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Kritik

Tarantino auf Dänisch

Peter Høeg erzählt mit Ironie von einer skurrilen Verschwörung: »Der Susan-Effekt«
Hamburg

Manchmal braucht man eine Weile als Leser, bis man ein Buch von den eigenen Erwartungen entkleidet hat und es so lesen kann, wie es ist. Bei diesem braucht man bis zur dritten Seite.

Leute, die Peter Høeg vor allem als Autor der Romane »Fräulein Smillas Gespür für Schnee« und »Der Plan von der Abschaffung des Dunkels« oder auch der Geschichtensammlung »Von der Liebe und ihren Bedingungen in der Nacht des 19. März 1929« in Erinnerung haben, erwarten – nun ja, nicht unbedingt Schwere, aber doch Tiefe. Leser, die Høegs Weg danach verfolgt haben, wissen schon, daß der Autor auch leichtfüßiger daherkommen kann. Und jetzt steht wieder eine Korrektur der Sichtweise an. Høeg kann auch Ironie. Und Actionkino. Und völlig Überdrehtes.

In seinem neuen Buch »Der Susan-Effekt« geht es wieder – das ist eine Konstante – um eine starke Frau. Diesmal ist es Susan, Physikerin, 43 Jahre alt. Als wir in die Geschichte einsteigen, ist sie gerade dem indischen Knast entronnen, wo sie war, weil sie die Organe ihres jugendlichen Liebhabers feilgeboten hatte. Ähnlich verrückte Ausgangspunkte hat Høeg auch dem Rest von Susans Familie beigegeben: Ihr Mann Laban, ein Komponist, ist mit einer Maharadschatochter ausgebüxt, ihr Sohn Harald sitzt in Italien wegen Antiquitätenschmuggels in Haft, die Tochter Thit ist mit einem Priester durchgebrannt. Und das, nachdem alle vier kurz zuvor auf dem Titel des »Time Magazin« als »The Great Danish Family« abgebildet waren. Aber sie werden aus ihrer jeweiligen Misere rausgeholt, von einem Herrn von der dänischen Regierung. Denn die will, daß Susan einer Handvoll Personen ein paar Fragen stellt. Und das kann sie schlecht, wenn sie im indischen Gefängnis hockt und sich obendrein Sorgen um ihre Angehörigen macht.

Daß Susan diese Fragen stellen soll, liegt an einer besonderen Fähigkeit der Dame, die sich verstärkt, wenn ihr Mann anwesend ist: Die Menschen werden ehrlich. Sie offenbaren ihr Innerstes. Sie gestehen. Sie sprechen von Sehnsüchten und Schmerzen. Und von Schuld, wenn sie sich welche aufgeladen haben. Das ist der titelgebende »Susan-Effekt«.

Die zu befragenden Leute gehörten einer geheimen »Zukunftskommission« an. In den Siebziger Jahren gegründet, bestand sie aus damals lauter jungen Wissenschaftlern, die sich mit der Vorhersage von Krisen befaßten. Und erstaunlich genaue Ergebnisse erzielten. Jetzt geht es um das Auffinden der letzten Protokolle der Kommission und ihr Mitgliederverzeichnis.

Kleine Gegenleistung für die Niederschlagung ausländischer Gerichtsverfahren, keine große Sache. Sagt der Beamte der dänschen Regierung. Aber sie wird dann groß, die Sache. Die Mitglieder der Kommission werden nach und nach gemeuchelt, und Susan und ihre Familie müssen mehr als einen Versuch überstehen, sie um die Ecke zu bringen. Warum? Weil der dänischen Regierung das alles aus den Händen geglitten ist. Und weil es eine Art Weltverschwörung gibt, die nächste Krise, die ein Zusammenbruch der westlichen Welt sein wird, mit der Evakuierung der Elite in die Südsee … Und so weiter.

Sprich: Die Geschichte ist so hanebüchen wie ihr Ausgangspunkt. Und ein Vergnügen.

Peter Høeg schickt seine Protagonisten in immer neue Bedrohungen, er erfindet immer skurrilere Situationen. Gleichzeitig erzählt er sie mit einer erkennbaren Freude am eigenen trockenen Humor – beginnend mit der Präzision der Physikerin Susan, die sogar ihre Mahlzeiten mit halbsekundengenauen Garzeiten zubereitet und uns erklärt, wieso Croissants ein naturwissenschaftliches Paradoxon sind, und nicht endend mit den hollywoodthrillerreifen Szenen beim Auffinden der Kommissionsleichen. Der Showdown am Ende des Buchs würde auch einem Tarantino gut anstehen.

Nebenbei verarztet Høeg die angepaßte dänische Gesellschaft und geißelt Ökoschweinereien und Geldgier. Bei allem aber verläßt er den Tonfall der Geschichte nicht. Nur einmal geht es plötzlich wie ernsthaft um seelische Verletzungen von Susan und ihrem Mann, in einer Passage, die eher in andere Bücher gepaßt hätte. Aber das ist bald wieder vorbei. Dann ist wieder alles, wie es sein soll: Krimi, Slapstick, Überdrehtes, Witz.

Nichts für die Weltliteraturecke im Bücherregal. Aber die ist ja auch schon voll.

 

 

Peter Hoeg
Der Susan-Effekt
Übersetzt aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle,
Hanser
2015 · 400 Seiten · 21,90 Euro
ISBN:
978-3-446-24904-2

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