Gerd Adloffs Gedichte bei Corvinus
Es tut gut, nach langen Jahren einem alten Bekannten wieder zu begegnen. Es ist mehr als 25 Jahre her, dass Gerd Adloff an der Akademie der Wissenschaften tätig war und dort an einem Lexikon zur deutschsprachigen Literatur mitarbeitete, in dessen ersten Lieferungen er gleich selbst gewürdigt wurde. Zu verdanken hatte er das einem Band mit Gedichten, der 1985 im Verlag der Nation unter dem Titel „Fortgang“ erschienen war. Das war damals, gerade wegen der Wende, ein hoffnungsvoller Beginn, der allerdings ohne nachhaltige Fortsetzung blieb.
Seit seiner ersten Publikation ist wenig von Adloff zu lesen gewesen. Erst in den letzten Jahren hat er anscheinend wieder begonnen, für die Öffentlichkeit zu schreiben. Ein Band 2011 und ein weiterer mit nur zwölf Gedichten 2012. Mehr gab es nicht in all den Jahren. Und jetzt dieser Band in der Corvinus Presse.
Nicht einmal 50 Seiten, fein gesetzt und bewusst grob gebunden zwischen zwei Pappen, dazu die Grafiken von Horst Hussel, und alles in einer kleinen Auflage von 180 Exemplaren – die Corvinus Presse setzt auf die Einmaligkeit dieses Buchereignisses. Und das mit gutem Grund: Gerd Adloff.
Seine Gedichte gehören zum Jubiläumsprogramm des Verlags, der sich seit Jahren einen guten Namen als Pressendrucker gemacht hat. Preiswert sind die Bücher trotz der kleinen Auflage in jedem Fall – sie liegen sperrig, aber gut in der Hand. Ein wenig rührselig mag man da werden. Das ist ein Buch, das ein taktiles Erlebnis ist und das nach der Lektüre tatsächlich noch ins Regal gestellt und aufgehoben werden will.
Die Fähigkeit zur Verdichtung sozialer Situationen attestierte ihm damals seine Lexikografin, was für einen Gedichteschreiber kein schlechtes Zeugnis ist. Auch dass ihm Jo Schulz ins Nachwort des Bandes von 1985 schrieb, er geize mit dem Wort, sei aber ein vulkanischer Typ, es breche aus ihm heraus, kann einen Lyriker zieren. Was davon geblieben ist?
Immerhin ein paar kluge Gedanken. Dabei ist er sich in seiner Schreibweise treu geblieben. Es gibt immer noch keine Reime, keine festen Rhythmen. Sinneinheiten werden zusammengestellt, oft Sätze, die dann die Gliederung des Textes kennzeichnen. Strophen mag man das nicht nennen, sondern kurze Pausen in der strukturierten und verdichteten Reflexion.
Und das ist immerhin etwas, was man über Adloff sagen kann, dass er nämlich öffentlich nachdenkt. Das ist unprätentiös und kaum auf den wohlfeilen Klang aus, sondern auf eine Überlegung, ein Resultat, eine Idee oder einen Widerspruch.
Dass Geschichte nicht nur im öffentlichen Raum stattfindet, sondern sich höchst privat spiegelt, lässt sich seinem wohl wichtigsten Text entnehmen, der zurecht den Anfang macht und den Einband ziert: „Geschichte“: Es beginnt mit einem historischen Ereignis, dass Ostdeutsche sicher viel stärker vor Augen haben als ihre Brüder und Schwestern im Westen, der Flug Gagarins in den Weltraum (wir erinnern uns, der Sputnik-Schock, der zum Apollo-Programm geführt hat). Aber der kleine Mann hat seinen Turnbeutel vergessen. Beim Mauerbau ist er im Ferienlager, beim Mord an Kennedy wird er verprügelt (auch noch von einem Mädchen), beim Prager Frühling ist er unglücklich verliebt und beim Mauerfall liegt er fiebernd im Bett. Geschichte ist ein privates Kontinuum, so dass von Gagarins Flug in der privaten Erinnerungswelt nur „das beschissene Gefühl“ zurückgeblieben ist „wieder mal ohne Sportzeug dazustehen“.
Variiert findet sich dieses Motiv in „Nach der Mode“, in dem Adloff über die ewige Wiederkehr des Immergleichen nachsinnt – als Mode eben und als Modeerzeugnis, aber eben auch als politisches Motiv: „will keine Appelle / unter wechselnden Fahnen“ – eben so beiläufig eingebettet in die Reflexion von Modekonjunkturen. Gerade das aber ist angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen kein unbedeutender Gedanke. Was dann die „ewige Blechschippe“ heißen soll, die dem armen Kerl auf den Kopf und aufs Gemüt schlägt, bleibt zu fragen.
Die enge Verschränkung von Privatem und Öffentlichem bagatellisiert freilich keins von beiden. Gerade aus der inszenierten Haltung dessen, der die Öffentlichkeit lange gemieden hat, ist ihr Einfluss unbestreitbar. In der Reflexion von beidem ist ihre jeweilige Bedeutung unhinterschreitbar.
Vielleicht rührt dabei Adloffs Neigung zur Idylle. „Dieser September“ spricht das Hohelied der Idylle, die untrennbar mit dem Rest verbunden bleibt. Damit man sich daran erinnert, „röhren Düsenjäger“ – aber sie „übertönen nicht / der Gänse Ruf“. Es ist zweifelslos ein Alterswerk, das der 60jährige schreibt, der sich dessen bewusst ist, dass sein Alter, dass er selbst keine Bedeutung „für die Welt“ ringsum hat.
Der Sohn hat das Haus verlassen, geht seinen Weg, der Weg des Sprechers aber führt nirgendwo mehr hin. „Liebe im Alter“ setzt diesen Text zur Bescheidenheit fort – wenngleich in einem anderen Genre.
Das kann man resignativ nennen, oder abgeklärt – für eine Welt, in der 60jährige ansonsten jung sind und dynamisch und über eine weitere Karriere nachdenken, ist dies ein deutliches Zeichen. Vielleicht ein Plädoyer, innezuhalten und sich seine eigenen Räume zu sichern, in denen es friedlich zugehen kann, in denen der Ruf der Gänse den Lärm der Düsenflieger übertönen kann.
Dass dies der Larmoyanz nahe kommt, ist kaum zu vermeiden – und sicher sind jene Texte, in denen er Zeit und Vergänglichkeit zu beklagen scheint, die schwächsten des Bandes. Ja, die Zeit flieht, und wir werden nicht nur älter, langsamer und starrsinniger, wir sind auch irgendwann nicht mehr da. Aber das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit lernt man nicht im Alter, sondern als junger Mensch. Etwa in der Charité, in der die Literatur dann ihren Nutzen beweisen soll – sie soll aufheitern, Bestrahlung hin oder her.
Dass da noch was anderes war, zeigt sich freilich in Texten wie „Jung sein in Groß Kiesow“: Da muss man sich dann auch schon mal von der Idylle ausruhen, am besten an so etwas wie dem idyllischen Anti-Ort, der Bushaltestelle.
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