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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Huldigungen vorm Gott der Esel

Michael Krügers erster Erzählungsband zeigt ihn auf der Höhe seines Schaffens
Hamburg

Seit Jahrzehnten beweist Michael Krüger mit bemerkenswerter Kontinuität, daß er ein verläßlicher, unaufdringlicher Lyriker ist, dessen Spürsinn selten enttäuscht; seine Prosa jedoch war vielleicht niemals besser als in dem nun vorliegenden ersten größeren Erzählungsband des mittlerweile Zweiundsiebzigjährigen. „Der Gott hinter dem Fenster“ ist von einer Klarheit des Stils und einer Frische der Invention, die man in der deutschen Literatur letzthin beinahe abhanden gekommen glaubte. Krüger erzählt, und das bedeutet, er betreibt die Kunst des Erzählens ohne formale Fiorituren und künstliche Brechungen — was seinerseits nicht heißen soll, daß es diesen Erzählungen an Originalität mangele, daß sie sich womöglich gar in ausgewaschenen Fahrrinnen bewegten. Wie alle guten Erzählungen treiben sie nämlich eine Zeitlang gegen einen ungewissen Ausgang, und man folgt ihnen sehr gerne, eben weil man überhaupt nicht ahnt, wie sie enden mögen.

Eines ist den Erzählungen des Bands jedenfalls gemein: Es liegt ein Hauch von Abschied, von Resignation auf ihnen. Ein letzter Brief trifft ein, eine Beerdigung wird besucht, eine Karriere aufgegeben, eine Bibliothek verkauft, die Kinder entwickeln sich anders als gewünscht, die Welt kommt abhanden. Die Protagonisten halten sich in einem Schwebezustand zwischen Bilanzierung ihres Lebens und dem Versuch, dennoch irgendwie aufrecht zu bleiben. Mit wahrhaft humanistischem Humor, jener menschenfreundlichen Spielart der Komik nämlich, die nicht darauf zielt, jemanden mit bissigem Spott um des Spottens willen zu verletzten, kommentieren und durchschauen sie menschliche Eigenheiten. Ein solch leiser, aufklärerischer Sarkasmus muß den schieflaufenden Dingen zwangsläufig in ablehnender Distanz gegenüberstehen.

Einen alternden Schriftsteller läßt Krüger einmal ausrufen:

Wahrscheinlich bin ich nur allergisch gegen Originalität, originelle Autoren sind mir ziemlich verdächtig, und wenn sie sich dann noch um Dunkelheit bemühen, ist bei mir [...] ‚der Ofen aus’.

Die meisten der vorliegenden Erzählungen drehen sich um kulturelle Belange, spielen in Künstlerkreisen, und man wird nicht übertrieben interpretieren, wenn man hinter mancher eingestreuten Äußerung, manchem scharfen Urteil, die Meinung des Autors Michael Krüger vermutet, der mit Kritik an gesellschaftlichen Auswüchsen und Seitenhieben gegen das literarische Establishment nicht geizt und in der Deutlichkeit der Diktion kaum hinterm Berg hält. Ihm deshalb das Schlagwort vom ‚Kulturpessimismus’ um die Ohren zu hauen, würde von einer Haltung zeugen, die man zutiefst verachten muß. Krüger besinnt sich auf eine der Tugenden der Literatur, nämlich gesellschaftliche Realitäten abzubilden — und wer wollte leugnen, daß nicht immer alles zum Besten steht? „Meine sechs Kinder“ ist darum wohl etwas weniger Erzählung als vielmehr Pamphlet, denn „seit einiger Zeit gehen Veränderungen vor, die Anlass zur Sorge geben“: die Liebe der Tochter zum Tanztheater weicht da beispielsweise dem Interesse am Kulturmanagement, sie kommt

heute ganz ohne Kultur aus und hat mir zu meiner Beruhigung auch versichert, dass der Kulturmanager an sich es als eine Beeinträchtigung seiner empfindet, direkt mit Kultur in Berührung zu kommen.

Außenseiter, die versuchen, sich im Unbehagen einzurichten, sind diese Protagonisten allesamt. Sie lesen gerne, sie schreiben, andere Unterhaltungen sind ihnen suspekt:

An den Wochendenden beschränkte ich mich darauf, in meiner Ecke hocken zu bleiben, weil die gesamte Familie sich dem Sport verschrieben hatte, auf eine ausschließliche, fanatische Weise, die mich im Innersten abstieß.

Hinter dem Fenster lassen sich treffliche Beobachtungen anstellen, ein Mann kennt alle Leute im Viertel, ein Voyeur in gottähnlicher Position, doch verbunden fühlt er sich nur dem geheimnisvollen Mann, der in der Dunkelheit auftritt und Bäume umarmt. Solche kleinen Akte der Aufmüpfigkeit finden sich allenthalben in Krügers Erzählungen; sie bewirken nichts, weder in der Gesellschaft noch in der Welt, aber sie sind der utopische Lichtstrahl einer Verheißung, daß es anders sein könnte.

Abschiede und Veränderungen in diesen Lebensgeschichten haben immer auch ein wenig die Funktion einer Einübung in den Tod. In einen Tod, möchte man hinzufügen, der schon bei Lebzeiten einsetzt. Der Schriftsteller kann sein Werk nicht mehr schreiben, weil es an den Erwartungen seiner Mitwelt vorbeigeht; der Wanderer gelangt nicht mehr ins Tal zurück und muß in der Schneehütte bleiben; die letzte Freude des Pfeiferauchens setzt ein Haus in Brand. In der abschließenden Erzählung des Bands stürzt ein Regimewechsel, eine andere Zeit, einen alten Mann in schwere Melancholie:

Warum hast du ein Glasauge?, fragte ich den Großvater.

Weil ich damit nach innen sehen kann, sagte der Großvater, innen ist alles viel größer und reicher, als man denkt.

Daß mit Hilfe eines Glasauges der Blick klarer in die Wirklichkeit gehen kann, als mit zwei gesunden Augen, ist nur einer der vielen absurden Einfälle in Krügers Erzählungen. Und wenn das Überleben der Charaktere doch einmal gelingt, so ist es ein freudloses:

Also ging ich mit dem Hund nach Hause und fuhr fort, die Welt zu korrigieren und zu verbessern, so gut ich konnte. So lebte ich hin.

Das Umstürzlerische bei Büchner-Lenz, worauf der letzte Satz anspielt, findet hier nur noch auf den Buchseiten statt. Im Asyl der Wörter. So bleiben die Erzählungen auf ihre Weise ziemlich nah am wirklichen Leben, und das macht sie so köstlich und lesenswert.

Michael Krüger
Der Gott hinter dem Fenster
Erzählungen
Haymon Verlag
2015 · 224 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-7099-7191-8

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