Im Herzen Dunkeldeutschlands
Sechs Jahre sind seit dem Erscheinen des letzten Buches von Henning Ahrens vergangen. In seinem Provinzlexikon (2009 im Knaus Verlag) wägte er das Landleben ab, lotete es aus, fand Schönes, Eigentümliches, aber auch Indiskutables. In Ahrens' gesamtem bisherigen Werk spielt die Provinz immer wieder eine zentrale Rolle, doch nie zuvor war sie so eindeutig klassifiziert, so eindeutig negativ bewertet wie in seinem aktuellen Roman Glantz und Gloria. Eine Abrechnung?
Ahrens führt seinen Protagonisten Rock Oldekop an den Ort seiner Kindheit. In dem kleinen Ort Glantz versucht Oldekop herauszufinden, warum sein Elternhaus vor Jahren abbrannte. Aber keine Sorge; auf der Grundlage dieses Settings entwickelt sich schon nach wenigen Seiten weitaus mehr als die typische Geschichte um eine Figur, die in ihre Vergangenheit reist, um das dunkle Geheimnis ihrer Familie aufzudecken und sich dabei selbst zu finden und die große Liebe gleich dazu. Dabei sind alle Grundzutaten vorhanden: die fremdelnde Heimat, der kauzige Sonderling, der Rock Oldekop aufnimmt, eine gescheiterte Ehe und natürlich Gloria. Die junge, attraktive Ärztin will sich mit besten Absichten und einer eigenen Praxis in Glantz niederlassen. Es ist also alles bereitet für die perfekte, verlogene Landlust-Idylle, wie sie sich nur gentrifizierte Städter ausdenken können.
Die Geschichte, die Ahrens auf dieser Grundlage erzählt, ist aber eine ganz andere. Seine Recherchen und auch die gerade erst kennengelernte Gloria verliert Rock Oldekop schon bald aus den Augen. Zum einen gibt es in Glantz kaum Menschen, die man tagsüber auf den Straßen antreffen und mit denen man ins Gespräch kommen könnte. Zum anderen gibt es dort eben doch ein paar alteingesessene Gestalten, die jedoch nur nachts zum Vorschein kommen und mit Fackeln durch den Ort im fiktiven Mittelgebirge mit dem sprechenden Namen Düster ziehen.
Ahrens' Erzählwelt ist mehr als suspekt, denn sein Buch hält, was der Untertitel verspricht: Glantz und Gloria ist weniger ein Roman als vielmehr ein wahnwitziger Trip. Wobei man sagen muss, dass der Wahn den Witz deutlich übertrifft. Denn die nächtlichen Glantzer Gestalten verstehen sich als Bewahrer eines ins Absurde gesteigerten teutschen [sic] Volkskultes, sind hohlköpfige Zombies einer patriotischen Idee. Der militante Vegetarier Landauer ist einer der letzten, der dem idiotischen Mob die Stirn bietet. Zumindest solange, bis die kleine, unheile Dorfwelt vollends aus den Fugen gerät.
Es ist klar, dass Ahrens hier den Finger in die Wunden Fremdenfeindlichkeit und Deutschtümelei legt, die nicht erst seit den Ereignissen in Freital klafft, sondern jahrelang, in Ost und West, überschminkt wurde. Doch angesichts der absurden Argumentationen von Pegida und Co., von den fast schon als systematisch zu bezeichnenden Vertuschungen rund um den NSU-Terror, kommt eine behutsam problematisierende oder gar moralisierende literarischen Antwort nicht in Frage. Und so führt Ahrens auf nur etwas mehr als 170 Seiten durch eine ganz und gar abgedrehte Gemeinschaft, zusammengeschweißt durch Hass und wahnsinnig schlechte, patriotische Lyrik. Ganz recht, der um seine Heimat besorgte Glantzer kennt sein abendländisch-kulturelles Erbe, das er natürlich inbrünstig pflegt. So grölen sie jede Nacht Verse wie: „Oh, Vaterschlund,/ verschlinge uns!/Oh, Mutterschland,/umschwinge uns!/Wir schlabbern Sand/im Untergrund,/wir zündeln Brand/im Kesselrund,/im Blick der Ahn,/im Hirn der Plan:/Weltuntertan./Die Heimat uns!/Hurra, hurra –/Präteritum ist wieder da!“
Sprachlich ist Glantz und Gloria von der erste Seite an auf unzähligen Sprachspielen, Andeutungen, Kalauern und Versatzstücken aufbaut. Eine ganze Reihe deutscher Dichter von Walther von der Vogelweide bis Theodor Fontane werden, teilweise recht schräg, zitiert. Zudem gibt es Verweise, oder besser Seitenhiebe, auf zahlreiche Figuren und Geschichten aus der nordischen Mythologie. Wie hoch der Autor hier pokert, ist ihm vollkommen bewusst und so versucht er gar nicht erst, die Balance der Stilmittel oder irgendein Maß zu halten. Der Trip, der spielerisch anfängt, mündet schon bald in einem grellen Feuerwerk an überzeichneten Klischees und angenehm ironischem Trash, ohne dabei die locker geknüpften Erzählfäden zu verlieren. So kommt es nicht nur zu einem gelungenen Showdown im Düster, sondern auch zu einem Ende, das einem „konventionellen“ Roman würdig wäre. – Eine großartige Reise ins dunkeldeutsche Herz, für die ihr Autor Henning Ahrens sehr zu Recht jüngst mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
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