Lust an der Sprache, Lust an der Verwirrung.
Von den Wäldern haben wir noch
Die Buchstaben. Der ruhige Schritt einer Eiche,
Reisig, das sich öffnet und schließt wie ein Herz,
eine Glastür am Flughafen
Ruhig und elegisch kann der Heidelberger Dichter, Verleger und Übersetzer Hans Thill schreiben, aber auch surrealistisch und anspielungsreich. Bildvoll überlaufend und sprachspielerisch, spürend und lachend. In jedem Satz fällt er in seinem neuen Gedichtband durch die Wörter, lässt sich durch sie treiben, spürt den wildesten Assoziationen nach, die sie ihm eingeben, spricht von einem alten Volk, "halb Trecker halb / Trakehner", und sie selber
quakten Küstenschwäbisch und ein
Gemisch aus
Kopfschütteln und Suaheli
Reisen durch die Welt sind es, die Thill hier präsentiert:
die Dschinnen rissen uns (Luftseglinge)
über die Balken des Schwarzmeers zügig zügig
über die salzigen Rücken der Skythen
hinweg
Sie "quirlten das Wolkenmaterial" und fliegen in Sekunden vom Schwarzmeer nach Griechenland und dann nach Norden:
als die Sonne von Kreta zu den Atlanten sprang
lobten wir die äolische Kuh o wie labend
ist der Abend Abendbrot gegessen
habend wir schluckten die Tierstimmentablette
und eine für die Prosa spülten über den
irischen Inseln nach mit der Gerste
der Verständigung
Es ist ein dichterischer Flug und ein poetischer Wirbel von gewollten Missverständnissen: "aus dem Babylonischen" (wie dieses Gedicht heißt) ist kein Übersetzungshinweis ("aus dem Babylonischen übertragen), es geht weiter mit "trieb uns ein geölter Wind der die Kamelstuten / befruchtet". Es ist ein Spiel mit den Mehrfachbedeutungen und Assoziationen, die die Wörter nun einmal oft haben und erzeugen können, ein geistreicher Jux, der mal pathetischer, mal schuljungenwitziger daherkommt: "Nothingham und Litterpool" wäre am unteren Ende anzusiedeln, der Sprung von "3 Möven" zu "von to move" oder die Mehrfachvolte in "dies alles schriftlich aufzurollen in einer Jalousie (die Eifersucht / der Markise)" schon nachdenklicher, der Wortwitz "Weiherwasser" oder „Surensammler, Sammelsurium“ sind glückliche Funde aus dem großen Arsenal der Sprache.
Nicht von ungefähr erinnert viel in diesem Spiel an die Surrealisten, die Thill schon seit Jahrzehnten liest und verlegt. Auf Ubu wird angespielt, Aragon, Éluard, Breton, Soupault werden genannt, ein "Guillaume des Himmels, Apoll des Himmels", und den Titel seines Buchs hat Thill sich aus einem Gedicht von Heinrich Klett entliehen, der als Schizophrener in einer Anstalt lebte und dessen Texte in der berühmten Heidelberger Prinzhorn-Sammlung zu finden sind. Auch auf Hölderlin wird angespielt und Arno Schmidt, aber man wird kaum jede Anspielung entschlüsseln können. Oder auch nur wollen, denn die Lust an der Sprache, die die Gedichte immer weiter treibt, die Lust an der Verwirrung ist viel zu groß, als dass man sich die auf einen einprasselnden vielen, vielen Bilder durch eine intellektuelle Arbeit vertreiben möchte, das "heiße Fleisch der Wörter" abzukühlen.
Man braucht dadurch aber auch sehr lange, bis man diesen Gedichtband gelesen hat - zu viel stürmt da auf einen ein. Dabei sind sie mal zärtlich und sanft, mal stürmisch und drängerisch, mal romantisch und melancholisch.
"Ratgeber für Zeugleute" ist der erste Band von Ulf Stolterfohts neugegründeter „Brueterich Press“. In sieben Zyklen hat Thill seine Gedichte versammelt: „Aus dem Babylonischen“ und „Die Beamten des Himmels“ heißen sie, „Die kleinen Tagzeiten der Abgestorbenen“ oder „Von den Wäldern“. Wie schon seine früheren Gedichtbände zeugen auch diese Verse von seiner Vorliebe für die zufälligen Verdrehtheiten der Sprache, für ihre Widersprüche und ihr Ungenügen, die Fülle der Welt auch nur ansatzweise wiederzugeben.
1
Ich liege neben meinem Körper,
der sich übt in Schlaflosigkeit.
Er ist ein leuchtendes Boot, seine Organe
verschwinden, indem sie die Form
des Lichts annehmen2
das in idealen Locken zum Fenster
hinausfliegt. Meine Extremitäten
sind steif wie eine Anhängerkupplung,
es geht rückwärts aus der Kammer
des Schlafs in den Raum3
der Erholung nach dem Schlaf.
Ich habe Lots Frau zu meinen Diensten,
die mir die Richtung weist4
Ich habe meine Organe verloren,
ich betrete mein Haus im Krieg
des Lichts, das alle Gegenstände
vertreibt. Ich gehe von der Kammer
der Vorläufigkeit ins Zimmer5
der Schrift und dann ins Zimmer
der Entropie.
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