Die Geopolitik des Körpers
Die Familie ist die zweitkleinste staatstragende soziale Zelle und also vollkommen konterrevolutionär. Die kleinste staatstragende soziale Zelle ist die Beziehung von einem Elternteil zum Kind, oder, machen wir uns doch nichts vor, einer Mutter zu ihrem Kind. Kinder sind so laut wie langsam, begriffsstutzig und schnell gelangweilt. Schlimmer noch, sie sind verletzbar, noch mehr als die durchschnittliche Frau. Wer mit Kind auf einer Demo aufkreuzt, wird deshalb weggeschickt. Vordergründig, um das Kind zu schützen und eigentlich doch nur, weil es der Revolution im Weg steht. Insbesondere, wenn es mit der Mutter mitgekommen ist, denn politischer Aktionismus ist immer noch Männersache. Als jemand einen Stuhl durch ein Fenster schmeißt, kommt eine Frau auf Juliana Spahr zu und sagt ihr »you and your child should leave; there are black bloc here«. Die Männerrevolution legt los, Frauen und Kinder und müssen das Feld verlassen, während für Gerechtigkeit gekämpft wird.
Der Unterschied zwischen einer Demonstration und einer Revolution ist, dass Körper im ersten Fall nicht mehr als Repräsentationen ihrer Stimmen sind und im zweiten Fall handelnde Körper. Selbst wenn es eine gescheiterte Revolution ist, von der Juliana Spahr in That Winter The Wolf Came schreibt, sollte es eine sein. »We are an awkward formation. Ununited but together«, beschreibt sie die perfide Situation, in der sich die Linke allerorts, vor allem aber in den USA befindet. Während die Rohölpreise sinken und fallen, ökologische Katastrophen sich abwickeln und strukturelle Unterdrückung noch kein Ende zu haben scheint, steht sie sich selbst im Weg. Sie, die Linke, und sie, Juliana Spahr. Die US-amerikanische Schriftstellerin ist das schlechte Gewissen einer Bewegung, die aus dem marxistischen Gebot geboren wurde, sich selbst gegenüber kritisch zu bleiben.
Das übernimmt Spahr in ihren versammelten Texten mit einer Sprache, die nur in überknapp und knapp differenziert und den Unterschied nur insofern merklich macht, als dass das erste mit Zeilenbrüchen als Lyrik und das andere im Fließtext als Prosa präsentiert wird. Im Grunde aber macht das formal kaum einen Unterschied, erst recht nicht in Hinsicht auf die Revolution. Oder? Spahr schreibt auch übers Schreiben als politischen Akt, darüber, in jambischen Pentametern den Status Quo in Frage zu stellen. Sie ist sich unsicher, ob das möglich ist, und ihre Aktivistenfreundin findet Kunst sowieso bourgeois, hält die Literaturszene für ein sich selbst betankendes Fahrzeug, das Richtung nirgendwo tuckert. Schreiben, das ist zu Zeiten der Revolution in dieser Logik ein unnützer repräsentativer Akt und damit so hilfreich wie ein Kind am Rockzipfel. Wie das Kind, über das Spahr schreibt.
»I wanted to give you a child as a way of thinking about a material life«, schreibt sie trotzig wie ein zwickendes Gewissen. »But I really couldn’t figure out why I wanted to give you a child«, heißt es weiter, als habe sie die selbst gestellte Aporie nicht bereits beantwortet. Spahr injiziert das furchtbare Banale, ja, Alltägliche in den Ausnahmezustand der Revolution, um diese als Konstrukt zu entlarven. Der Stühle schmeißende black bloc besteht zwar aus Körpern, kein zertrümmertes Fenster dieser Welt aber wird das Auf und Ab des Rohölpreises beeinflussen – was wiederum ein abstraktes Konzept ist, das sehr konkrete Auswirkungen nach sich zieht. Einer der knappen Texte, soll heißen ein Prosatext, bezeichnet den Geliebten als Non-Revolution. Eine merkwürdige Entität, die mit Lust und Leidenschaft den Gedanken an die Revolution sekundär werden lässt. Spahr ist nicht nur Kritikerin der Linken, sondern zugleich ihrer selbst, die sie nicht ständig für eine bessere Welt handeln kann und manchmal gar nicht will. Kuchen backt sie, schreibt sie, als wäre das nicht im Grunde ein zerstörerischer Akt. Den Tieren gegenüber, der Wirtschaft und den Menschen, die unter dieser leiden müssen. Kuchen stehen der Revolution im Weg.
Spahr denkt in Dichotomien, die so keine sind: Privatissime und Politik, Individuum und Kollektiv, Handeln und Repräsentation. Indem sie jedoch ihr Kind mitsamt seines realen Körpers im fiktiven Schreiben in den Kontext der Revolution setzt, problematisiert sie genau diese Scheindichotomien. Natürlich steht ein Kind der Revolution, also dem Handeln im Weg. Genauso aber droht diese Revolution sich selbst im Weg zu stehen, wenn sie sich nicht reflektiert. Wenn die Freundin Kunst ablehnt, ist das etwas anderes, als wenn Spahr an ihrem Schreiben zweifelt. Das eine konstruiert eine Abgrenzung, das andere analysiert eben diese. Doch liefert sie keine Antworten auf die Fragen, die sie aufwirft.
»It doesn't convey a THING«, lautet das Fazit einer wütenden Amazon-Rezension, die wiederum nur 2 von 20 Menschen hilfreich fanden. Tatsächlich vermittelt That Winter The Wolf Came nichts Handfestes, keine auf Plakate zugeschnittene Slogans oder Rezepte für die Revolution. Es problematisiert stattdessen das Prinzip der Revolution an sich aus einer völlig bodenständigen Haltung heraus, die gleichzeitig Körperhaltung ist. Denn Spahrs Körper, konstruiert als Frau und Mutter und damit ebenso repräsentativ für die Non-Revolution wie Lust und Leidenschaft, ist zwangsläufig geopolitisch. Somit auch ihr Schreiben, das nicht nur die Linke, sondern auch sich selbst in einer Knappheit preisgibt, die gleichzeitig politisch wie poetologisch von akuter Dringlichkeit, wenn nicht sogar Dinglichkeit ist. Spahr leugnet die Unterschiede zwischen jambischen Pentametern und zertrümmerten Fenstern nicht, sie deckt aber deren Gemeinsamkeiten mit einem Scharfsinn auf, welcher für eine erfolgreiche Revolution genauso notwendig ist wie konkrete Handlungen. Trotz und gerade wegen ihres Kindes. Denn eine Männerrevolution kann nicht Gleichheit für die bringen, die wegen ihrer Körperrealität als kontrarevolutionär stigmatisiert werden.
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