nur gelegentlich wünscht man sich, neugierig geworden, daß das eine oder andere, der notwendigen Straffung zum Trotz, mehr als eine Andeutung geblieben wäre.
Heinrich Heine war ein deutscher Dichter. Heinrich Heine war Jude. Heute ist uns dieser Umstand — glücklicherweise — kaum eine Bemerkung wert. Doch zu seinen Lebzeiten hatte Heine immer wieder mit antisemitischen Ressentiments zu kämpfen. Hosfeld legt besonderes Augenmerk darauf, wie vor ihm schon Ygal Lossin und Jochanan Trilse-Finkelstein, bettet es aber stärker in den europäischen Kontext ein, so daß sich vieles als Vorbote kommenden Unheils im Zwanzigsten Jahrhundert liest, wenn „die machtbetonte Zwangsjacke der Unfreiheit, einmal abgeworfen, auch die destruktivsten Eruptionen eines deutschromantisch verengten Nationalismus freisetzt“. Doch auch in literarischer Hinsicht überrascht Hosfeld subtil mit aktuellen Parallelen, etwa daß zur Tradition der Berliner Salons, in die Heine durch Rahel Varnhagen eingeführt wurde, „stets ein gewisser Avantgardeanspruch“ gehörte; oder daß die Zeitungen auch damals schon immer wieder um einen innovativen Stil bemüht waren, mit denen sie neue Leser anlocken wollten. Als nicht minder aktuell stellt sich Heines Religionskritik im „Romanzero“ heraus, die, konfessionellen Frieden und Toleranz lessingscher Provenienz durchaus im Sinn, jeglichen Wert irdischer Glücksansprüche und Heilsversprechen bezweifelt: „Welcher Recht hat, weiß ich nicht — / Doch es will mich schier bedünken, / Daß der Rabbi und der Mönch, / Daß sie alle beide stinken“, endet das Gedicht „Disputazion“.
Natur gerät „bei Heine kaum, und wenn, dann sehr subjektiv ins Visier“, ihm ist es, wie auf seiner „Harzreise“, mehr um die Menschen und ihre Lebensbedingungen bestellt. Er besitzt nicht „das Hegel’sche Vertrauen in die Vernunft der Geschichte“, so Hosfeld, deshalb hat er einen genauen Blick auf die politischen und sozialen Zustände nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und England. In Hosfelds Darstellung läßt sich die „Geburt des engagierten Zeitschriftstellers“ miterleben, die „Utopie des saint-simonistischen Industrialismus“, die Religionskritik, die Heine später in die Nähe des von ihm beeinflußten Karl Marx bringt, der Streit mit Platen und mit Börne, die Polemik gegen die Romantiker (wobei an dieser Stelle etwas stärker hätte herausgearbeitet werden sollen, in welcher Weise sie von ihm — und manchem Nachgeborenen — mißverstanden wurden) und die „Vorrede“ zu den „Französischen Zuständen“, eine radikale, gegen den Deutschen Bund und vor allem Preußen gerichtete Anklage, das „die Grundlagen des in der Reformzeit verkündeten Gesellschaftsvertrags spätestens im Sommer 1832 heimtückisch verraten“ hat. Heine mag oft polemisch gewesen sein, mit zweierlei Maß gemessen haben, zweifelnd selbst gespalten, aber eines kann man ihm nicht vorwerfen: daß er blind und wortarm durch seine Zeit gelaufen wäre.
Hosfeld mag nicht die perfekte, das heißt sämtlichen Ansprüchen genügende Biographie geschrieben haben, sein Buch dürfte dennoch gerade wegen des umfassenden Blicks, der nüchternen Urteile und stilistischen Brillanz das beste sein, das derzeit über Heinrich Heine verfügbar ist. Verfechter empathischer Darstellungen werden es wegen dieser Nüchternheit vielleicht nicht übermäßig zu goutieren wissen, umso mehr aber die Liebhaber anregender und anspruchsvoller Essayistik. Indem Hosfeld nicht der Versuchung erliegt, den Heine’schen Witz sprachlich übertrumpfen zu wollen, nimmt er den gewitzten Autor ernst und regt unbedingt zu erneuter, vertiefter Lektüre auch jener eher unbekannten Stücke oder der gestochen scharf formulierten Briefe an.
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