Träume und Licht, Pillen und Strahlung
Klare Bilder wechseln sich ab mit substanziell scheinenden Betrachtungen, bei denen man den Eindruck hat, sie wollen auf etwas so weit entferntes hinaus, dass man ihnen dorthin nicht folgen kann. Die Sprache liegt poetisch da. Die Figuren wandeln zwischen ihren Sinnen und dem Versuch einer Handlung. Begleitet von diesen Eindrücken, öffnete sich mir die Erzählung von Sophie Reyer, so geriet ich ins Buch und das Buch in meine Wahrnehmung.
"Schläferin" scheint zunächst eine Geschichte der Pause zu sein - der Pause zwischen den Verheerungen, mit denen ein Schicksalsschlag all unsere Bemühungen übertrumpfen kann und uns aus einer unerschöpflichen Wirklichkeit in eine klaustrophobische, permanente Unebenheit wirft, in der nichts Glattes mehr zu existieren scheint - Verheerungen wie etwa der Verlust eines Kindes, um das sich die Gedanken der Protagonistin drehen, während sie mitten in einer Idylle sitzt, in einem Wohnkasten aus Glas und Stein, um sie herum Wiesen, Feldwege und Licht, viel Licht. Reyer kommt so immer wieder auf die existentiellen Empfindungen und Stimmunghen, ihr sozusagen "Lebensleibhaftiges" zurück.
Ihr Herz war ein Kreisel. Ihr Kopf war ein Kreisel, der sich um alle Gedanken drehte.
Was ab dem ersten Moment einsetzt, ist ein Spiel mit Details, mit präzise eingehaltener Dichte. Es dient Sophie Reyers Prosa als Form, und manchmal verstrickt sie sich darin; dann wirkt dieser Stil fast akribisch, wie er Beobachtung an Beobachtung reiht, während sich dadurch das Gewicht, das auf der verfeinerten Beschreibung der Wahrnehmung liegt, auf die Entschleunigung verlagert, bis die Prosa sprachlich so langsam wirkt, dass sie an den Abgrund der Nichtaussage gerät; die Sprache wird zu einer dünnen Schicht über den Dingen, die an vielen Stellen droht einzureißen und die profanen Formen der Dinge freizulegen, über die sie sich beschreibend legen soll.
Es ist, als wäre ihr Hirn dem Himmel ausgesetzt.
Es geht in "Die Schläferin" um Träume. Es geht auch um diesen seltsamen Gebäudekomplex und die Vorgänge darin, die etwas mit dem Projekt zu tun haben, an dem die Protagonistin teilnimmt - Experimente mit Kindern und Träumen und Licht, Pillen und Strahlung. Hinter diesen vagen Konzepten einer Handlung scheren die Figuren immer wieder aus, hinein in ihre Stimmung, Empfindung, ihr Verlangen, ihr Entrücktsein von aller Welt. So kommt es zu den stärksten Stellen des Buches. Wenn die beiden Protagonisten plötzlich in ihr Menschsein fallen, ihre Körperlichkeit, ihre Auffassung, ihre Emotion. Wenn sich außerhalb der Handlung ihre singuläre Innerlichkeit offenbart und eigenen Raum beansprucht.
Die Haupthandlung: an dieser Stelle hält der Text nicht zusammen, wirkt zerfasert. Jeder Satz will zu bezeichnend sein; aber aus den Strichen, die gezogen werden, entspinnt sich kein roter Faden, sondern nur ein Netz mit vielen neuen Kreuzzungen und unterschiedlich großen Maschen, auf denen manches landen kann. Manches fällt auch durch die Löcher in diesem Netz und "ward dann nie mehr gesehen". Worum es geht und wer wie steht - nirgends findet man in "Schläferin" eine Erklärung oder einen Hinweis dazu. Statt dessen findet man sich in einer Liebesgeschichte, die fast schon schön, aber doch sehr erwartungsgemäß daherkommt. Motive schalten sich ein und entschwinden wieder, sie tragen diese ihre Unausführlichkeit grazil zur Schau, wobei ich mir nicht sicher bin, ob darin nicht schon fast etwas wie Pose steckt, obgleich der sanfte Ton der Erzählung solche Gedanken direkt mit Zweifel straft.
Die Sekunden haben Riesengrößen an.
Am Ende bleiben die vollgefüllten Sätze, die keine Antworten geben, nur Eindrücke und viele offene Fragen. Das Innenleben der Figuren ist abgetastet, die Außenwelt blieb fast unangetastet. Ist das die Botschaft? Dass wir uns in der modernen Welt, auch, wenn alles noch so idyllisch wirkt, längst nur noch in das Intime zurückziehen können oder in die Träume, wie sie die die Protagonistin träumt, die sie lenken kann und wo sie beinahe glücklich ist? Aber gegen wen, in welche Richtung, sollte sich solch eine Botschaft richten?
Unsere Ratlosigkeit angesichts dieser Frage deckt sich mit der Ratlosigkeit, die aus alle Rillen zwischen den Kapiteln des schmalen Buches emporwächst. Und die ganze Erzählung umrankt. Und uns nahelegt, eine Perspektive zu suchen, die es nicht gibt.
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