Notiz

Nachruf Michael Starcke

 

Mein Freund Michael Starcke ist tot. Er starb wenige Tage nach der seiner vierundzwanzigsten Veröffentlichung, dem Lyrikband Das Meer ist ein alter Bekannter, der warten kann, in einer schön gestalteten Ausgabe des Nettetaler ELIF-Verlags. Er wurde nur 66 Jahre alt. Wir haben wenige Tage vorher noch korrespondiert. Meine Trauer ist groß.

Michael schickte mir ein Vorabexemplar seines neuen Buches mit einem Auszug aus einem der enthaltenen Gedichte: „man könnte glauben / das meer sei / kostbar genug, dass kein tropfen  / verschüttet werden darf“. Michael war ein Mann der Begeisterung. Ein ganzer Lyrikband, der am und um das Meer geschrieben worden ist – eine Seltenheit. Und das Meer ist hier nicht eine Heinesche Nordsee, sondern die Ostsee, die Michael Starcke mit den Seinen besucht hat, wann immer konnte, zuletzt zu Anfang dieses Jahres. Es war eine Liebe zum Element, nicht zu den Ferienburgen aus Sand. Und immer schrieb er Postkarten vom Rand des Meeres, auf jeder, neben den Grüßen, ein Meeresgedicht. Sie sind in dem neuen Buch gesammelt, 73-mal die Ostsee.

Einmal schickte er mir aus Scharbeutz eine Postkarte, auf der war ein rotes Fahrrad zu sehen, das an einer mit Binsen bewachsenen Düne lehnt. Mit dem Fahrrad, vielleicht mit dem roten, ist er durch den Ort und den Strand entlang gefahren und stellte seine Fragen an Meer und Landschaft und sich selbst, die in seinen Gedichten auftauchen und zu Zeilen wurden, vielleicht unter dem „mächtigen Baum“, der vor seiner Pension steht. Hier wird auch das Gedicht „Abschied“ entstanden sein. Es bezieht sich auf die bevorstehende Rückfahrt nach Bochum, seinem Wohnort, aber war es auch eine Vorahnung?

Abschied

Der tag beginnt spät
wie manchmal
Das eigene leben
mit einem Blick aufs Meer.
Ein schiff segelt dahin am Horizont
In einem silbrigen licht
zeitloser Wolken.
So bleibt es im Gedächtnis
unvergessen,
Ein fast vollkommenes glück
ohne Enttäuschung
und Niedertracht.
und doch
die Menschen am Ufer
Werden davongehen
und einmal nicht mehr
Zurückkehren. andere Menschen
Werden sie ersetzen,
Um die Welt später zu verlassen wie einen Traum.

Ein tag beginnt spät,
Wie immer, wenn es zeit wird,
die Koffer zu packen
für eine andere
Unbeabsichtigte reise.

Michael Starcke, im Brotberuf Apotheker und seit einer Weile frühpensioniert, war ein aufmerksamer, freundlicher, empfindsamer, sehr emotionaler Mensch, humorvoll, aber leider auch häufig depressiv. Dazu gab es besonders im letzten Jahr viel Anlass, nicht nur wegen seiner immer beschwerlicher werdenden Gehbehinderung. Er fand Trost und Erfüllung in seiner täglichen Arbeit als Dichter, oft in kreativer Zusammenarbeit mit seinem Zwillingsbruder Peter Starcke, dem Maler und Illustrator, und in seinen Freundschaften. Seine vielen und regelmäßigen Lesungen im Ruhrgebiet und anderswo, seine zahlreichen Auszeichnungen und ehrenvollen Mitgliedschaften, etwa in der Kogge und im PEN, heben ihn weiterhin als einen lesens- und hörenswerten Autor, auch als klugen und großzügigen Kritiker ins Licht unserer Aufmerksamkeit.   

Lieber Michael, mögest Du Dich an Deiner Ostsee wiederfinden, unterm Baum, wo Du zu suchen sein wirst. Im Gedenken an Dich, Kopf an Kopf,

Dein Klaus Martens.

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