Das knöchelfressende Quingawaga und andere Tiere aus dem Zoo
"Der Boggerslosch ist leider blind
Und weiß nicht, wo Verstecke sind."
Und das ist leider nur allzu wahr, denn auf dem dazugehörigen Bild sieht man das Tier, wie es ausgestreckt hinter einer ganzen Reihe von leeren Flaschen liegt. So kann das natürlich nichts werden mit dem Verstecken. Auch der Humglum ist eine bedauernswerte Kreatur:
"Der Humglum kriecht am Boden rum
Und ist zudem noch völlig stumm.
Besser hat es das Poshi:
"Das Poshi ist in Trance gefallen
Und hüpft auf seinen Pfotenballen."
Es ist eine seltsame Versammlung von ausgefallenen Tieren, alfabetisch sortiert: vom Ampu ("Das Ampu ist besonders fein, / Sein Kopf wie seine Füße klein.") bis zum Zot, mit dem das Buch über den etwas anderen Zoo endet. Ganz passend, denn:
"Was sagt man nur zum armen Zot?
Es gab nur eins. Und das ist tot."
Unter den vielen skurrilen Autoren und Illustratoren war der Amerikaner Edward Gorey (1925-2000) wohl der skurrilste. Er schrieb düsterironische Geschichten, in denen Kinder reihenweise sterben, oft sind seine illustrierten Bücher so geheimnisvoll, dass man gar nicht weiß, was eigentlich passiert. Manche Handlungen ergeben überhaupt keinen Sinn, vieles wird nur angedeutet, viele Details passen nicht ins Bild. Manches ist gruselig und bedrohlich - auch das oft, ohne dass man weiß warum.
Auch "Der andere Zoo" zeigt auf 26 Seiten Goreys schwarzen Humor in feiner Ausführung. Denn auch hier versteht man oft nicht, was er uns sagen will, denn mehr als solche Zweizeiler und ein Bild, das fast die ganze Seite einnimmt, gönnt er uns als Erklärung nicht. Und dennoch (oder vielleicht deswegen) amüsieren wir uns bei diesen Tieren genauso wie bei Loriots "Petrophagus lorioti" (Steinbeißer), der es immerhin bis ins renommierte medizinische Lexikon Pschyrembel geschafft hat.
Das Schönste sind die schraffierten Schwarzweißzeichnungen, die wie Drucke aussehen, mit denen der so geniale wie absonderliche Gorey seine tierischen Einseitenstories erzählt und die Atmosphäre mit ihnen verdüstert und verträumert. Sehr sparsam, mit seltsamen Details, wie der großen Suppenterrine, die der Gohdsch auf seinem Kopf balanciert, als er in seiner Höhle verschwindet. Oder der regenartige Hintergrund beim Quingawaga, der sein seltsames Gebaren ("Knöchelfressen") noch bedrückender macht, während im Vordergrund Pfützen und Knöchel herumliegen und die Flügel dieses Tiers fast wie Regenschirme aussehen.
Gorey hat einen surrealen, surrealistischen Humor, der die Welt erklärt, indem er sie verrätselt:
"Der Mork, bedächtig und grazil,
Zeigt nicht die Spur von Mienenspiel."
Leblos sieht sein winziges Menschengesicht aus, erstarrt in Eiseskälte. Doch sein langgestreckter Körper mit dem langen Schwanz, der wie eine Flagge im Wind weht, sieht grazil aus. Und seine sechs Beine setzt er bedächtig auf den Boden, ohne Hast schreitet er majestätisch dahin. Und über ihm schwebt ein winzigkleines Insekt, das man beim ersten Betrachten beinah übersieht. Und sich fragt, was das soll, bis man merkt, dass es eben nichts soll. Deswegen wird es ja auch Nonsens genannt. Der Sinn dahinter entfaltet sich dann später. Vielleicht.
Manchmal ist der Sinn auch ganz vordergründig und damit so deutlich, dass er schon wieder verschwindet. Wie beim Ombeldruhm, das fast die ganze Seite ausfüllt, denn:
"Das Ombeldruhm ist weiß und breit,
Man sieht es auch bei Dunkelheit."
Und das ist wahr, denn vor dem schwarzen Hintergrund sticht es hervor, es ist, so unförmig es ist, überhaupt nicht zu übersehen in seiner fast viereckig überdimensionierten Riesenhaftigkeit. Das Gegenteil ist die Ulp:
"Die Ulp zu finden ist recht schwer,
Man sieht sie ja fast gar nicht mehr."
Und Gorey zeigt als Illustration drei Säulen. Vor einer liegt etwas, das wie ein Blatt Papier aussieht. Kein Tier zu sehen, nirgends. Aber das hat er ja auch geschrieben.
Gorey ist ein Meister der Abstrusitäten, der Groteske und des Nonsens. Mehr als hundert Bücher hat er publiziert, die in verschiedenen amerikanischen Verlagen erschienen sind. Vor allem der Diogenes Verlag hat sich schon vor vielen Jahren einen Platz im Verlagshimmel verdient, indem er viele von ihnen übersetzen ließ (u.a. von Hans Wollschläger und Wolfgang Hildesheimer) und publizierte. Jetzt hat sich der kleine, unabhängige Lilienfeld-Verlag seiner angenommen und bringt seit einiger Zeit Goreys Titel wieder heraus. In kleinen, schön aufgemachten und liebevoll gestalteten Büchern, die uns nicht nur diese seltenen Tiere, sondern auch den seltsamen Gorey wieder einmal versuchen, nahezubringen. Auch ihnen sei dafür ein Platz im Verlagshimmel reserviert.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben