Ohne Elke wäre nichts so geschehen, wie es geschehen ist.
Kuchen und Kasimir – die beiden sind unzertrennlich. Ihm würde sogar die Zitronenglasur reichen: Die liebt er nämlich noch ein kleines bisschen mehr als den Kuchen darunter. Vor allem den langweiligen Rührkuchen seines Vaters. Nur schade, dass der da nicht mitzieht und, wie die Erzieherinnen im Kindergarten, etwas von "ungesund" faselt. Von Bauchweh und kaputten Zähnen. Aber „Kasimir hatte in seinem Leben schon ziemliche Mengen von Glasur geschleckt, außerdem bekam er demnächst ganz neue Zähne – Kasimir kannte sich also aus.“
Mit einem Kuchen fängt auch die Freundschaft von Kasimir und Elke an: Fast hätte sie ihn auf der Straße umgerannt, weil das Kuchenblech so riesig war, dass es ihr die Sicht nach unten versperrte. Im letzten Moment, das Blech schwebte schon über ihm, schrie Kasimir. Die erschrockene Elke nahm das Blech vorsichtig zur Seite und sah den Knirps: Der nicht auf den Mund gefallen war, schon gar nicht, wenn es um Kuchen ging. Und schwupps sitzt er in Uwes Café, für das Elke jeden Tag einen Kuchen backt, und vertilgt zufrieden ein Stück russischen Zupfkuchen. Ohne Zitronenglasur. Dass er seinem Vater hoch und heilig versprochen hat, schnurstracks in den Kindergarten zu gehen, ist natürlich längst vergessen. Und ab sofort ist Kasimir jeden Morgen pünktlich zur Stelle: Er muss Elke die Tür zum Café aufhalten - mit dem großen, schweren Blech hat sie ja alle Hände voll zu tun.
Elke, die eine Wohngruppe betreute, „hatte es sehr gut verstanden, sich zu verstecken.“ Dabei war sie wirklich nicht zu übersehen: Elke war nämlich fett. Okay, das hört sich nicht nett an, aber „manchmal gibt es kein anderes Wort“: Elke „war fett, niemand wusste genau, wie viel Kilogramm, und sie war groß, ziemlich genau einen Meter achtzig hoch.“ Aber eigentlich ist es ziemlich egal, ob sie groß war oder fett, nur - blöderweise wurde ihr übermäßiges Gewicht ihr zum Verhängnis: Ja, Elke stirbt…
Sie war ein besonderer Mensch: Nicht nur, weil man mit ihr Klartext reden konnte und ihre Kuchen köstlich schmeckten – auch die mit Zitronenglasur. Elke war so besonders, weil sie Menschen zusammenbringen konnte, nur durch ihre natürliche, liebevolle Art. Sie spielte sich nie in den Mittelpunkt, aber sie war der Mittelpunkt all der kleinen Geschichten und neuen Freundschaften in und um Uwes Café herum. Sie war das Herz, und jeder, der mit ihr zu tun hatte, fühlte sich von ihr verstanden, bei ihr aufgehoben, geborgen. Sie war der mütterliche Fels in der Brandung, an den sich nicht nur der fünfjährige Kasimir gerne anlehnte. Sie war immer für andere da, nur für sich selbst nicht: „Elke interessierte sich nicht für Elke. Sie war sich selber fremd und jedem anderen eine Vertraute.“
„Elke“ ist ein schönes Kinderbuch: Christian Duda erzählt in einem herzlich respektvollen Ton von Elke und von all den Ereignissen und Begegnungen, die sich um sie ranken, sich verweben und verflechten. Zärtlich zeichnet Duda seine Figuren, überstürzt dabei nichts, gibt ihnen Zeit, sich zu entwickeln, sich zu finden: So wird etwa Uwe vom miesepeterigen Motzer zum freundlichen Bruttler, und Serge, „der stumme Junge mit dem gesenkten Haupt und dem schmalen Mund“ blüht als Bedienung auf und wird selbstbewusst. Und Duda macht schnell klar, dass ohne Elke nichts so geschehen wäre, wie es geschehen ist.
Traurig ist das Buch natürlich auch, dabei aber nicht zu schwer. Und es ist lustig und witzig, besonders Kasimirs kindliche Logik und seine kindernsten Ansichten, wenn er beispielsweise meint, dass die Erzieherinnen „auf dem Spielplatz zusammensaßen, um die Kinder am Rumtoben zu hindern.“ Oder keine Wiederholungen mag, weil das nur zeigt, dass der andere nicht richtig zugehört hat: Und „wenn niemand zuhört, muss man auch nicht miteinander sprechen.“ Etwas überladen ist das Buch an manchen Stellen allerdings auch: Es scheint, als hätte Duda versucht, etliche aktuelle Themen – so ganz nebenbei – einfließen zu lassen: alleinerziehende Väter, die Wiedervereinigung, Homosexualität… Das ist ein bisschen zu viel des Guten. Aber man kann es noch verschmerzen, weil das Kinderbuch mit den pointierten kleinen Zeichnungen von Julia Friese eine wunderschöne Hommage an Elke ist – die wirklich gelebt hat …
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben