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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Wollen wir uns eine Hexe finden

„Belles sont les rimes …“: Ein schmales deutsch-französisches Büchlein mit Gedichten von Thomas Brasch
Hamburg

Die Reime sind schön Sie belügen dich
Das macht sie ähnlich deinen zwei Ländern
Sie zwingen dich Und sie fügen sich
Was willst du immer noch an beiden ändern

Die Liste der Werke von Thomas Brasch umfasst 27 Positionen (und das sind nur die Bücher, ohne die Filme, und die Übersetzungen sind auch noch nicht dabei). Vor kurzem ist eine 28. Position dazugekommen. Noch ein Buch. Nein: ein Büchlein. Mit passenderweise 28 kleinen Seiten, aber nur zehn Texten, die oft so kurz sind, dass bloß ein paar Zeilen auf den Seiten stehen und der Rest leer bleibt. Dafür gibt es die Texte in Deutsch und Französisch: „Belles sont les rimes …“, lautet der Titel, der Länder und die Illusion der Veränderung übereinanderlegt.

Wenn das Feuilleton von deutsch-deutschen Dichtern sprach, was es im letzten Jahrhundert gern noch getan hat, dann fiel Thomas Brasch schon vor seinem Tod oft hinten runter. Kaum ein Schriftsteller von seinem Kaliber sei so schnell in Vergessenheit geraten wie Brasch, schrieb Thomas Hummitzsch in der Literaturzeitschrift „Glanz & Elend“.

Als Kind von jüdischen Flüchtlingen 1945 in England geboren, kam Brasch 1947 nach Ostdeutschland; sei Vater machte in der DDR Karriere und wurde schließlich stellvertretender Kulturminister. Der Sohn flog wegen Verunglimpfung von Autoritäten von der Uni. Nach dem Verteilen von Flugblättern gegen den sowjetischen Einmarsch in der CSSR kam Brasch ins Gefängnis. 1976 siedelte er in den Westen über, wo er nicht weniger kritisch und nicht weniger fremd war. Es gibt ein Gedicht von ihm, in dem er über Dylan in der Deutschlandhalle schreibt, über die wohlhabenden Architekten mit ihren dürren Studentinnen im Publikum, die dem Sänger lauthals den Verrat an der politischen Sache vorwerfen: „endlich / verwandt ihren blökenden Vätern“.

Väter kam bei ihm nicht so selten vor. Braschs noch in der DDR entstandene Prosasammlung „Vor den Vätern sterben die Söhne“ wurde allein schon durch den Titel emblematisch für das damalige Zeitgefühl der jungen Intellektuellen, und zwar beiderseits der Grenze. Bis heute ist der Band eines der lesenwertesten Bücher aus den Jahrzehnten zwischen Krieg und Wende.

Und nun dieses Kleinod. Erschienen ist das Heft über die lügenden Reime im Berliner Verlag Hochroth, der seit 2008 existiert und inzwischen über Dependancen  in Budapest, Leipzig, Paris, Riga und Wien verfügt; das Brasch-Buch ist ein französisches, die Gedichte des Autos, vorwiegend dem Suhrkamp-Band „Der schöne 27. September“ und dem Nachlaß entnommen, wurden von Bernard Banoun und Aurélie Maurin übersetzt.

Was hier auf wenigen Seiten und in wenigen Zeilen deutlich wird, buchstäblich erkennbar wird, ist die Person Brasch, die exzessiv geschrieben und gelebt hat (und 2001 gestorben ist).

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

 

Es gibt eine Gedicht-Geschichte namens „Meine Großmutter“, es gibt bittersüße Beziehungslyrik („Schön wie verlust die lust ersetzen kann“), es gibt „Wie es euch gefällt“ als garstiges, zweieinhalb Seiten kurzes Stück über die Unmöglichkeit der Liebe: „Wollen wir Hänsel und Gretel sein und uns eine Hexe finden auf unserer Suche nach dem dritten Geschlecht …“.

Das konnte wirklich nur einer, nämlich der geniale Shakespeare-Übersetzer Brasch.

Man muß dem kleinen Hochroth-Verlag sehr danken für dieses Büchlein. Nicht nur, weil es einen Hauch Brasch in Frankreich herumwehen läßt. Sondern auch, weil er ihn auf diesem Umweg wieder nach Deutschland bringt.

Thomas Brasch
Belles sont les rimes Les rimes te mentent
Gedichte Deutsch/Französisch
Übersetzung:
Bernard Banoun und Aurélie Maurin
Hochroth Paris
2015 · 28 Seiten · 6,00 Euro
ISBN:
979-10-93394-02-2

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