Friedrich Hahn
Vita
Lebt als freischwebender Sprachwerker in Wien/Alsergrund.
Schreibt und publiziert seit 69. 31 Bücher und Buchobjekte, über 20 Arbeiten für Radio und Bühne.
Weiters: Kritiken, Essays, Features; redaktionelle Tätigkeit. Veranstalter von Literatur-Events (u.a. dichte<r>)meile) und von Schreib-Workshops.
Auswahlbibliografie





Textfläche
ich sitze am ufer eines flusses
ich sitze am ufer des flusses
und denke über den fluss nach
über das flusseigene
über das fließen
über das flusseigene
des fließens
säße ich
auf einer waldlichtung
dächte ich über die waldlichtung
nach und nicht
über den fluß und das flußeigene
oder über das fließen
kein gedanke wäre da
an den fluss
und dieser
wüßte er es
würde sich ziemlich
ausgebootet vorkommen
aber immer noch ist es zum glück so
dass man es keinem fluss ansieht
dass jemand über ihn nachgedacht hat
oder dass jemand bei seinem anblick
vielleicht einmal an eine waldlichtung
denken musste
Ich frage mich
Warum müssen bei gewissen Filmen die,
die am Ende ein Paar werden,
am Anfang immer
wie Hund und Katz sein?
Von flirtenden Tauben, Perücken und meiner ersten Statistenrolle.
Ich sitze im Park auf meinem Sonnenbankerl. Vor mir trippeln ein paar Tauben auf und ab, als übten sie eine Choreografie ein. Ich verhalte mich still und sehe dem Schauspiel zu. Eine Taube tritt aus der Übungsformation aus und kommt ganz nah an mich heran, legt den Kopf schief, und sieht mich an, als wollte sie mich kennenlernen. Was will sie von mir? Warum gerade diese Taube? Warum ausgerechnet ich? Ich frage mich, warum ich mich immer so viel frage. Die Taube tänzelt schließlich im Wackelschritt davon, weg auch von den anderen Tauben, als gehörte sie nicht dazu, als sei sie aus einem anderen Stück.
Ich gehe auch. Es ist Zeit für meine Mittagspause. Mein Rücken verlangt nach seiner Erholung im Liegen. Schuld sind L4 und L5. Sie haben die Bandscheibe aufgerieben und sind zusammengewachsen. Bilden einen Block. Wie üblich schalte ich den Fernseher an. Zappe mich zu den gewissen Sendern, wo mittags die gewissen Spielfilme laufen. Wo gewisse SchauspielerInnen wie die Neubauers, Rauchs, Beutlers, Dohms und Hehns in Rollen zu sehen sind, die sich gewisse Autorinnen wie die Danellas, Heldts, Pilchers und Schönauers ausgedacht haben. Auffallend gewisse Muster. Gleich zu Beginn treffen da zum Beispiel immer der männliche Held und die Heldin zusammen, und können sich so etwas von überhaupt nicht leiden. Je mehr sie sich anfangs anfeinden, umso sicherer kann man sein, dass sie sich am Ende kriegen.
Mir ist das schleierhaft. Im Leben läuft das doch anders. Liebe auf den ersten Blick und so. Wollen zwei ein Paar werden, geht’s doch um Sympathie, um das angenehme Äußere, um einen zuvorkommenden Umgang. Aber nicht um offene Ablehnung, oder gar Anfeindung, Hass. Was versprechen sich die Courths-Mahler-Epigoninnen davon, dass sich die, die beim ersten Kennenlernen wie Hund und Katz sind, am Ende ein Paar werden? Das ist doch so etwas von durchschaubar. So etwas von öde. Nimmt doch dem Ganzen die Spannung. Und außerdem ist es doch lebensfremd. Im richtigen Leben läufts doch umgekehrt. Erst die große Liebe. Und erst dann kippts womöglich, sobald es an die Scheidung geht, beginnt der Rosenkrieg.
Es ist erst ein Jahr her. Da hat sich Gertrud in einem langen Schachtelsatz verloren. Seitdem spricht sie nur das Nötigste, ist verkrampft, sobald sie nur den Mund aufmacht. Oft sind es nur Einwortsätze. Wörter der Ablehnung, des Abwiegens, der Zustimmung. Wenn sie spricht, dann mit einer fiepsig-heiseren Stimme und mit einem Lächeln, das aus zwei Falten um die Nase herum besteht. Das Lächeln, die Falten bleiben, auch wenn das, was gesagt wurde, schon gesagt worden ist. Dann zuckt sie mit den Schultern, tut so, als wär sie verspannt, und müsste sie sich zurechtrecken. Erst wenn sie die Schultern wieder fallen lässt, ist für Gertrud das Gespräch zu Ende, das Lächeln fort. Den Schachtelsatz, in dem sie sich seinerzeit verheddert hat, den hat sie schon lange vergessen. Irgendetwas mit einem Mann. Oder war es etwas mit einem Buch? Gertrud und ich wären einmal fast ein Paar geworden. Ab und zu treffen wir uns noch. Wir sitzen im Schanigarten eines Innenstadtcafes. Was tut sich, woran arbeitest du zur Zeit, will sie wissen. Ich bin jetzt Sexist, lache ich. Und erzähle ihr, dass ich aus meinem Lehrerjob gemobbt wurde, weil eine Kollegin, der gegenüber ich die Bemerkung einer Dritten, dass die Soundso nie einen Mann abbekommen würde, zitierte, mir in den Mund geschoben hat. Und jetzt? Ich züchte Hamster. Und organisiere Exkursion zu den Feldhamstern nach Stammersdorf. In Wien HEUTE brachten sie sogar einen 4-Minuten-Beitrag. Und davon kann man Leben? Ich lenkt ab: Aber weißt du, was mich noch mehr beschäftigt? Und ich erzähle ihr von meiner KatzundMaus-Frage, die mich im Moment umtreibt. Gertrud schaut, den Mund leicht geöffnet. Sie zuckt mit den Achseln: Vielleicht weil...sie lässt die Schultern fallen. Warum willst du das wissen? Ach, nicht so wichtig...
Samstag Nachmittag. Am Zweier bringen sie „Im weißen Rößl“. Derselbe Schmarrn. Waltraut Haas und Peter Alexander anfangs wie Katz und Maus. Und am Ende das glücklichste Paar. Ich rufe Kurt an. Kurt ist mein bester Feund. Ich kenne ihn nicht. Also nicht so, wie ihn alle kennen. Kurt erzählt allen, dass er Regisseur ist. Film, Theater. Nur ich weiß, dass das nicht stimmt. Schaust auch grad den Schinken im Zweier? Ich hab Besseres zu tun. Hab ich dich gestört? Neinnein, was gibt’s?! Weißt du...und dann stell ich auch ihm die KatzundMaus-Frage. Er scheint so gar nicht interessiert zu sein, und sagt: Interessant, wie kommst du drauf? Ich will ihm schon von meinen Lendenwirbeln erzählen, da schlägt er vor: Komm doch einfach vorbei. Adrian ist gerade vorbeigeschneit. Adrian...du erinnerst dich doch an ihn? Unser verhinderter Serienstar. Wir köpfen einen guten Roten und reden über die alten Zeiten.
Für Adrian sind Kopfschmerzen niemals nur Kopfschmerz. Jedes Pochen, Drücken oder Brummen kann Vorbote des Todes sein. Seines Todes. Am liebsten sieht Adrian Arzt-und Krankenhausserien im Fernsehen. Da lebt er richtig mit. Was da an Krankheiten vorkommt, nimmt er gerne an, glaubt in den leisesten Anzeichen Symptome dieser Krankheiten zu erkennen. Was du dir immer einbildest, meckert dann immer seine Frau. Jeder Mensch kann im Leben etwas besonders gut, Adrians Standardrechtfertigung: Ich...ich kann eben besonders gut Arztserien schauen.
Arztserien. Das ist mein Stichwort. Als zu vorgerückter Stunde alle nur noch reden, um uns im Nachhinein überrascht zu zeigen, was wir geredet haben, stell ich Kurt und Adrian meine KatzundMaus-Frage. Kurt faselt etwas von Deinesorgenmöchtichhaben: Ich frag mich, warum du dich das fragst. Ich will ihm schon etwas über L4 du L5 erzählen, da setzt Adrian zu einer 2-Minuten-Geschichte an, die aber dann ganze 10 Minuten dauert.
Ich kannte mal eine..Anna. Mit 35...platsch: Gehirntumor. Operation... Chemo...Glatze..Perücke. Angelte sich einen feschen Manager, Versicherungsheini oder so. Trafen sich immer in einem Hotel. Er wusste nichts über ihren kahlen Kopf. Und Anna nichts von seiner Ehefrau und den beiden Kindern. Sie waren einander bei einer Vernissage vorgestellt worden. Er kam ihr mit einem blöden Anmachspruch. Sie mit einer...Adrian kommt gehörig ins Stottern...mit einer übertrieben lebendigen Verhaltenslosigkeit. Aus der Galerie wurde ein Kino. Aus dem Kino ein Kaffehaus. Aus dem Kaffeehaus ein Stundenhotel. Sie hatten sich vorgenommen, keine Fragen zu stellen. So wie diese Streu...Streru.../diese Autorin, die in ihren Romanen und Geschichten keine Fragezeichen verwendet. Keine Fragen. Keine Antworten. Keine Zweifel. Sie wollten es so. Jetzt. Und von Moment zu Moment. Sie hatten nichts zu verlieren,...
...und wenn sie nicht gestorben sind, spottet Kurt.
Nein, hör zu, Blödmann, was ich sagen will...was ist das Gegenteil von Anziehung? Wurscht. Was ich sagen will, am besten ist, man weiß voneinander nichts. Versteht ihr, absolut nichts. Nur Zukunft. Nichts als Zukunft. Dieser Orpheus...der Orpheus...was war(?)...zurückgeschaut hat er. Und schon wars aus und geschehen.
Nächsten Morgen um 12h werde ich unsanft geweckt. Telefon. Meine Bankberaterin. Ob ich um 14h Zeit hätte. Der Stadtdirektor käme die Zweigstelle besuchen: Und da sollte alles nach...Siewissenschon aussehen. Na gut. Punkt 2 bin ich gestellt. Ich, der Kundenstatist: Und? Sie: Ja, wir führen jetzt ein Beratungsgespräch. Also wir tun so. Wie geht’s Ihnen? Der Stadtdirektor lässt auf sich warten. Uns geht der Gesprächsstoff aus. Wissen Sie, beginnt dann die Beraterin nach einer längeren Pause, in der sie mir Kaffee nachschenkt, ich war und bin ja immer lieber die Zweite. Ich hätte auch schon eine Zweigstelle übernehmen können. Aber ich bin geblieben, hier und als Stellvertreterin des Vorstands.
Aha...zu ich so, als wollt ich’s wissen.
Ja, aus der zweiten Position da hat man immer den besseren Überblick, die Entscheidungen, die man trifft, kommen irgendwie souveräner.
Und was halten Sie von Frauen, welche sich in der Rolle der Geliebten eines verheirateten Mannes gefallen?
Die Bankerin stutzt, läuft rot an, und meint: Ohne Zweite gäb es auch keine Erste. Ich schau auf ihr Namensschild. Nein, ihr Vorname ist nicht Anna. Endlich: der Stadtdirektor.
Am Nachhauseweg schau ich Frauen, die mir begegnen, prüfend an. Keine, die mir so unsynpathisch ist, dass ich sie näher kennenlernen möchte. Es ist Zeit für meine Siesta und meine TV-Stunde. L4 und L5 brauchen es.
WIE AUCH IMMER
mini-drama
in einer bahnhofsrestauration. auf wäscheleinen hängen nasse kleidungsstücke. im vordergrund ein pärchen. mann und frauen stehen in inniger umarmung, küssen einander, heftiges geschmuse. dazu dieser dialog:
F wir haben uns getrennt.
M meine liebe weiß schon nicht mehr, dass es dich gibt.
F wir mussten uns trennen
M meine gefühle bekommen jetzt anderswo zu tun.
F einsamkeit kann man am besten immer noch allein genießen.
M das ist alles so schwierig. das mit dem kopf. und das mit dem erinnern.
F der schönste tag mit dir dauerte 95 minuten, weißt du noch?
M wie auch immer. ich bin froh. unsere trennung ist jetzt endgültig.
F ich stelle mir eine aufgabe. ich suche das unlösbare.
M allzu hohe ansprüche verleiten zur unterlassung.
F du kannst alles haben, wenn du bereit bis, dafür auf alles zu verzichten.
M wie auch immer. wir haben uns getrennt.
F lass uns gehen.
M brauchst du geld?
F ich beeile mich. ich möchte noch etwas mehr vom leben haben.
die frau setzt dem geschmuse ein jähes ende, und löst sich aus der umarmung des mannes. sie läuft die leinen entlang, und pflückt von diesen raffgierig wäschestück um wäschestück.
der mann sieht der frau irritiert und unschlüssig zu. er bückt sich um ein achtlos zu boden gefallenes wäschestück, hebt es auf und betrachtet es lange. so, als ob ihm das erkennen und benennen schwerfiele.
Vorhang
So als lebte U noch
1)
Der Kleine Fuchs ist ein mittelgroße Falter. Er ist oberseits orangebraun, auf der Unterseite eher schwarzbraun gefärbt. Der Name ergibt sich wohl aus der dunkelbraunen Behaarung des Körpers. Michi aber hat nur Augen für sein neues Spielzeugrennauto. Er klemmt es sich unter den Arm. Und gibt Gas. Michi denkt am liebsten so, indem er sich seine Gedanken in Klammern gesetzt denkt. So nimmt er jede Schikane. Wie die anderen März-Falter hat der Kleine Fuchs in einem Versteck überwintert und fliegt bereits an den ersten warmen Tagen des Vorfrühlings. (Michi trifft Iris.) Iris fühlt sich heute von ihr selbst auserwählt. Und dirigiert gerade die Wellen des Häusermeers. Der Kleine Fuchs fliegt bis in den Mai hinein, ab Juni und wieder ab August fliegt dann die erste und die zweite Generation (später ev. 3.Generation) Iris erinnert sich. Irene erzählte ihr von Franz, dem jüngsten Sohn des Bergbauerns, der in den großen Ferien zurückgekehrt ist auf den elterlichen Hof, wo Aloisia, Irenes Halb-schwester im Sommer täglich die Milch holt. Den Kleinen Fuchs kann man praktisch überall antreffen, bevorzugt natürlich in naturnahen Bereichen. Solche Arten nennt man "Ubiquisten", sie sind meist häufig, da sie flexibel auf Umweltänderungen reagieren können. Franz träumt von einer Anwältin, die von oben bis unten in beige gekleidet ist, und die in einem Käfig sitzt. Über den Käfig hinweg spielen Kinder Federball. Die beige Anwältin erwischt keinen einzigen Ball. Die Raupen des kleinen Fuchs fressen an Brennesseln. Da Brennesseln überall vor-kommen, erklärt dies auch die Häufigkeit dieses Falters. Maria fährt mit ihrer Familie nach Italien. Sie sucht nach einem passenden Passwort für ihre Gelsengeschichte.
Der Kleine Fuchs überwintern als Falter und es bedarf nur der nötigen Wärme, um ihn im zeitigen Frühjahr zum Fliegen zu bringen. Iris tröstet Maria. Es würde nicht mehr lange dauern, und man wird Gedanken reparieren können. Kapo Chui wundert sich beim Spaziergang über den Dächern von Linz, dass nichts passiert. Und sie schaut vergeblich in fremde Fenster. Sonst fällt doch immer irgendwo ein Sack Reis um, ärgert sie sich. Es gibt nicht für alles eine Erklärung, weiß Ilse. Weit draußen im Häusermeer schwimmt Elfi, deren Sohn verlassen am Ufer des Donaukanals steht. Da saust Michi um die Ecke. Und alle gehen in Deckung. Ein Schmetterling sucht das Weite. Aloisias Liebe zu Franz bleibt unerfüllt.
2)
Wenn Hingebung aufsteht, ist es ein Aufstehen in einen Stotterstrom hinein. So viele Möglichkeiten. So viele Unmöglichkeiten.
Möglichkeiten und Unmöglichkeiten halten sich die Waage. Die Unent-schlossenheit stellt sich als Irrtum heraus. Filmmusik. Geigen verzeihen nichts. Kurz im Bild: eine strickende Oma. Das Bild bleibt. Ihre ewige Strickerei. Socken. Socken in allen Farben. Socken in allen Größen. Was der Tinnitus für die Ohren, ist die Strickerei dieser Oma für die Augen. Flussfischen wird der Zugang verweigert. Jemand weint eine eckige Träne.
Steig in deine Angst. Lenk sie auf einen Hai. Oder eine Forelle (wie du willst). Zoologisiere. Unterscheide. Klebe deine Abscheu auf einen Gegenstand, den du doppelt hast.
Zwischen aufgebracht und aufgebraucht liegt bloß ein u.
So als lebte U noch...