„Als ob er tot wäre”…
Zuweilen erscheinen wunderbare Bücher, die man aber insofern kaum rezensieren kann, weil daraus zwangsläufig ein Essay würde; anders ließe sich auch dieser sehr kluge und facettenreiche Band im Grunde kaum besprechen, worin auf Derridas Die Postkarte geantwortet wird, also gleichsam nicht über ihn, sondern mit ihm sprechend, dennoch um ein Ganzes ringend: essayistisches Glossar entspricht dem paradoxen Anspruch, den man durchaus erfüllte.
Der Band widerlegt dabei Derridas Prognose: „Nach meinem Tod wird nichts mehr übrig bleiben. Ausgenommen das, was in den Pflichtbeständen der Bibliotheken verwaltet wird”, so sagte dieser kurz vor seinem Tod, was Englert in der taz als teilweise eingetreten schildert: „Heute, zehn Jahre nach dem Tod Derridas, der einmal der weltweit meistzitierte Philosoph war, ist es in akademischen Gefilden etwas still um ihn geworden. Das liegt vornehmlich daran, dass sich heillos verschulte Studiengänge unseres Universitätssystems nur schlecht mit seinen rigorosen und artistischen Gedankengängen vertragen.”1 Immerhin im Umfeld des Soziotops der Universität aber hat sein Denken, wie der vorliegende Band beweist, Raum, die „»Dekonstruktion« ist kein Thema für Prüffächer” (Englert), d’accord, aber Universitäten sind manchmal besser als ihr Ruf.
Auf das Sperrige, das in seiner Resistenz wider nicht nur Verschulung sich bewährt, gehen einige der Beiträge ein, so Peter Zeillinger, der auf das ernste Spiel hinweist, daß zwischen Anführungszeichen und Klammern sich eben keine Aussage finde, das Ganze bei Derrida kein Buch ergebe, ja: nicht einmal ein Ganzes. Auch Pohn-Lauggas schreibt über die Absenz eines Schlüssels.
Auf die genialen Volten, daß und wie bei Derrida gemäß dem Frontispiz einer Schrift aus dem dreizehnten Jahrhundert, das in der Boldleian Library zu Oxford aufbewahrt wird und Grundlage der Umschlagillustration seiner Postkarten (wie auch dieses Bandes) ist, Sokrates plötzlich schreibt, Platon aber das Schreiben irritiert, geht Jochen Hörisch lesenswert ein. Unter anderem auf Amerika als Schauplatz der Dekonstruktion wie auch ihres Verfalls (ist sie doch verschulbar?) bezieht sich Metzger, der als Derridas Übersetzer sehr scharf und mit wunderbarem Verständnis für Derridas Idiomatik diesem in der Tat antwortet – ein tragischer Text, weil er Derrida gewiß Freude gemacht hätte. Die hier erbarmungslose Zeit spielt auch bei Beat Wyss eine Rolle, Schreiben sei diese, doch als zeitlose Zeit:
„Es steht geschrieben, heißt es. Ein Text ist nunc stans, er unterbricht den Zeitfluss […]. Schreiben ist zeitlose, in Buchstaben gefasste Zeit, eine Pause von Zeichen, die schon vorlagen.”
„Als ob er tot wäre”, so schreibt Artur R. Boelderl hingegen seine geistreiche Replik auf Derrida, natürlich mit der sich gleichsam durch die Zeit verändert habenden Schrift As If I Were Dead im Blick, wobei ihm eine ingeniöse Verschlingung von Poesie und Dekonstruktion glückt. Auch Anna Babkas wunderbare Beschreibung der „Krankheit als Leidenschaft am/des Logos als Liebesbrief” ist brillant … und kommt mit Derrida wie alle Beiträger darum zu keinem Ende..
So man auch nicht leicht mit diesem Band, schon gar nicht im Rahmen einer Rezension. Lesenswert, klug, erfreulich.
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