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Kritik

„Etwas fliegt mir / Davon”…

Hamburg

In Ingram Hartingers neuem Gedichtband materialisiert sich Angst. Zugleich, alter Witz, leidet da nicht das lyrische Ich an den Panikattacken, sondern diese leiden unter ihm. Denn die Gedichte und Prosaminiaturen sind Notwehr aus Wort, Wort, das aus Angst entstand. Die Angst – und das, wovor sie besteht, der Tod, thanatos, der auch wörtlich genannt wird – wird zum Leben, das aber in der Angst nicht aufgeht, fast möchte man an die ehrwürdige Einsicht erinnern, wonach Leben und als dessen destillierter Sonderfall Philosophieren eben sterben zu lernen meine, was Hartinger denn dann auch sagt: „Wir sind im Tod die Anfänger”…

Dabei ist das Wort – „radikal autonome[n] Tatsache” – nicht unbedingt schon souverän, es trägt noch in sich, womit die Gedichte sonst auch nicht ringen könnten. Auch im Gedicht bleibt der „Tod ein Desaster”:

Paroxysmus

Er blieb stumm.
Was wusste er schon von sich
Sein Wirklich schien abgestorben

- so fängt ein Gedicht an; daran ändert Poesie nichts, soll sie wohl auch nicht; sie ist nicht euphemistisches Verdrängen. Sie ist und wird es nicht, auch nicht dem Leser: überhaupt, Zeichen..?

Ich lauschte starrte auf Rauchzeichen die
Nicht erschienen ging der Nacht entgegen

..., doch selbst, wo etwas sich lesen ließe („Nichts das nicht parallel ist zu etwas”), bleibt es diffus präsent, geht nicht auf: „Dinge aus Angst liegen in der Luft gleich der Nichterlösung eines Traums”, Erlösung ist nicht Auflösung.

Der Tod selbst ist dabei, was geschieht, nicht personalisiert – oder so: „Der Tod liest freundlich nur Sprache auf”, ist der Philologe, aber noch mehr, daß etwas geschieht, sich vollzieht, das Sich-Ereignen. Grundlos: „Grund genug keinen Grund mehr zu haben”, so drückt der Tod hier, im Wort, durchs Wort, gegen das Wort, wo es sich mit Intentionen und Konstruktionen zu sehr sträubt. Die Seele ist das, was vage bleibt, eher als Nicht-Mehr zu erahnen, denn im Sein:

Traumfaden

Ich weiß
Etwas fliegt mir
Davon

Im
Langwierigen
Licht

Letztes Lied
Zur
Todeszeit

... Überhaupt ist allein die Absenz andrängend, und sei’s in Anspielungen. „Mit Rainer Marias Augen” wird hier gesehen, Augen wohl, die nicht mehr sind, wie die berühmten: „Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, / darin die Augenäpfel reiften.”

Alles Vanitas, nirgends als Motiv, überall durchgearbeitet, in einem starken, manchmal auch wenigstens zweistimmig wirkenden Band, bei dem ich zwar mit einer Stelle, das sei doch erwähnt, ganz massive Probleme habe – „Meister Celan” verkürzt dessen Todesfuge als Kritik an der „Meisterlichkeit” unglücklich zu etwas, das Celan geradezu dem gleichsetzt, was jener dekonstruierte, das ist m.E. schauerlich mißlungen … – der aber ansonsten beeindruckt.

Ingram Hartinger
DInge aus Angst
Wieser Verlag
2015 · 160 Seiten · 19,50 Euro
ISBN:
978-3-99029-163-4

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